Autorin Cornelia Travnicek: "Heute will ich etwas wagen, was nicht viele tun – hoffnungsvoll in die Zukunft blicken."

Foto: Volkskultur NÖ / Lackinger

Beinahe wäre der Untertitel in einem ersten Entwurf "Die Geschichte einer natürlichen Feindschaft" geworden – was jedoch nichts mit meinen eigenen Erfahrungen bei der Verfilmung meines Romans "Chucks" zu tun hat, das versichere ich Ihnen. "Die Geschichte einer natürlichen Feindschaft" also, und es hätten sich in der internationalen Historie der Literaturverfilmungen so einige Beispiele gefunden, um die Behauptung dieses Untertitels belegen zu können.

Dabei muss man weder lange zurückblicken, wie die gerade eben erst in unseren Kinos gelaufene und absolut nicht der Vorlage gerecht werdende Verfilmung des Erfolgsromans "The Circle" von Dave Eggers durch den Regisseur James Ponsoldt beweist. Man muss dafür auch nicht weit blicken, wie die Besprechungen der filmischen Umsetzung von Daniel Kehlmanns Weltbestseller "Die Vermessung der Welt" durch Detlev Buck, der hier sowohl für Regie als auch Drehbuch verantwortlich zeichnete, klar zeigen: Eine "karikierende Bilderflut" nennt "Die Zeit" den Film, und bei den Bewertungen auf der International Movie Database erhält er im Durchschnitt gerade einmal die Note 5,8 von 10. Und das obwohl der Autor Kehlmann selbst noch die Erstversion des Drehbuches verfassen durfte! Selbst dann hat der Film es also noch geschafft, den Erfolg der Erfolgsstory in einem anderen Medium zu verhindern!

Auch in Österreich haben wir prominente Beispiele gescheiterter Ehen zwischen Buch und Kino: 2011 versuchte sich Fernsehpublikumsliebling David Schalko an "Wie man leben soll" von Everybody’s Bad Boy Thomas Glavinic, das Drehbuch dazu schrieb Thomas Maurer und heraus kam … nun, weder "Der Standard" noch "Die Presse" konnten sich trotz großen Wohlwollens in etwa der gleichen Tonlage dazu durchringen, das Ergebnis für gelungen zu befinden – und wenn der "Standard" und die "Presse" einmal einer Meinung sind, ist eigentlich schon alles gesagt. Aber, wird der eine oder die andere von Ihnen jetzt vielleicht anmerken wollen: In diesen Fällen waren es durchwegs männliche Autoren, die den wackeligen Flugversuch ihrer Texte als Bewegtbilder mitansehen mussten, und Sie, Frau Travnicek, sprechen hier explizit von der Autorin.

Da hat der eine oder die andere recht, und zu den Autorinnen komme ich noch, und ein besonders prominentes Beispiel des Ringens zwischen Filmemacher und Autorin möchte ich Ihnen darum hier gleich nennen, ein Beispiel, das nicht nur eine von vielen Geschichten, sondern Showbusiness-Geschichte ist, und das wiederum, in einer ironischen Anwandlung des Mediums, vor einigen Jahren unter dem Titel "Saving Mr. Banks" ebenfalls zum Film wurde: Das Zusammentreffen von P. L. Travers und Walt Disney, dem wir ein superkalifragilistischexpiallegetisches Film-Musical verdanken: "Mary Poppins".

An dieser Stelle habe ich an Sie, geschätztes Publikum, zwei Fragen, und ich bitte Sie, diese Fragen per Handheben zu beantworten.

1. Wer von Ihnen hat den Film "Mary Poppins" gesehen? 2. Wer von Ihnen hat eines oder mehrere der Mary-Poppins-Bücher gelesen? 3. Wer von Ihnen wusste, dass es mehr als ein Mary-Poppins-Buch gibt?

(Die dritte war nun eine Überraschungsfrage, denn ich bin mir sicher, dass viele von Ihnen schon vorher wussten, was ich fragen und worauf ich mit diesen ersten beiden Fragen hinauswill.)

