"Ich kaufe mir nichts, sondern es ist meine Hoffnung, dass diese verkrusteten Strukturen endlich aufgebrochen werden und sich Leistung wieder lohnen wird", sagt KTM-Chef Stefan Pierer.

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STANDARD: Sie werden von der SPÖ als Abschleicher dargestellt, da Sie noch vor Inkrafttreten des Steuerabkommens mit Liechtenstein gut 20 Millionen Euro nach Österreich transferiert haben sollen und Aufsichtsratsbezüge über eine GmbH beziehen. Wollten Sie mit der Rückholung des Geldes der pauschalen Besteuerung für nicht offengelegte Vermögen in Liechtenstein entkommen?

Pierer: Grundsätzlich halte ich mich bei all meinen Transaktionen an die Gesetze. Und das ist keine Frage des Zeitpunkts. Im konkreten Fall handelte es sich um die Auszahlung einer abgelaufenen Lebensversicherung. Der Ertrag ist weder der Einkommens- noch der Kapitalertragssteuer unterlegen, die Versicherungssteuer wurde korrekt abgeführt.

STANDARD: Oft hört man: Die da oben können es sich richten. Geben Sie Kritikern mit Ihrer steuerlichen Konstruktion nicht ungewollt recht?

Pierer: Sich an das Gesetz zu halten ist keine Frage von oben und unten. Und ich halte mich an alle Gesetze und Regeln.

STANDARD: KTM ist der größte Motorradhersteller Europas, bis 2020 wollen Sie auf Platz drei der Welt fahren. Wollen Sie das trotz oder dank der österreichischen Wirtschaftspolitik erreichen? Sie sind da ja sehr kritisch.

Pierer: Das wird uns dank ein paar wirklich guter Instrumente der österreichischen Standortpolitik gelingen und trotz extrem behindernden Verschlechterungen.

STANDARD: Was ist gut, was ist schlecht?

Pierer: Die duale Lehrlingsausbildung ist einer unserer großen Vorteile, ohne die würde der Industriestandort Österreich nicht so gut dastehen. Wir haben 4000 Beschäftigte in Österreich, 40 Prozent davon sind dual ausgebildet worden. Alle unsere 200 Lehrlinge haben eine Einstellungsgarantie. Und was die Österreicher als Nischenanbieter im Ausland so erfolgreich macht, ist die Exportfinanzierung mit Kontrollbank-Garantien. Wir haben 96 Prozent Exportquote, ohne dieses Instrument hätten wir das nicht geschafft. Gut ist auch die Forschungsprämie, die derzeit zwölf und künftig 14 Prozent beträgt. Wir haben eine Forschungsquote von 8,5 Prozent – da ist diese Prämie eine echte strategische Hilfe.

STANDARD: Was beforschen Sie am meisten? Elektromobilität?

Pierer: Nicht nur, wir entwickeln ja auch permanent Neues. Die Elektromobilität treibt uns schon seit zehn Jahren, da haben wir bereits mehr als 25 Millionen investiert. Insgesamt betragen unsere Entwicklungsausgaben derzeit rund 100 Millionen. Was wenige wissen: Elektromobilität muss man sich leisten können, das ist derzeit kein Geschäft, kostet nur Geld. Aber Elektromobilität ist ein Beitrag zur Rettung der Welt.

STANDARD: Und wann wird sie ein Geschäft werden?

Pierer: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Elektrozweiräder in zehn Jahren etabliert sein werden. Heute schon sind zwei Drittel aller neuen Fahrräder E-Bikes, und ich bin sicher, dass sich diese Entwicklung in den nächsten fünf, sechs Jahren auf den Moped- und Mofa- und Rollermarkt übertragen wird. E-Mobilität ist vor allem ideal für den urbanen Bereich.

STANDARD: Sie fordern schon lange die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Haben Sie je ausgerechnet, wie viel Ihnen Neuerungen brächten?

