Regisseur Johannes Reitmeier, Intendant des Tiroler Landestheaters, startet die Spielzeit im Großen Haus mit Faust. Der Tragödie Erster Teil. Er transponiert Goethes Meisterwerk an den unteren Rand der Gesellschaft. Sein Faust spielt im Milieu der Zukurzgekommenen, der Raumpflegerinnen, der Alkoholiker und der Skinheads. Faust (Andreas Wobig) fläzt in Jogginghose, Labber-T-Shirt und Wollhaube (Kostüm: Anke Drewes) auf dem verschlissenen Sofa und verzweifelt am Zustand der Welt. Sein Studierzimmer ist das eines alkoholkranken Messies. Von seinem umfassenden Wissen zeugt lediglich die gewaltige Bibliothek, die bis hoch in den Schnürboden reicht (Bühne: Helfried Lauckner).

Von der Galerie dort oben beobachtet Faust den Osterspaziergang durchs Fernrohr, und Mephisto (Christoph Schlag) hoppelt im Pudelkostüm durch die Tür. Wobig und Schlag teilen sich die Rollen des Faust und seines Alter Egos Mephisto. Als Faust auf Margarete trifft und er die Glut der Begierde in sich aufsteigen spürt, vollzieht sich die Verwandlung. Unter Trockenhauben einer Frisierstube versteckt, stülpt sich jeder die Maske des anderen über.

Ensembleneuzugang Ronja Forcher – Fernsehfans kennen sie als Bergdoktors Töchterchen – liefert als Gretchen eine beachtliche Leistung ab. Vom quirligen, koboldhaften Jungmädchen schafft sie den Bogen zur dem Wahn verfallenen Frau, die nicht am Schafott, sondern im Rotlicht endet. Johannes Reitmeiers schrille Interpretation mit opulenten Bildern erinnert passagenweise an die Rocky Horror Picture Show. Dennoch ist ihm ein sehenswerter Abend gelungen. (dns, 9.10.2017)