Wird zum Luxusgut: Forschen und Nachdenken

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Das gesellschaftlich verfügbare Wissen ist nicht von den Forschern und ihren Arbeitsbedingungen zu trennen. Wer Wissensarbeit betreibt und wer der Wissenschaft verloren geht, ist gesellschaftspolitisch höchst relevant. Wöchentlich erscheinen im Forschung Spezial des STANDARD Berichte über "Geistesblitze". Ich sehe in meiner Lehr- und Forschungstätigkeit jedoch jede Menge kluge, junge Menschen, die aufgrund der Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen gerade an den Universitäten keine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen oder gar können. Denn der österreichische Wissenschaftsbetrieb beruht – vor allem was den Nachwuchs betrifft – zu großen Teilen auf der Arbeit von in Drittmittelprojekten befristet angestelltem und unterdurchschnittlich bezahltem Personal, dem kaum Zukunftsperspektiven geboten werden.

Aus Sicht der Universitäten als unternehmerische Hochschulen basieren diese Arbeitsverhältnisse auf drei Gründen. Erstens Kostengründe: Wer nur befristet angestellt ist oder gar eine Forschungsarbeit als Werkvertrag erfüllt, verursacht geringere Personalkosten oder kann überhaupt gleich als Sachkostenpunkt verwaltet werden, was durch den Wegfall der Lohnnebenkosten die günstigste Variante darstellt; zweitens strategische Gründe wie etwa eine erhöhte Flexibilität bei der Personalplanung, die Umgehung des Betriebsrates und die Weitergabe des unternehmerischen Risikos; schließlich sind soziale Gründe nicht außer Acht zu lassen. Dabei handelt es sich vor allem um einen Disziplinierungseffekt: Steigende Konkurrenz zwischen den Beschäftigten führt zu einer erhöhten Akzeptanz von Einkommenseinbußen und ungünstigen Arbeitsbedingungen. Die Sorge, sich durch Kritik an diesen Beschäftigungsverhältnissen eine mögliche Karriere in der Wissenschaft zu verbauen oder überhaupt in der Erwerbslosigkeit zu landen, lässt viele auch gegenüber Gewerkschaft und Arbeiterkammer verstummen.

Den Regeln des Marktes unterworfen

Das Universitätsgesetz 2002 hat die geschilderten Zustände weiter befördert, indem es die universitäre Wissenschaft institutionell vollkommen den Regeln des Marktes unterwarf. Dem globalen Wettbewerb ausgeliefert, der durch ein dichtes staatliches Steuerungssystem von Wissensbilanzen und strategischen Ziel- und Leistungsvereinbarungen gestützt wird, sind die Hochschulen und ihre Wissensarbeiter zu Outputorientierung, privatwirtschaftlicher Unternehmensführung und Auditlogik angehalten. Forscher haben somit Scientific Entrepreneurs zu sein, die jede Tätigkeit strategisch auf ihre weitere Verwertung im wissenschaftlichen Lebenslauf beurteilen. Was hierfür nicht beziffer- und indexierbar ist, wie etwa besonderes Engagement in der Lehre, Studierendenberatung, Betriebsratszugehörigkeit – also die für eine Universität eigentlich zentralen gemeinschaftsbildenden und systemerhaltenden Arbeiten – hat keinen Wert und bleibt daher am ehesten auf der Strecke.

Die Projektförmigkeit, um die Wissensarbeit arrangiert ist, bedingt zudem eine jeweils kurze Verweildauer: mit dem speziellen Forschungsgegenstand, aber auch mit der Projektgruppe, mit dem Ort und der Institution. Die erfolgreichsten Wissensarbeiter sind nicht mehr lokal verankert, sondern forschen und publizieren nur noch für die und in der globalen Scientific Community. Sie sind damit zwar weltweit vermittelbar – Stichwort Employability –, aber der Gesellschaft und gar dem politischen Engagement entfremdet. Wichtig für erfolgreiche Wissensarbeiter ist die gute individuelle Performance, nicht das solidarische Wirken oder gar die öffentliche intellektuelle Intervention jenseits von meist englischsprachigen Fachjournalen. Wissensproduktion ist ein sozialdarwinistisches "Survival of the fittest".

