Weniger als 20 User sind mit der FPÖ befreundet, 2.800 klicken das populärste Video des sozialdemokratischen Bundeskanzlers an, 127 Menschen folgen auf Twitter dem ÖVP-Kandidaten: So sah der Onlinewahlkampf bei der Nationalratswahl 2008 aus. Mittlerweile haben sich Facebook und Konsorten zu wichtigen Kampagnentools entwickelt – und zu einem Instrument, mit dem man im Wahlkampf politischen Gegnern, aber auch sich selbst Schaden zufügen kann: Stichwort Silberstein.

Die Anzahl der Fans ist in den vergangenen Jahren nahezu explodiert: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache liegt mit mehr als 740.000 Likes immer noch an der Facebook-Spitze, ÖVP-Obmann Sebastian Kurz ist ihm aber mit knapp 700.000 Likes dicht auf den Fersen – und hatte ihn Anfang September sogar kurzzeitig überholt. Weit abgeschlagen liegen Bundeskanzler Christian Kern (228.000 Likes), Matthias Strolz (85.500), Peter Pilz (33.000) und Ulrike Lunacek (19.500), die nicht einmal gemeinsam auf so viele Fans kommen wie Strache oder Kurz. Auffällig ist vor allem bei Strache der große Anteil an Fans aus Deutschland, um die der FPÖ-Chef offenbar auch aktiv wirbt. Bei Lunacek erklärt sich der große Anteil internationaler Fans wohl durch ihre langjährige Tätigkeit auf EU-Ebene.

Die Anzahl der Fans allein sei aber "nicht das einzige Gütekriterium eines Social-Media-Auftritts", gibt Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien zu bedenken. Auch das User-Engagement, also inwiefern User auf Postings der Kandidaten reagieren, sei "ein Anzeichen dafür, wie gut die Social-Media-Strategie aufgeht", so der Kommunikationswissenschafter, der im Wahlkampf untersucht hat, welche Reaktionen die Facebook-Posts der Kandidaten bei Nutzern hervorrufen.

Hier schneide SPÖ-Chef Christian Kern – trotz deutlich weniger Facebook-Fans als Strache oder Kurz – besonders gut ab, sagt Eberl. Die meisten Interaktionen gibt es laut Eberl, der an den nationalen österreichischen Wahlstudien (Autnes) forscht, prinzipiell bei Videos. Liveschaltungen der Kandidaten sind besonders beliebt.

Besonders seit Mitte August, also im Wahlkampfendspurt und nach der Verhaftung von SPÖ-Berater Tal Silberstein, nahm die Anzahl der Beiträge extrem zu. Heinz-Christian Strache liegt in diesem Zeitraum, was die Menge der Posts betrifft, an der Spitze. Bei der FPÖ hat man allerdings über Jahre nur auf den Facebook-Profil des Parteichefs gesetzt, weitere nennenswerte Accounts gab es – im Unterschied zu den anderen Parteien – nicht.

Was tut sich aber unter den Posts in den Kommentaren? Wie gehen die Parteien mit von Nutzern geäußerter Kritik um? Welche Postings bleiben auf den Seiten stehen, welche werden gelöscht? Und nach welchen Kriterien entfernen die Betreiber der Seite bestimmte Kommentare? Orientiert man sich am Strafrecht, oder werden womöglich auch Postings entfernt, die nicht in die Kampagne passen?

DER STANDARD hat sich angesehen, welche Postings zwischen 1. August und 30. September von den Facebook-Seiten von Kern, Kurz, Strache, Lunacek und Strolz verschwunden sind – und festgestellt, dass vor allem kritische, sachliche Postings verschwinden. Um die Analyse durchzuführen, wurden in regelmäßigen Abständen alle Kommentare abgespeichert und mit dem jeweils aktuellen Stand verglichen. Fehlt später ein Kommentar in der Liste, wurde er entfernt – entweder von den Social-Media-Betreuern der Seiten, Facebook oder dem Verfasser selbst. Berücksichtigt wurden Facebook-Pages mit mehr als 15.000 Likes sowie mehr als 100 gelöschten Postings pro Monat (Peter Pilz fällt etwa aus der Analyse, da auf seiner Seite zu wenige Kommentare entfernt wurden, Mirko Messner und Barbara Rosenkranz, weil sie zu wenige Likes haben).

