Wien – Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat den Spitzenkandidaten der Parteien nach der jüngsten Wahlkampf-Schlammschlacht die Leviten gelesen. Bei einem Vortrag forderte er die Spitzenpolitiker am Montagabend dazu auf, auch an die Zeit nach der Wahl zu denken. "Ich appelliere an alle Akteure, sich in den verbleibenden Tagen bis zur Wahl ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst zu sein", sagte der Bundespräsident.

Bundespräsident Van der Bellen verlangt von den Parteien mehr Respekt und Verantwortung – und weniger Emotionen und Feindbilder. In einer Ansprache warnt Van der Bellen vor schwierigen Bedingungen nach der Wahl, wenn es vor der Wahl so eine Schlammschlacht gibt.
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"Wir stehen wenige Tage vor einer Nationalratswahl. Alle von uns erwarten – mit Recht – Antworten auf die drängenden Fragen unserer Gegenwart und Zukunft. Antworten vor allem von den wahlkämpfenden Parteien. Bei allem Verständnis für harte Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf möchte ich klar und unmissverständlich festhalten: Jeder Spitzenpolitiker hat auch in einem Wahlkampf die Verpflichtung, an die Zeit danach zu denken. Es kommt nach dem 15. Oktober unweigerlich ein 16. Oktober", warnte Van der Bellen.

Mindestmaß an Gesprächskultur

Angesichts der Herausforderungen in den kommenden Jahren brauche es für das Wohlergehen und die positive Entwicklung Österreichs ein politisches Fundament. "Dieses politische Fundament ist das Vertrauen in die Demokratie, in ihre Institutionen und, ja, auch das Vertrauen in ihre Akteurinnen und Akteure. Um dieses Vertrauen zu stärken, braucht es zwischen allen politischen Parteien ein Mindestmaß an Gesprächskultur, an gegenseitigem Respekt, an Verständnis für die Sichtweise des jeweils anderen", meinte das Staatsoberhaupt.

"Die Ereignisse der letzten Tage sind nicht sonderlich geeignet, dieses Vertrauen zu stärken. Es wurde politisches Porzellan zerschlagen, sodass die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Parteien in den kommenden Monaten schwieriger werden wird. Es wird nach der Wahl eine große Herausforderung sein, ein Mindestmaß an politischer Dialogfähigkeit und gegenseitigem Respekt wiederherzustellen. Es wird wertvolle Zeit verstreichen, bis die Feindbilder verschwunden und die Emotionen abgebaut sind." Van der Bellen mahnte deshalb zu staatspolitischer Verantwortung: "Stellen Sie die langfristigen Interessen Österreichs über kurzfristiges parteitaktisches Kalkül."

Erinnerung an Kirchschlägers Warnung 1987

In seinem Vortrag bei den "Wiener Vorlesungen" im Rathaus erinnerte Van der Bellen an den früheren Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger. Dieser hatte 1987 die Parteien mit drastischen Worten gerügt. Sie hätten vielfach die in der Zwischenkriegszeit geübte Praxis wiederaufgenommen, den politischen Gegner als "schlecht, unfähig oder ganz einfach als Feind darzustellen. So wird der Boden dafür bereitet, dass gar manche Menschen, und hier wieder vor allem die Jugend, die gegenseitigen Verteufelungen allzu ernst nehmen und nur mehr das Negative glauben, umso mehr, als auch die Medien zwangsläufig der Sensation weiten Raum geben." Dadurch, so Kirchschläger damals, würden sich viele Bürger in die innere Emigration zurückziehen. Und das sei eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie.

Van der Bellen: "Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Hört, hört!, ist man versucht zu sagen. Das war 1987, und es war nicht einmal ein Wahljahr, jedenfalls nicht für den Nationalrat. In Wahljahren steigt die Versuchung, sich gegenseitig zu verteufeln, wie Kirchschläger das nannte." Der Bundespräsident plädiert stattdessen für das Miteinander, das Österreich in den vergangenen Jahren so oft geholfen habe. "Das sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen." (APA, 9.10.2017)