Hamburg/Ankara – Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gedrungen. "Es gibt keinen Grund für Probleme zwischen Deutschland und der Türkei", sagte Cavusoglu dem am Samstag erschienenen "Spiegel". "Wenn ihr einen Schritt auf uns zugeht, gehen wir zwei auf euch zu."

Hoffnungen setzt Cavusoglu dabei in die künftige Bundesregierung. Seine Regierung sei bereit, auch mit einem Außenminister Cem Özdemir zusammenzuarbeiten, sagte der türkische Chefdiplomat. "Es wäre falsch, die Beziehungen zwischen den Ländern über Einzelpersonen zu definieren." Der Grünen-Vorsitzende Özdemir hatte die türkische Regierung mehrfach wegen ihres Umgangs mit ihren Gegnern scharf kritisiert und eine harte Haltung gegenüber Ankara gefordert.

Nur Reaktionen auf Attacken

Cavusoglu gab indes Deutschland die Schuld an der zwischenstaatlichen Krise und rechtfertigte die Angriffe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf deutsche Politiker: "Er hat stets nur auf Attacken reagiert", sagte der Außenminister. Erdogans Nazi-Vergleiche seien eine "Antwort auf die Feindseligkeiten" aus Deutschland gewesen. "Die Bundesregierung muss lernen, die Türkei zu respektieren."

Im Fall des inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zeigte der Außenminister kein Entgegenkommen. Yücel befinde sich als türkischer Staatsbürger wegen Verdachts auf eine Straftat in Haft, die Justiz werde "über seine Schuld oder Unschuld" entscheiden, sagte er dem Nachrichtenmagazin.

Nach eigenen Angaben setzt sich Cavusoglu aber für eine Beschleunigung im Verfahren gegen den Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner ein, der seit Juli in der Türkei in Haft ist. Er habe den Innen- und den Justizminister um Hilfe gebeten, sagte der Außenminister.

Deutschland erhöht Druck auf die Türkei

Unterdessen erhöht die deutsche Bundesregierung vor dem EU-Gipfel in zwei Wochen den Druck auf Ankara. Gemeinsam mit einigen anderen EU-Ländern verlangt Deutschland, dass die EU-Kommission beim Gipfel eine Einschätzung vorlegt, inwieweit die von Präsident Recep Tayyip Erdogan autoritär geführte Türkei die "Kopenhagener Kriterien" erfüllt, berichtet der "Spiegel" am Samstag in einer Vorabmeldung.

Die Einhaltung dieser Kriterien, etwa Rechtsstaatlichkeit oder die Achtung von Menschenrechten, ist Voraussetzung für einen EU-Beitritt. Die Kommission zögert, sie will ihren sogenannten Fortschrittsbericht erst im Frühjahr vorstellen.

Hintergrund ist die Überlegung, dass die Einschätzung derzeit katastrophal ausfallen würde, für die dann eigentlich nötige Aussetzung der Verhandlungen aber eine Mehrheit unter den EU-Ländern fehlt. Beim Außenministertreffen Anfang September im estnischen Tallinn war Deutschland mit seinem Wunsch, die Verhandlungen abzubrechen, ziemlich allein. Lediglich Österreich vertrat offen die gleiche Linie.

Reduzierte Vorbeitrittshilfen

Die EU-Kommission will stattdessen darlegen, wie die sogenannten Vorbeitrittshilfen für die Türkei reduziert werden könnten. Von 2014 bis 2020 soll das Land eigentlich rund 4,5 Milliarden Euro erhalten, um fit für den Beitritt zu werden – ausgezahlt wurden bisher aber nur etwa 250 Millionen. Die Beamten von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben nun errechnet, dass jedes Jahr ein dreistelliger Millionenbetrag zurückgehalten werden kann, ohne dass die Mitgliedstaaten darüber abstimmen müssten.

Die deutsche Bundesregierung hatte das Thema Türkei auf die Agenda des Gipfels gesetzt, nachdem sich im TV-Duell im Wahlkampf sowohl SPD-Chef Martin Schulz wie auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) überraschend für einen Abbruch der Verhandlungen ausgesprochen hatten. (APA, red, 7.10.2017)