Insgesamt wurden im untersuchten Zeitraum mehr als 230.000 Kommentare auf den Facebook-Seiten von Kern, Kurz, Strache, Lunacek und Strolz hinterlassen, davon wurden mehr als 15.000 als gelöscht identifiziert. Obwohl bei Lunacek am wenigsten gepostet wurde (1.127), kam es auf ihrer Seite zu den meisten Löschungen: Fast 40 Prozent der Kommentare wurden entfernt. Bei Strache wurde mit Abstand am meisten gepostet (131.751 Kommentare), zugleich aber am wenigsten gelöscht (5,7 Prozent).

Die größte Kategorie unter den gelöschten Postings bei Lunacek und Kern ist mit mehr als 46 Prozent "Kritik" – wobei der Grat zwischen Kritik und Beleidigung oft ein schmaler ist. DER STANDARD stufte Kommentare, die sachlich argumentiert und nicht persönlich beleidigend sind, als "Kritik" ein. Bei der Grünen-Spitzenkandidatin gab es hier etwa immer wieder Wortmeldungen, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellten. Die Grünen sagen hierzu, dass es "Kampfposter", "Wiederholungstäter" und "Fake-Profile" gebe, die immer wieder "ihre Themen platzieren" möchten.

Diese Beiträge würden entfernt, ebenso wie Hass, Homophobie, Sexismus, Rassismus und Beleidigungen unter Usern oder gegen die Spitzenkandidatinnen oder die Spitzenkandidaten der anderen Parteien. Auch "Wahlwerbung für andere Parteien, sei es durch Sujets oder Kommentare", sei unerwünscht, heißt es auf die Frage, warum auch viel sachliche Kritik – etwa am Streit mit den Jungen Grünen oder der Abspaltung von Peter Pilz – gelöscht wird. "Die Grünen hatten am wenigsten Zeit, um die Fanbase ihrer Spitzenkandidatin aufzubauen", sagt Kommunikationswissenschafter Eberl. Dazu komme, dass die Funktionen Parteichefin (Ingrid Felipe) und Spitzenkandidatin (Ulrike Lunacek) getrennt seien, daher also "keine klare Zuspitzung auf eine Person" stattfinde.

Bei Christian Kern wurden 46 Prozent der gelöschten Postings vom STANDARD als Kritik eingestuft. Dabei beschwerten sich Nutzer etwa über den Wahlkampfstil oder die Inszenierung des Bundeskanzlers – Stichwort Pizzabote. Von der SPÖ heißt es auf Anfrage des STANDARD, sie setze sich sehr wohl "mit Kritik auseinander". Allerdings behalte sie es sich vor, "kommentarlos gepostete Links oder wiederholt gepostete Inhalte zu löschen". Im Vergleich zu Strache und Kurz, die verstärkt auf Themen wie Migration und Islam setzen, führe Kern auf seinem Facebook-Account "eindeutig einen Positivwahlkampf", analysiert Eberl. Der Bundeskanzler meide hier "negativ besetzte Themen, wo es nur geht".

Anders ist das bei FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und ÖVP-Chef Sebastian Kurz, die verstärkt auf Themen wie Migration und Islam setzen. Das seien Themen, "die emotional aufgeladen sind – und daher auch entsprechende Emotionen bei ihren Fans hervorrufen können", sagt Eberl. Sie riefen oft Gefühle wie Angst und Wut hervor, die laut Forschungsergebnissen "mobilisierend" wirken können.

Auf der Facebook-Seite von FPÖ-Chef Strache finden sich nach wie vor menschenverachtende Postings, die nicht gelöscht wurden.

