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Bild: Middle-earth: Shadow of War
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Picard küsst Kirk, Dumbledore schenkt Harry Potter einen Drachen und Darth Vader kehrt von den Toten zurück: Was man in den Original-Filmen oder -Büchern niemals zu sehen oder lesen bekommt, findet sich dennoch in den weiten Universen des Fantums. Fanfiction ist jene Art von Literatur, in der sich glühende Verehrer der jeweiligen Werke daran machen, sich neue Abenteuer für ihre Helden auszudenken, deren Welten aus der Vorlage zu erweitern und oft in ganz andere Richtungen weiterzuführen.

"Middle-earth: Shadow of War" (i.D.: "Mittelerde: Schatten des Krieges") ist gewissermaßen Fanfiction deluxe, die sich die Rechteinhaber noch dazu teuer ablösen lassen: Die Welt von J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe", durch die Verfilmungen durch Peter Jackson endgültig vom Kultbuch zum Pop-Phänomen mit Millionenpublikum aufgestiegen, ist hier die Folie, vor der sich eine Geschichte entspinnt, mit der der Literaturprofessor aus Oxford vermutlich seine Probleme gehabt hätte. Millionen Fans weltweit gibt das allerdings die Möglichkeit, wieder in sein ikonisches Fantasy-Universum voller Orks, Hobbits und Elben abzutauchen.

Nichts für Zartbesaitete: So spielt sich "Middle-earth: Shadow of Mordor"
WIRSPIELEN

Mittelerde-Fanfiction

Und: darin die Hauptrolle zu spielen, wie es sich für ein interaktives Medium gehört. Die Geschichte setzt nahtlos nach dem Ende des ersten Teils "Shadow of Mordor" von 2014 an und bleibt – so viel vorweg – eher belanglos. In der Gestalt von Talion, des untoten Menschenkriegers, der durch den Geist des mächtigen Elben Celebrimbor vor dem Tod bewahrt wurde, kämpfen Spielerinnen und Spieler wieder Jahre vor den Ereignissen des "Herrn der Ringe" in Mordor gegen die sich formierenden Armeen Saurons.

Ein neuer Ring der Macht spielt ebenso eine Rolle wie Gollum sowie einige weitere alte Bekannte – die größten Freiheiten haben sich die Franchise-Nehmer Monolith bei der aus den Büchern bekannten Riesenspinne Kankra (im Original: Shelob) herausgenommen, denn die mutiert im Videospiel vom ekelhaften Monstrum zur – war ja klar – verführerischen Goth-Lady. Das und vor allem das dem Geist der Bücher eigentlich widersprechende Grundkonzept vom übermächtigen Fantasy-Rächer, der sich maximal blutig und oft aus dem Hinterhalt allein gegen Mordor stellt, dürfte für so manche Zusatzrotation in Tolkiens Grab sorgen.

Open-World-Kampfplatz

Wie erwähnt ist die in Story-Missionen und aufwendigen Cutscenes erzählte Geschichte allerdings fast Nebensache, denn als Open-World-Spiel steht die spielerische Freiheit an oberster Stelle. Wie im Vorgänger stehen Talion nach und nach riesige Areale zur freien Erforschung offen. Neben den die Geschichte voranbringenden Missionen gibt es auch hier wieder fast endlose Beschäftigungsangebote, von Sammelquests über Geschicklichkeitsprüfungen bis hin zu kleinen Nebenmissionen. "Shadow of War" hält sich hier wie Teil eins an die Open-World-Erfolgsformeln der Marke Ubisoft und bietet einen riesigen Spielplatz, auf dem man andauernd beschäftigt ist – dass bei dieser Dauerbespaßung die beeindruckend gestaltete Umwelt oft zur auswechselbaren Kulisse verkommt, man viel Zeit mit dem systematischen Abklappern von Punkten auf der Minimap verbringt und mit die Dramatik der Story konterkarierendem Kleinkram beschäftigt ist, ist ein Makel, den die meisten Open-World-Spielplätze dieser inzwischen schon recht altbackenen Designschule gemeinsam haben.