Pierer: Uns kosten die jetzigen Vorschriften sicher ein bis zwei Prozent Wachstum im Jahr. Die österreichischen Arbeitszeitgesetze sind extrem antiquiert und beeinträchtigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsfluss und ihrer Motivation. Meine Leute haben ihr Herz im Motorrad, wollen ein Projekt fertigmachen, sind im Rennsport unterwegs, fliegen dafür rund um den Globus. Nach zehn Stunden müssen sie die Arbeit beenden, auch wenn sie weiterarbeiten wollen. Das ist doch demotivierend.

STANDARD: Was schwebt Ihnen vor? Maximal zwölf Stunden?

Pierer: Ja, und es gibt ja eine EU-Regelung, die relativ flexibel und zeitgemäß ist. Die Zwölf-Stunden-Regelung im Angestelltenbereich ist eine Notwendigkeit, um international wettbewerbsfähig zu bleiben, besonders dort, wo es um Fertigstellung von Projekten zu fixen Terminen geht. Im Bereich der Arbeiter reichen die bestehenden Arbeitszeitregelungen. Man darf nicht vergessen: Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein, um dem europaweiten Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wir müssen nicht nur gut bezahlen, und das tun wir mit durchschnittlich 3000 Euro brutto im Monat, sondern auch auf die individuellen Bedürfnisse unserer Beschäftigten eingehen. KTM hat in den letzten fünf Jahren immerhin 2000 Leute in Österreich eingestellt.

STANDARD: Ein bisschen Schutzcharakter haben Arbeitszeitgesetze aber schon ...

Pierer: Ja, aber Arbeitszeitvereinbarungen sollten auf Betriebsebene getroffen werden, denn die Belegschaft weiß am besten, was sie will und braucht. Die Sozialpartner sind da nicht hilfreich. Industriebetriebe wie KTM stehen mit anderen im Wettbewerb, die besten Mitarbeiter zu kriegen, und dafür muss man sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. KTM unterstützt in der Gegend von Mattighofen Kinderkrippen und Kindergärten, und wegen der Wohnungsknappheit beginnen wir gerade, Werkswohnungen zu bauen. Es ist wie in alten Zeiten.

STANDARD: Sie haben 431.563 Euro für die Bewegung von ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gespendet. Sie bestreiten, dass Sie sich damit Abgeordnete kaufen wollen ...

Pierer: Das stimmt. Ich kaufe mir nichts, sondern es ist meine Hoffnung, dass diese verkrusteten Strukturen endlich aufgebrochen werden und sich Leistung wieder lohnen wird. Ich traue Kurz zu, dass er den Aufbruch zustande bringt.

STANDARD: 2009 – in der Krise – konnten Sie eine Unternehmensanleihe nicht mehr zurückzahlen, das Land Oberösterreich musste mit einer Haftung von 30 Millionen einspringen. Wie wichtig war denn die Krise für Sie?

Pierer: Als Lehman im September 2008 pleiteging, brach unser Markt weltweit um 50 Prozent ein. Wir haben damals unsere gesamten Eigenmittel von 40 Millionen Euro eingebracht. Die regionalen Banken haben geholfen, und als oberösterreichischer Leitbetrieb haben wir wie Voest oder Lenzing eine Rückhaftung vom Land bekommen. So konnten wir die Anleihe refinanzieren. Das Schwierigste war für mich damals nach Jahren des Wachstums, mich vor die Leute zu stellen und zu sagen: 400 von euch müssen gehen.

STANDARD: Zudem mussten Sie damals auch noch den Flop mit dem KTM-Sportwagen X-Bow mit 50 Millionen Euro einbuchen ...

Pierer: Ja, das hat sie Sache sicher nicht erleichtert. Das Auto bauen wir nach wie vor in Kleinserie, wir haben immerhin schon 1200 Autos verkauft. Das Wichtigste war rückblickend, dass wir trotz Krise, trotz negativer Umsätze die Entwicklung nicht gekürzt und die Modelle, die wir in der Pipeline hatten, in den Markt gebracht haben. Das und unsere Partnerschaft mit dem indischen Unternehmen Bajaj, die damals begann, hat uns in kürzester Zeit aus der Krise gezogen. Seit 2010 haben wir unseren Umsatz dann mehr als verdoppelt.