Mit 19 Prozent fällt die geringste Anzahl der gelöschten Postings bei Strache in die Kategorie Kritik. Dafür hat der FPÖ-Chef den mit Abstand höchsten Wert gelöschter Postings in der Kategorie "Hasserfüllter Kommentar". Darunter sind beispielsweise Postings zu verstehen, die rassistisch oder verhetzend sind, sich aber nicht gegen den Spitzenkandidaten oder die Partei richten. Das kann bedeuten, dass die Social-MediaManager, die Straches Seite betreuen, nun um einiges strikter in der Löschung von Kommentaren sind. In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Aufregung über menschenverachtende Postings auf der FPÖ-Seite gegeben.

Allerdings fand DER STANDARD in den vergangenen zwei Monaten auch hetzerische Kommentare, die nicht gelöscht worden sind – etwa ein Posting, in dem behauptet wird, 50 Prozent der "illegalen Invasoren" (gemeint sind Flüchtlinge) seien "HIV-positiv", oder ein Kommentar, in dem der Islam als "die Pest unserer Zeit" bezeichnet wird. Mehrfache Anfragen des STANDARD bei der FPÖ blieben unbeantwortet.

Die meisten Beleidigungen wurden anteilsmäßig mit 34 Prozent auf der Facebook-Seite von Matthias Strolz entfernt. Die Attacken bezogen sich oft auf Irmgard Griss, die Listenzweite der Neos. Die einzige weibliche Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek folgt mit einem Anteil von 18 Prozent an Beleidigungen unter den gelöschten Kommentaren auf Platz zwei. Das legt nahe, dass Politikerinnen im Netz eher Ziel von Beleidigungen werden. Die Neos sagen dazu, dass Frauen und Männer zwar prinzipiell gleich oft beleidigt würden, jedoch Frauen häufiger Beleidigungen ausgesetzt seien, die sich auf "Aussehen, Alter, Bekleidung und Sexualität" beziehen.

Die Werte der gelöschten Postings bei ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz ähneln dem Durchschnitt der anderen Kandidaten. Bei Kurz wird viel Kritik entfernt (35 Prozent), der Anteil an Beleidigungen bleibt mit 13 Prozent eher gering. In den gelöschten Postings wird Kurz etwa wegen seines Alters beleidigt oder es wird ihm vorgeworfen, das Programm der FPÖ zu kopieren, so ist von "Fake-Basti" oder der "Kopiermaschine Kurz" zu lesen. Auch Eberl spricht von einer "inhaltlichen Nähe" zwischen ÖVP und FPÖ. "Das weiß auch die FPÖ, die unter anderem in ihren Werbespots vor Kurz warnt." Eberl geht deshalb auch davon aus, dass sich die Fans beider Seiten teilweise überschneiden. Von der ÖVP äußerte sich trotz mehrfacher Anfragen niemand zu dem Thema.

Prinzipiell zeigt sich, dass die Kandidaten – laut Eberl vor allem Strache, Kurz und Kern – einen "außerordentlich professionellen Facebook-Auftritt" haben. Im Vergleich zum Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016, bei dem DER STANDARD eine ähnliche Untersuchung durchgeführt hat, ist dies auch in Bezug auf gelöschte Postings erkennbar. Damals war eine klare Tendenz sichtbar: Bei Alexander Van der Bellen wurden vor allem Beleidigungen, bei Norbert Hofer besonders oft Kritik gelöscht.

Unklarheiten bleiben bei der Behandlung von unerwünschten Facebook-Kommentaren jedoch nach wie vor bestehen. Der hohe Anteil an kritischen Postings unter den gelöschten Beiträgen zeigt, dass die meisten Parteien Facebook primär als Verlautbarungsorgan denn als Mittel zum Diskurs mit Kritikern begreifen. (Noura Maan, Fabian Schmid, Markus Hametner, 13.10.2017)