Was wäre aus P. L. Travers' "Mary Poppins", den Büchern, geworden – über 80 Jahre nach ihrem Erscheinen, ohne diese Verfilmung? Was ist mit dieser Verfilmung aus ihnen geworden? Und sehen wir Walt Disneys mit fünf Oscars prämierte "Mary Poppins" von 1964 deshalb als erfolgreiche Literaturverfilmung an? Das ist eine Frage, auf die wir, ganz allgemein später, ob nun in der Podiumsdiskussion, oder Sie, liebes Publikum, in ihren persönlichen Gesprächen, noch zurückkommen können und, ich bin mir sicher, auch werden.

Aber Sie hätten vielleicht gerne, dass ich, nach der anfänglichen Aufzählung an wenig erfolgreichen filmischen Umsetzungen von Literatur, nun eine ganz andere Frage stelle, die Sie sich eventuell auch schon einmal nach einem enttäuschenden Kinobesuch so oder ähnlich gestellt haben: Was ist das grundsätzliche Problem einer Literaturverfilmung, die so vielen realisierten Projekten die Atmosphäre eines von vorher eingeschriebenen Scheiterns verleiht?

Zuerst wären da die unvermeidlich enttäuschten Erwartungen der Fans des Buches, denn grundsätzlich ist erstens so gut wie jeder Erwartung die Enttäuschung inhärent, und zweitens gibt es im Vorfeld einer Verfilmung eines Erfolgsromans dieser gar viele.

Wenn es um den speziellen Fall der Erwartungen vor dem Sehen einer Literaturverfilmung geht, handelt es sich, zumindest für die Leserinnen und Leser, die mit dem Text bekannt sind, um eine Konfrontation mit der eigenen Leseerfahrung. Einerseits ist es die durchaus positive Möglichkeit, die eigene Leseerinnerung mit der Sichtweise mindestens eines anderen Menschen auf den Text abzugleichen, sich damit auseinanderzusetzen, andererseits ist es das potenziell ungute Erlebnis, die eigenen von übermächtigen Bildern auf Leinwandbreite wenn nicht verifiziert, dann abgewertet – oder gar als falsch hingestellt zu sehen. Eine Literaturverfilmung an sich ist eine zweifach einseitigen Diskussion, in der die Macht der Deutungshoheit ungleich verteilt wurde.

Grundsätzlich ist der Kinobesuch im Gegensatz zum Lesen von Büchern ein gemeinschaftliches Erlebnis (und die Soziologie unterstellt dem Menschen gerne, dass er solche schätzt). Im Falle einer Literaturverfilmung ist jedoch jede Nichtübereinstimmung der projizierten Bilder mit denen im eigenen Kopf eine schmerzliche Erfahrung von intellektueller Einsamkeit, und je kleiner die Überschneidung, umso weiter wächst diese Erfahrung des Alleinestehens an, das Erlebnis wird in sein Gegenteil verkehrt.

Es geht noch tiefer ins Persönliche hinein: Es betrifft mich selbst, wenn der Film an meiner Version des Textes vorbeigeht, denn im Lesen suche ich in mir Verständnis für den Text, und gleichzeitig suche ich im Text nach Verständnis für mich selbst. Und habe ich dieses in einem Buch finden können, ist jeder Angriff der Verfilmung auf mein Textverständnis gleichzeitig ein Angriff auf mein Selbstverständnis.

An diesem Punkt der Rede angelangt, denkt sich die eine oder der andere unter Ihnen vielleicht gerade, dass ich doch eine etwas negative Grundeinstellung gegenüber Literaturverfilmungen hätte. Mitnichten, sage ich Ihnen, mitnichten. Aber hätte ich die, so wäre sie nur berechtigt.

Das Filmemachen aus literarischen Texten muss dem Schriftsteller, der Schriftstellerin suspekt sein. Denn gerade als professionelle Wortsetzerin muss man sich dessen, was man sagen möchte, sehr genau bewusst sein – und diesem "Was" ist das "Wie" implizit eingeschrieben. Die Verfilmung ist nichts Geringeres als das Ansinnen, dieses "Wie" grundsätzlich infrage zu stellen und greift im zweiten Schritt gleich auch noch nach dem "Was".

