"Hilfe, ich bin obdachlos" und "Das Besetzen geht weiter", ist auf Häusern in Amsterdam zu lesen.

Foto: Karan Eliot

"Birdwatching Part 2" – wer einen Zettel mit diesem Code bekommt, hat in Amsterdam eine Einladung zur Hausbesetzung. Darunter stehen Datum, Uhrzeit und Ort. Unter der angegebenen Adresse finden sich an einem Sonntagnachmittag an die dreißig Menschen ein. Wie zur Spazierfahrt machen sie sich auf Rädern zu einem verlassenen Haus auf. Nur ein Lastenrad mit einem grünen Koffer, einem Werkzeugkasten und Holzlatten zum Verbarrikadieren der Tür verrät ihre Absicht. Der Weg führt in eine beschauliche Nachbarschaft.

Viele Amsterdamer sind mit dem Bild besetzter Häuser groß geworden. 1964 rief die Studentenzeitung Propria Cures erstmals dazu auf, leerstehende Häuser als Antwort auf Wohnungsknappheit zu besetzen. Die Bewegung gipfelte in Straßenschlachten mit der Polizei in den 1980er-Jahren. Es folgte eine Phase der Toleranz und Mäßigung. Als es schließlich stiller um die Szene wurde, gründeten Studierende eine Beratungsstelle für studentische Besetzer und solche, die es gern werden wollen. Die Studenten Kraakspreekuur SKSU besteht bis heute.

Auch der Anwalt Marcel Schickink Kool profitierte von Hollands entspannter Haltung gegenüber dem "Kraak". Er bewohnte gegen Ende seines Studiums ein besetztes Haus. Heute sei das Besetzerleben aber nur für wenige Studierende eine Alternative: "Es ist für sie zu riskant, und das Studentenleben ist heute dafür zu hektisch." Seit einer Gesetzesänderung 2010 finden sich immer mehr Hausbesetzer auf der Anklagebank, mit Schickink Kool als Anwalt an ihrer Seite. Als Höchststrafe drohen zwei Jahre Haft.

Feuerwerk und Charme

Diese Verschärfung spürt nun auch Het Spinhuis. Seit den Studentenprotesten 2014/15 gehört der besetzte Raum fest zur studentischen Infrastruktur. Als Veranstaltungsraum unter einer Brücke im Grachtenviertel Jordaan soll er ein Kontaktpunkt zwischen Akademie und Nachbarschaft sein. Denn die Wissenschaft sei viel zu weit von der Gesellschaft entfernt, so das Credo der Studierenden. Nun droht die polizeiliche Räumung. Die Gruppe kündigt an sich zu wehren. "Mit Zähnen. Mit Barrikaden. Mit Wörtern und Feuerwerken, Sprayfarbe und Charme", heißt es auf ihrer Website.

In der Gruppe um Het Spinhuis hallt der Geist der 1980er-Besetzerszene nach. Zeitgleich unterstützen heute viele ihrer Studienkollegen ihren größten Gegenspieler. Anti-Kraak-Firmen machen das Verhindern von Besetzungen zum Geschäftsmodell. Sie quartieren Personen gegen ein Entgelt in leerstehende Büroräume, Arztpraxen oder Häuser ein und halten so ungeladene Bewohner fern.

Eine von ihnen ist die Geschichtestudentin Eva. Auch für sie kam eine Hausbesetzung nicht infrage: "Als Hausbesetzer fällst du aus dem System. Und als Student bist du im System, du musst registriert sein." Eigentlich spricht sie sich für Besetzungen aus. Die niedrige Miete sei für sie der einzige Grund in einem Anti-Kraak zu leben. Selbiges gelte für all ihrer Bekannten, die sich für diese Option entschieden haben.

Trotzdem hat Anti-Kraak seinen Preis, warnt Schickink Kool: "Man kann ohne weiteres sagen, dass Antibesetzer weniger Rechte haben als Besetzer." Mit ihrer Unterschrift treten sie den gesetzlichen Mietrechtsschutz ab. Sie können ohne Angaben von Gründen kurzfristig vor die Tür gesetzt werden. Auch eine Schwangerschaft oder ein zu langer Urlaub gelten als Kündigungsgrund.

Prekäres Wohnen

Trotzdem zwingt der Wohnungsmarkt viele Studierende in dieses prekäre Wohnverhältnis. Der niederländischen Zeitung Het Parool zufolge fehlen rund 12.000 Unterkünfte für Studierende in Amsterdam. Die Situation habe in den vergangenen fünf Jahren unhaltbare Ausmaße angenommen, sagt Rob Boemen von der Amsterdamer Studentenunion. Diese drängt die Stadt, vermehrt in sozialen Wohnbau zu investieren.

Die Besetzer wollen zeigen, "dass es immer mehr leerstehende Gebäude gibt", sagt einer der Aktivisten. In ihrer Nachbarschaft finden Hausbesetzer deshalb oft Rückhalt. So auch im Fall von "Birdwatching Part 2". Ein Mann führt seine Bulldogge vorbei, während der Rammbock hinter Leintüchern gegen die Wohnungstür knallt. Er nimmt die Situation jedenfalls gelassen: "Macht etwas Schönes daraus!" (Marlis Stubenvoll, Alicia Prager aus Amsterdam, 16.10.2017)