Das Aufstiegsversprechen – eine Illusion

Besonders betroffen von jenen Arbeitsbedingungen sind Wissensarbeiter, die durch die Bildungsexpansion der sozialliberalen Ära an die Universitäten gekommen sind. Jene Arbeiterkinder, die sich für die Wissenschaft als Beruf entschieden, leben heute oft in sozioökonomisch schlechteren Situationen als ihre wesentlich geringer mit schulischer Bildung ausgestatteten Eltern. Das (sozialdemokratische) Versprechen sozialen Aufstiegs durch Arbeit erweist sich für diese Generation als Illusion. Es ist nicht nur eine individuell frustrierende Erfahrung, selbst mit hochqualifizierter Bildung und Wissensarbeit stets nur einen Abwehrkampf gegen den sozialen Abstieg zu führen, sondern diese prekäre Arbeitsweise erlangt gesamtgesellschaftliche Relevanz: Da sich an den akademischen Übergängen zum Doktorat oder zur Post-doc-Stelle stets die Frage stellt, ob man in der Wissenschaft bleibt, also diesen riskanten Weg weiter verfolgen will und kann, ist das verfügbare Volumen an ökonomischem Kapital höchst bedeutend. Denn nicht genehmigte Drittmittel und nicht erhaltene oder gering entlohnte Lehraufträge bedeuten für befristet Angestellte semesterweise finanzielle Durststrecken, die sich mit einem finanzkräftigen Elternhaus, einer Erbschaft oder anderen unterstützenden Netzwerken leichter überwinden lassen.

Sind Arbeiterkinder – übrigens ebenso wie Migrantenkinder – schon im Studium unterrepräsentiert, so sind sie es unter Forschern erst recht. Der Wissenschaft erhalten bleiben letztlich nicht die besten "Geistesblitze", sondern an österreichischen Universitäten können hauptsächlich jene reüssieren, das heißt unbefristete und höhere Stellen erreichen, die bereits ein akademisches und finanzkräftiges Herkunftsmilieu aufweisen können, das nicht nur Auslandsstudien und unbezahlte Praktika finanziert, sondern überhaupt zum Doktorat und zur Wissenschaft motiviert.

Wissenschafts- und Universitätspolitik ist Gesellschaftspolitik

Wissenschafts- und Universitätspolitik ist aber im Kern Gesellschaftspolitik und nicht zu vernachlässigen. Wer was unter welchen Bedingungen erforscht, wirkt sich unmittelbar auf das gesamtgesellschaftlich verfügbare Wissen aus. Da die finanzielle Grundlage der Wissensarbeit hauptsächlich kompetitiv einzuwerbende Drittmittel sind, wird jedoch erforscht, was hohe Outputvorhersehbarkeit verspricht und damit den Fördergebern gefällt.

Zudem konsumieren Audit- und Managementarbeiten einen erheblichen Teil der Arbeitszeit, sodass "zeitlose Zeit" – also Zeit, die nicht bereits dem Projekt und der eigenen Performance gewidmet ist – zum Luxusgut wird: Forschen und Nachdenken können sich tatsächlich nur einige etablierte Wissenschafter leisten; alle anderen füllen gerade Projektanträge oder Evaluierungsbögen aus oder lassen die Wissenschaft sein. Diese Form von Wissensproduktion zeitigt letztlich Effekte auf das produzierte und überhaupt vorhandene Wissen. Jede Woche frage ich mich bei der Lektüre der "Geistesblitze", wer es wohl gar nicht erst hierher geschafft hat und wer von den Porträtierten in einigen Jahren noch wissenschaftlich tätig sein wird. Und ich würde mir wünschen, dass dies nicht als individuelle, sondern als gesellschaftspolitische Frage erkannt wird. (Tamara Ehs, 11.10.2017)