Der Spielcharakter lässt sich wie gehabt mit zahlreichen Fähigkeiten und Gegenständen zur wandlungsfähigen Kampfmaschine ausrüsten; Schleichen und Angriffe aus dem Hinterhalt verblassen allerdings spielerisch angesichts des beeindruckend brachialen Repertoires an Attacken und Kampfmöglichkeiten ein wenig. Nicht nur Talions De-facto-Unsterblichkeit, auch seine Fähigkeit, fast allen Gegnern einfach rasend schnell davonlaufen und akrobatisch über so gut wie jedes Hindernis klettern zu können, lassen wenig Notwendigkeit zur Vorsicht aufkommen. Eher sucht man den Kampf: Das von der "Arkham"-Reihe inspirierte Kampfsystem zaubert mit nur wenigen Tastendrucken akrobatische Prügeleien auf den Bildschirm, in denen der Einzelkämpfer Talion auch gegen unzählige zugleich antretende Gegner bestehen kann – äußerst blutige Exekutionen und Spezial-Moves inklusive.

Unter Uruks

Die Leidtragenden und Opfer des blutigen Guerrillakriegs sind wie zuvor die zahllosen Orks, die diese Welt bevölkern, und wieder spielt hier das "Nemesis"-System seine Stärken aus. Die Gegnerschaft besteht nämlich nicht nur aus namenlosem Kanonenfutter, sondern auch aus mit Namen, besonderen Fähigkeiten und Charakter ausgestatteten Captains und Häuptlingen, die sich bei jedem Aufeinandertreffen mit einem kurzen Monolog zu Wort melden und dem Spieler durchaus öfter über den Weg laufen. Diese Orks sind die heimlichen Hauptfiguren des Spiels und trösten über die eher farblosen "guten" Hauptfiguren mehr als hinweg – so sehr, dass man sich heimlich beinahe ein Spiel ganz ohne Elben, Menschen oder andere Störenfriede wünscht.

Vor allem die stärkeren Exemplare der Orks stellen durchaus auch eine spielerische Herausforderung dar, sodass es sinnvoll wird, vorab ihre Stärken und Schwächen auszukundschaften. Wenn uns etwa der grimmige Häuptling Ham der Herzlose wiederholt ins nur vorübergehende Jenseits schickt, ist es gut zu wissen, dass er zwar immun gegen Attacken aus dem Hinterhalt ist, aber dafür beim Anblick der raubtierhaften Reittiere in Panik gerät. Übrigens ist auch der Tod der illustren Ork-Feinde nur temporär: Immer wieder tauchen eigentlich besiegt geglaubte Gegner wieder auf, tragen die Spuren unserer vorigen Duelle und beziehen sich auch in ihren Schmähreden auf frühere Begegnungen. Wie schon im Vorgänger tragen diese Momente unglaublich viel zum Spielspaß und zur Atmosphäre bei.

Neben zahllosen Orks in allen Größen und Farben bevölkern auch andere, durchaus gefährlichere Lebewesen die Welt – von Ghulen über wilde Tiere bis hin zu riesenhaften Trollen, Graugs, Drachen und einem leibhaftigen Balrog.

Belagerungen und Loot-Boxen

Wie im Vorgänger lassen sich nach Absolvierung einiger Missionen die Orks nicht nur bekämpfen, sondern auch auf unsere Seite bringen – und hier bietet "Shadow of War" auch Innovation: Die unterworfenen Monster lassen sich nämlich nicht nur als Leibwächter für schwere Kämpfe herbeirufen, sondern stellen auch in den neuen, spektakulär inszenierten Festungsbelagerungen eine unverzichtbare Hilfe dar.

