Glaubt man den Schlagzeilen, läuft in Österreich der schmutzigste Wahlkampf aller Zeiten. Die Fixierung darauf verstellt den Blick auf das, was diesen Wahlgang – durchaus im EU-weiten Trend – so besonders macht: Es steht nicht nur die einfache Abwahl einer "ewigen" Regierung ins Haus. Es geht um tiefergehenden Wandel – wie in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Deutschland.

Die alten Machtkonstellationen funktionieren nicht mehr. Parteilandschaften werden bunter. Manche Parteien brechen ganz weg. Der Weg zu Neuem à la Macron wird frei – auch zu neuen Koalitionen wie "Jamaika" in Berlin.

Das "dirty" in Österreich ist kein Zufall. Es geht "um alles". Die Politik war seit 1986 oft gelähmt vom ewig bösen Zank von Rot-Schwarz – und vom Szenario, dass die EU-skeptische FPÖ den Durchmarsch schafft und den Kanzler stellt. Und jetzt? SPÖ und ÖVP leiden an politischem Libidomangel. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stellt nicht einmal den Kanzleranspruch. Schlecht? Nein, zum Glück!

Mit Liberalen, Grünen und Liste Pilz gibt es gleich drei seriöse Kleinparteien, alle regierungstauglich. Umso mehr müsste darüber geredet werden, wie und mit wem ein echter Neuanfang gelingen könnte, den Sebastian Kurz oft beschwört. Würde der ÖVP-Chef mit Blick auf den EU-Vorsitz Österreichs 2018 Schwarz-Blau meiden, eine Minderheitsregierung versuchen? Oder SPÖ-Chef Christian Kern, wenn er vorn bleibt? Sind die Blauen EU-Vorsitz-tauglich? (Thomas Mayer, 12.10.2017)