Jubel für Kurz, Spott für Kern: "Österreich" und "Krone" machten mit ihren Kampagnen Auflage und Politik.

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Wien – Dankbarkeit ist keine politische Kategorie und schon gar keine publizistische. "Wahl-Bombe: Kern hat geheime Firma in Israel", "Der rote Super-GAU", "SPÖ-Skandal Fall fürs Gericht" – diese Schlagzeilen setzte die Tageszeitung "Österreich" auf die Titelseiten des Blattes, das mehr als 500.000 Mal gedruckt und großteils verschenkt wird – gut gefüllt mit Inseraten von Ministerien und anderen öffentlichen Stellen, viele davon in roter Hand.

Am Sonntag vor der Nationalratswahl: "Kurz vor Kanzler-Krönung". Daneben eine Fotomontage des ÖVP-Chefs mit strahlender Krone auf dem Haupt. Den Bundeskanzler hatte das Blatt wenige Wochen zuvor im Prinzessinnenkleid gezeigt. In einem Land, das Verweiblichung als Degradierung versteht, mehr als ein Untergriff: eine Verhöhnung.

Inseraten-Storno

Kern reagierte erbost, sagte sämtliche Interviews mit der Zeitung ab und stornierte die – finanziell vernachlässigbaren – Inseratenbuchungen der Partei im Blatt. Für Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner Anlass, sich als Kämpfer für die Pressefreiheit zu inszenieren und gleichzeitig zu beteuern, dass man sich durch den Boykott weder einschüchtern lasse noch deswegen eine Kampagne gegen Kern führen werde.

In einem Leitartikel betont der Zeitungsmacher, der Abdruck einer internen Schwächenanalyse Kerns, die ihn als "Prinzessin" mit "Glaskinn" beschrieb, sei "in höchstem Maße politisch relevant". Dass Kern den Abdruck von "ein paar harmlosen Prinzessinnen-Karikaturen aus dem Internet" als Kampagne gegen die eigene Person werte, sei "eines Kanzlers nicht würdig".

Bei Kerns Vorgänger Werner Faymann (SPÖ) sei zu beobachten gewesen, wie, egal welches Amt er übernahm, "die Ausgaben für Inserate stiegen", sagt Peter Sim von der Rechercheplattform "Dossier" – auch an Österreich. "Da sind sicher Abhängigkeiten entstanden", nur offenbar nicht nachhaltig. Kerns Ankündigung, das Volumen von Regierungsinseraten zu reduzieren, seien bisher keine Taten gefolgt – das "Dossier"-Team konnte keine Einsparungen finden.

Millionen für die "Krone"

3,2 Millionen Euro flossen in Form von Inseraten öffentlicher Stellen und Unternehmen an "Österreich" – allein im April, Mai und Juni dieses Jahres. Nur zwei Millionen weniger als an die "Kronen Zeitung" – dabei erreicht diese laut Mediaanalyse fast viermal so viele Leser.

Die "Krone" liefert ihren Lesern auch vor dieser Wahl ihre fast schon traditionelle Kampagne. Deren Profiteur ist ÖVP-Chef Sebastian Kurz: "Krone"-Kolumnist Michael Jeannée himmelt Kurz schon seit Monaten offen an. Die jüngsten ÖVP-Pläne, einen eigenen Straftatbestand gegen schmutzige Wahlkämpfe einzuführen, griff die "Krone" jubelnd auf.

Kern dagegen wird in mehreren Ausgaben nachgetragen, dass er einen "Persönlichkeits-Check" aller Kandidaten mit der Begründung "weil das ein lächerlicher Gag ist" abgebrochen habe: "Schade, Herr Kanzler, dass Sie den 'Krone'-Lesern nicht zeigen wollen, wie Sie ticken", ätzt die Zeitung.

Dirty Campaigning als Wahlkampfthema, das hat die Bevölkerung der SPÖ zu verdanken. Der SPÖ und wer auch immer parteiinterne Dokumente an "Presse" und "Profil" weitergegeben hat, die belegen, wie Berater Tal Silberstein für die SPÖ Facebook-Seiten mit untergriffigen und teilweise rassistischen und antisemitischen Inhalten betreiben ließ. Die Namen ihrer Informanten behalten die Medien im Rahmen des Redaktionsgeheimnisses für sich.

Doch: "Es ist ja offensichtlich, aus welchem politischen Lager die Daten herausgegeben werden", sagt Meret Baumann, Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung" in Wien. Sie glaubt, "dass da ein ziemlich präziser Zeitplan dahinterstand, wann was geleakt wurde". Immerhin arbeiteten die Tages- und die Wochenzeitung stets im Gleichschritt.

Lassen sich freie Medien also von politischen Akteuren fürs Anpatzen der Gegner einspannen? Ja, meint Baumann – aber das sei an sich nicht illegitim: "Wenn man die notwendige journalistische Arbeit macht und Fakten sowie Quellen überprüft, dann ist es eigentlich logisch, dass man das bringt." Niemand lasse sich gerne instrumentalisieren – aber am Ende zählten das öffentliche Interesse und die Faktentreue.

Pferderennen, Politikverdruss

Es sei zwar problematisch, dass in den letzten Wochen inhaltliche Diskussionen von einer Schlammschlacht überlagert wurden. Aber "bei der Dimension, die diese Debatte auch unter den politischen Akteuren hatte, gab es wenige Möglichkeiten für Medien, nicht zu berichten", sagt die Korrespondentin. Angesichts der "konsensorientierten" politischen Kultur im Land reagiere man sehr empfindlich auf Wahlkampfschmutz.

Baumann sieht allerdings sehr wohl auch "das ernsthafte Bemühen der Medien, dass Inhalte transportiert werden, dass Analysen und Faktenchecks gemacht werden".

Ein Befund, den Josef Seethaler von der Alpen-Adria-Universität nur bedingt teilt. Der Kommunikationswissenschafter betont, Medien hätten eine Verantwortung dafür, auch nach der Wahl einen fruchtbaren politischen Diskurs zu ermöglichen – und dazu seien sie angesichts besserer Vertrauenswerte in der Bevölkerung eher in der Lage als Parteien.

Momentan würde der Journalismus aber eher einen Beitrag zur Politikverdrossenheit leisten, sagt der Wissenschafter: In den vergangenen Jahrzehnten habe sich die Gewichtung in der Berichterstattung von inhaltlichen Fragen zu "horse race issues" verlagert – "also: wer liegt vorne, wer will mit wem koalieren, wer patzt wen an". Aus Studien in den USA wisse man, "wenn wir nicht mit den Themen konfrontiert werden, die uns eigentlich interessieren, sondern mit Wadlbeißerei, dann haben wir irgendwann von Politik genug". Auch Qualitätsmedien würden im Wahlkampf dazu neigen, "horse race issues" in den Vordergrund zu stellen, sagt Seethaler: "Sie sind nicht davor gefeit." (Sebastian Fellner, 12.10.2017)