Die riesigen Festungen lassen sich mit tatkräftiger Unterstützung in mehreren Kampfphasen einnehmen und dürfen dann in Besitz genommen, ausgebaut und mit eigenen Truppen verteidigt werden – gegen Saurons Armeen, aber auch gegen Angriffe echter Spieler aus dem Internet in einer Art "asynchronem" Multiplayer-Modus. Diese Verteidigungen gegen echte Spieler werden zwar nicht aktiv gespielt, sondern wirken sich nur auf die Online-Rangliste aus, die eigenen Angriffe auf von anderen Spielern errichtete und befestigte Burgen stellen allerdings neben "Online-Vendettas" einen netten Zusatzmodus zur Verfügung, der auch nach Absolvierung der etwa 40 Stunden langen Kampagne weiter motiviert.

Hier kommt leider auch eine weitere "Innovation" zum Tragen, die nicht nur für Begeisterung sorgt: Wie so manche andere Vollpreisspiele meint auch "Shadow of War" nicht auf Mikrotransaktionen verzichten zu können. In einem spieleigenen Markt lassen sich Loot-Boxen mit ungewissem Inhalt gegen im Spiel auffindbare Währung, aber auch gegen Echtgeld kaufen, in denen dann – deutlich häufiger als im Spiel selbst – besonders mächtige Ork-Unterstützer zu finden sind. Auch Erfahrungspunkte-Boosts oder besondere Ausrüstungsgegenstände können so gekauft werden.

Vor allem im Endgame nach dem Abschluss der Kampagne, das hauptsächlich den Belagerungen und dem Ausbau der eigenen Armee gewidmet ist, bringt die nötige Zeitinvestition nach Vorstellung der Entwickler sicher den ein oder anderen Spieler dazu, statt stundenlangem Grinding nach tatkräftigen Truppen einfach die Geldbörse zu zücken. Das mag zwar nicht nötig sein – auch ohne echtes Geld auszugeben lassen sich mit der nötigen Spielzeit alle Assets freischalten – und es ist auch weit entfernt von "Pay2Win", doch es bleibt ein unangenehmer Beigeschmack.

Fazit

"Middle-earth: Shadow of War" ist eine recht "klassische" Fortsetzung, die einen guten ersten Teil erweitert, vergrößert und mit einigen wenigen Innovationen noch verbessert.

Wer Spaß am ersten Teil hatte, findet hier verlässlich hochqualitativen Nachschub, doch auch Neueinsteiger können getrost mit "Schatten des Krieges" nach Mittelerde starten. Und das trotz kleiner Mängel: Als Open-World-Spiel nach inzwischen altbekanntem Schema leidet es sowohl an dessen altbekannten Schwächen wie auch – trotz berühmter Franchise – ein wenig an farbloser Story, die man eher wegen der notwendigen Freischaltung aller Fähigkeiten und Gebiete denn aus atemloser Spannung vorantreibt. Dass vor allem das Langzeitmotivation versprechende Endgame durch optionale Mikrotransaktionen vereinfacht und so gesehen verwässert wird, ist ebenso ein Kritikpunkt.

Dafür entschädigen allerdings die farbenfrohen und originellen Widersacher, zu denen man dank "Nemesis"-System jedes Mal neu und spannende Beziehungen eingeht. Tatsächlich sorgt das schon im ersten Teil gelobte System für weitaus spannendere Erlebnisse und Geschichten als die Hochglanz-Fanfiction der Story selbst, und das nur kraft ihrer Fähigkeit, per "Emergent Gameplay" immer neue und zufallsgenerierte Intimfeindschaften zu generieren. Dass dieses System nun auch spielerisch vermehrt genutzt wird, erhebt "Schatten des Krieges" vom guten Open-World-Klon mit teurer Kulisse zum außergewöhnlichen, blutigen Fantasy-Spielplatz mit unnachahmlicher Bevölkerung. (Rainer Sigl, 10.10.2017)

"Middle-earth: Shadow of War" (Mittelerde: Schatten des Krieges) ist ab 18 Jahren für Windows-PC, PS4 und Xbox One erschienen. UVP: ab 59,99 Euro.