STANDARD: Was war denn Ihre mutigste Entscheidung bei KTM?

Pierer: Vom Gelände auf die Straße zu gehen, also die Herstellung von Straßenmotorrädern zu beginnen. Da hatten wir den größten Gegenwind. Es hat zehn Jahre gedauert, bis wir die richtigen Produkte hatten, die sich mit den japanischen Motorrädern messen konnten, und wir alle überzeugt hatten. Inzwischen haben wir sogar BMW überholt. Darauf bin ich wirklich stolz.

STANDARD: Ihr größter Fehler?

Pierer: Bei der Finanzierung zu sehr von außen abhängig gewesen zu sein. In der Zeit der Leverage-Finanzierung hatte man möglichst wenig Eigenkapital, in der Krise kippten die Geldgeber dann selbst weg – und wir blieben über, ohne Finanzierung. Das passiert mir nie wieder. Heute haben wir eine Eigenkapitalquote von 50 Prozent, und damit sind wir unabhängig.

STANDARD: Sie sind mit der KTM Industries AG an die Börse Zürich gewechselt. Wieso ist die besser als die Wiener Börse?

Pierer: Wir haben den Kapitalmarkt in Österreich durch Vorschriften, Regulierung und unklare Zuständigkeiten zwischen Börse und Finanzmarktaufsicht FMA stark beeinträchtigt. Unser Kapitalmarkt ist im internationalen Vergleich sehr eingeschränkt. In Zürich, der zweitgrößten Börse Europas, fühlen wir uns am richtigen Ort. Die österreichische Politik hat nicht erkannt, wie wichtig ein funktionierender Kapitalmarkt für eine Volkswirtschaft ist. Die eine Hälfte sagt, das ist der Hort für Spekulanten, die andere versteht die Wichtigkeit nicht. Dementsprechend lieblos wurde der Kapitalmarkt abgewertet.

STANDARD: Sie haben Ihre Produktion zum Teil nach Indien, zu Ihrem 48-Prozent-Partner Bajaj, verlegt. Geht es dort nur um niedrige Personalkosten?

Pierer: Nein, der wichtigste Vorteil von Indien liegt am Riesenmarkt mit 1,3 Milliarden Leuten und riesigen Stückzahlen, die man pro Serie verkauft. Daraus entsteht der Kostenvorteil. Heuer werden wir 100.000 Motorräder in Indien produzieren, und rund die Hälfte dort verkaufen, den Rest weltweit. Diese Zusammenarbeit sichert den österreichischen Standort ab.

STANDARD: Bevor Sie KTM gekauft haben, waren Sie eine "klassische kleine Heuschrecke", wie Sie sagen. Sie haben etwa Eternit und Köflach gekauft, hergerichtet und weiterverkauft. Wie viel Geld haben Sie damit gemacht?

Pierer: Ungefähr das, was ich dann als Teil eines Konsortiums für KTM hingelegt habe: einen zweistelligen Schilling-Millionenbetrag. Eigentlich sollte man das nicht tun, aber: Ich habe alles auf eine Karte gesetzt. So, wie es heute junge Leute mit Start-ups tun.

STANDARD: Apropos junge Leute. Keiner Ihrer zwei Söhne wird Sie bei KTM beerben, beide sind selbstständig tätig.

Pierer: Ja, und sie gehen ihren Weg. Einer von ihnen treibt in unserem Konzern die Zukunftsthemen, etwa Digitalisierung oder 3D- und Metalldruck, und da sind wir europaweit mitführend. An unserem Pankl-Standort in Kapfenberg haben wir acht Maschinen, mit denen wir Titan, Aluminium, Metall aller Arten verdrucken: Da kommen Motorgehäuse bis Radaufhängungen aus dem Drucker, faszinierend. Und zur Frage der Nachfolge: Meine Söhne sitzen im Aufsichtsrat, und wegen der Größenordnung des Konzerns werden wir künftig mit einem externen Management arbeiten. (Renate Graber, 8.10.2017)