Ja, das Filmemachen an sich muss dem Schriftsteller, der Schriftstellerin ein wenig suspekt sein. Wir sind uns der Wirkmächtigkeit der bewegten Bilder bewusst. Diese sind mit weniger persönlichem Aufwand (sowohl was die Zeit als auch was die Konzentration angeht) zu konsumieren und sie überlagern oft die angelesenen, beziehungsweise verstellen den lesbaren im schlimmsten Fall von vornherein den Platz in Herz und Hirn unseres Publikums.

Aber umgekehrt, so denke ich mir, muss auch die Schriftstellerei an und für sich dem Filmemacher, der Filmemacherin ein ständig entzündeter Holzsplitter in der Handfläche sein. Er oder sie muss es uns neiden, dass wir gänzlich alleine arbeiten können, dass uns die Produktion nicht mehr als Zeit kostet und die Spezialeffekte gratis sind, und, das Wichtigste: Dass wir die Leserin, den Leser zu Komplizen unserer Literatur machen können – denn man kann Bilder, die im eigenen Kopf entstehen, nicht auf Distanz halten. Vor Bildern, die im eigenen Kopf entstehen, kann man die Augen nicht verschließen.

Verstehen Sie mich nicht falsch – ich bin ein ausgesprochener Fan von Literaturverfilmungen. Eine Literaturverfilmung ist ein Glücksfall. Eine Literaturverfilmung ist ein Kompliment. Will jemand einen Film aus einem Text machen, so ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass sich hier eine größere Inspiration Bahn bricht. Die eigene Idee in ein weiteres Medium übertragen zu sehen, addiert nicht etwas, es multipliziert auch nicht bloß, nein, es potenziert – Währungen in allen Formen, von Aufmerksamkeit bis Zugewandtheit.

Der Filmemacher und die Autorin. Gar leicht kann zwischen diesen beiden der Grundverdacht aufkeimen, der eine meine es besser zu wissen als die andere.

Der Filmemacher und die Autorin. 1.300 Verfilmungen österreichischer Literaturvorlagen verzeichnet die Datenbank des Literaturhauses Wien seit dem Beginn der Filmgeschichte, 234 alleine von 2000 bis 2017, das inkludiert Kurz- und Poesiefilm. Leider ist mein Titel hier schon wieder nicht ganz treffend, denn überwiegend sind es männliche Autoren, deren Werk verfilmt wurde. Schnitzler, Horvath, Kafka, Hofmannsthal, Zweig. Haas, Kehlmann, Glavinic, Komarek. In den letzten 20 Jahren waren von allen umgesetzten österreichischen Stoffen nur knapp 17 Prozent von Autorinnen. Wie es scheint, bekommen diese eher wenige Komplimente aus der Filmbranche. Und doch, gerade einige der international erfolgreichsten dieser Produktionen basieren auf Büchern von Frauen.

Der Filmemacher und die Autorin, das große Österreich-Special: Michael Haneke und Elfriede Jelinek. Haneke präsentierte 2001 Jelineks "Die Klavierspielerin" und erreichte damit über 2,5 Millionen Menschen auf der gesamten Welt.

Der Filmemacher und die Autorin: Eine österreichische Erfolgsgeschichte. Erst 2012 brachte der in der Steiermark geborene Julian Pölsler "Die Wand" von Marlen Haushofer nicht nur in die heimischen, sondern auch in die deutschen Kinos. Für "kongenial" befand der "Spiegel" die Umsetzung, und die "Zeit" schreibt von einem Seherlebnis nachhaltiger Wirkung. 2013 nominierte Österreich "Die Wand" als Einreichung bei den Oscars. Wie zu erwarten, gab es natürlich auch einige Kritiken, denen sich der Film nicht genug von der Vorlage löst, zu wenig eigene Sprache findet. Woran aber mag es liegen, dass die Verfilmung für viele so gelungen ist? Genau an dieser konsequenten Werktreue? An der Grundeinstellung Pölslers, dem laut eigener Aussage klar war, dass sein Film nie so gut werden konnte wie das Buch? An den zwanzig Jahren, die Pölsler auf die Filmrechte hatte warten müssen, sind zwanzig Jahre eine gute Inkubationszeit für ein Literaturverfilmungsprojekt?

