Reichendorf ist kein Kaff. Und schon gar nicht aus der Welt. Im Dorfgasthaus Bambiwirt oben auf dem Hügel, wo einem das oststeirische Apfel- und Weinland bis hinüber nach Weiz zu Füßen liegt, isst man längst trendig urban. Nix mehr Winnetou-Schnitzel und Hawaii-Toast. Heute wird hier Pasta mit veganen Putenstreifen und veganem Speck aufgetischt. "Aus Erbsenprotein", lässt die Chefin des alten Landwirtshauses ausrichten.

"Wir san jo kane Trotteln", brummt der am runden Wirtshaustisch sitzende Erich Schanes und meint damit weniger die Aufgeschlossenheit gegenüber zeitgeistigen Ernährungsgewohnheiten, sondern vielmehr, dass er und seine Leute hier in Reichendorf sich von denen da oben, konkret von Schwarz und Rot, "net verarschen lassen".

fischer

"Wir hackeln wie die Blöden, und die andern, die bei uns nix einzahlen, kriegen's auf dem Silbertablett serviert. Ich hab echt nix gegen Ausländer, die können ja nix dafür, dass sie mit Geld vollgestopft werden. Sie wären ja deppert, wenn sie es net nehmen. Schuld ist die Regierung, die ihnen das Geld eineschiebt."

Die Reichendorfer Blauen, zu deren Gründungsvätern Tiefbauhackler Schanes – ein ehemaliger Roter – zählt, haben seit der letzten Nationalratswahl, als sie österreichweit mit 54,4 Prozent das beste Ergebnis für die FPÖ einfuhren, eine breite Brust bekommen. Warum gerade die Reichendorfer blau wählten, weiß aber niemand so recht. "Vielleicht liegt's an uns, wir können halt zuhören und überzeugen", sucht Schanes nach einer Erklärung.

Das 630 Einwohner zählende Reichendorf im Osten der Steiermark ist 2015, nach der Gemeindefusion mit Kulm bei Weiz und Pischelsdorf, in die neue ÖVP-Gemeinde "Pischelsdorf am Kulm" zwangseingegliedert worden. "Owa wir Reichendorfer bleiben trotzdem FPÖler", sagt Erich Schanes.

Daniela Sager ist eine der beiden blauen Ortsgrößen in der im oststeirischen Apfel- und Weinland gelegenen Katastralgemeinde Reichendorf.
Foto: Christian Fischer

"So isses", pflichtet ihm FPÖ-Ortsgruppenchefin und Gemeinderätin Daniela Sager bei, eine korpulente, selbstbewusste Frau mit orangerot gefärbtem Haar. "Du machst an ganz schönen Schatten", feixt Schanes, als sich Sager seinem Tisch in der Wirtsstube nähert. Die Kindergartenpädagogin, die seit Jahren bei ihrem Lebenspartner an der Tankstelle arbeitet, reagiert trocken: "Aber im Sommer bist mir dankbar."

Jetzt gesellt sich auch der blaue Landtagsabgeordnete der Region, Erich Hafner, zu den beiden. Frage an den blauen Kreis: "Werden FPÖ-Wähler auch hier in der Hochburg Reichendorf zu Sebastian Kurz überlaufen?" Schanes ergreift als Erster das Wort: "Der hat doch bisher nur geredet. Nur weil er jetzt zum Kopieren anfängt? Den Schmäh kann er woanders erzählen."

"Er war Integrationsminister", bringt sich Daniela Sager ein, "hat aber nix gemacht." Ausländermäßig. "Aber ausländerfeindlich sind wir nicht", sagt Sager. "Sicher, die Leut' haben Angst. Sie wollen mit ihrer Wählerstimme vorsorgen, dass das bei uns nicht so krass kommt wie in der Stadt."

Was treiben FPÖ-Politiker auf dem Land eigentlich? "Wir machen ganz viel", sagt Sager. "Am Wochenende gibt's ein Sturm- und Kastanienfest, Fischen, Sonnwendfeier, Infostandl, Preisschnapsen." Besonders agil sei die Parteijugend, der RFJ. "Sie lassen die Bräuche und Traditionen wie die Sonnwendfeier wiederaufleben."

STANDARD-Nachfrage: Speziell die Parteijugend gelte doch als anfällig für Rechtsradikalismus und Deutschnationalismus. Jetzt mischt sich Landtagsabgeordneter Hafner ein: "Der Großteil der Funktionäre von uns im Ort ist so jung, dass sie eigentlich gar nicht verstehen, was damals passiert ist."

Foto: Christian Fischer

Auch er sei kein Rechtsextremer, beteuert Hafner: "Wir werden immer als rechtsextrem hingestellt, wo wir baujahrmäßig doch weit nach dem ... ich will das gar nicht in den Mund nehmen ... das ist Vergangenheit." Das Wort Holocaust will einfach nicht aus dem Mund.

Dass sich Reichendorf zur FPÖ-Hochburg gemausert hat, ist auch ein Verdienst von Erich Schanes.
Foto: Christian Fischer

Zwei Fahrminuten vom Bambiwirt entfernt betreibt Kurt Hummer eine Kfz-Werkstätte. Linkerhand breitet sich eine Apfelplantage aus, direkt vor der Werkstätte warten hunderte von Erich Schanes gepflanzte Christbäume auf Weihnachten. In der Garage, inmitten von Kfz-Werkzeugen und -Equipment, versammelt sich ein blauer Freundeskreis regelmäßig um einen kleinen Stehtisch. Hier wird politisiert, Karten werden geprackt, die eine oder andere Dose Puntigamer wird geleert.

Gruppendynamische Selbstbespiegelung

"Es ist eine gewaltige Missstimmung da", sagt Richard Kulmer, der hier im Ort einen Obst- und Weinbaubetrieb führt und eine Buschenschank betreibt. Man fühle sich im Stich gelassen, um die Früchte der harten Arbeit betrogen, während andere "absahnen". Das "Ausländerproblem" ist natürlich auch ein Thema: "Wer zahlt denn das Ganze, was die Asylanten kosten? Der Mittelstand zahlt's. Wir."

Langsam wandelt sich das Gespräch zur gruppendynamischen Selbstbespiegelung. Richard Kulmer beginnt zu sinnieren: "Man hat's ja nach der Bundespräsidentenwahl gesehen. Da hat's geheißen: Die Hofer-Wähler, das ist die einfache Schicht, und die Van-der-Bellen-Wähler, das sind die Gebildeten."

Erich Schanes nickt: "Genau, da fühlst du dich ja abgestempelt als Esel, als Depp. Schön wäre es, wenn wir einmal die absolute Mehrheit hätten. Dass wir was umdrehen könnten." (Walter Müller, 11.10.2017)