Interessanter Fakt am Rande: Für diese Verfilmung oder eher durch diese Verfilmung kam Pölsler angeblich auch mit etwas in sich in Verbindung, das er seine "weibliche Seite" nennt und das seiner Einschätzung nach seine Arbeit grundsätzlich verändert hat. Für das Haushofer-Projekt hätte er lange nach einer weiblichen Koautorin gesucht, erzählte er in einem Gespräch mit einer Journalistin, aber er hätte einfach keine gefunden. Produziert wurde "Die Wand" von drei Männern.

Und da sind sie irgendwie auf einmal beide in einem Film: die unsichtbare Wand und die gläserne Decke.

Und als Unterstrich darunter diese eine Aussage, die manche nicht mehr hören können: Man hätte ja eine Frau gesucht, aber da sei einfach keine gewesen. Nirgends.

Und entschuldigen Sie, wenn ich jetzt ein wenig polemisch werde, aber man kann ja wirklich nicht verlangen, dass man, um auch nur eine einzige qualifizierte Frau zu finden, jeden Stein auf dem Weg umdrehen muss, als wäre man auf der Suche nach Würmern, um Angeln zu gehen. Das verstehen wir. Wie gut, dass Julian Pölsler am Ende in sich selbst fündig wurde. Es ist ein ganz großartiger Film dabei herausgekommen. Martina Gedeck als Hauptdarstellerin hat das Ihrige dazu getan, das darf hier keinesfalls unerwähnt bleiben.

Die Filmakademie Wien hat seit Jahren konstant etwa 40 Prozent Absolventinnen.

Im Jahr 2015 sah die Filmwirtschaft in Österreich so aus: Bei DrehbuchautorInnen war das Verhältnis weiblich zu männlich 32:68, bei RegisseurInnen 34:66 und bei ProduzentInnen 17:83. Die Anzahl der schaffenden Köpfe ist jedoch nur die halbe Wahrheit – lassen Sie uns etwas tun, was man in Österreich nicht gerne macht, sprechen wir über Geld. Die Budgetverteilung der Filmförderung in Zahlen an weibliche und männliche Filmschaffende: BKA (2 Millionen Euro) 45:55, ÖFI (15 Millionen Euro) 20:80, FFW (6,6 Millionen Euro) 17:83.[1] Gesamt gingen also etwa fünf Millionen an Frauen und circa 15,6 Millionen an Männer.

Dann kam 2016 und "Maikäfer flieg" nach dem Buch von Christine Nöstlinger – Regie Miriam Unger, Drehbuch Miriam Unger und Sandra Bohle, Produktion Gabriele Kranzelbinder, Kamera Eva Testor, Musik Eva Jantschitsch, Schnitt Niki Mossböck. Fällt Ihnen etwas auf? Sieben Auszeichnungen und Nominierungen hat "Maikäfer flieg" in Deutschland und Österreich bis heute erhalten.

In einer online verfügbaren Mitschrift zur VO "Österreichische Schriftstellerinnen" an der Universität Wien hat der oder die Schriftführende notiert: "Die Wirkung von österreichischen Schriftstellerinnen nach '45 ist überhaupt eine einzige große Verzögerung." Dass es im österreichischen Film nicht viel anders aussieht, kann man wohl guten Gewissens behaupten. Und oft genug haben wir, die weiblichen Kunst- und Kulturschaffenden, ein bisschen entnervt die Frage gestellt: Sind wir dann endlich bald da? Heute will ich etwas wagen, was nicht viele tun – hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Und ich wünsche mir sehr, dass sie alle mit einstimmen, wenn ich sage: Ja, bald.

[1] Quelle: http://www.fc-gloria.at/wp-content/uploads/Statistik_FCG_2011-15.pdf (abgerufen am 30. September 2017, 10:09)

(Cornelia Travnicek, 13.10.2017)