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Christian Kern wurde im Wahlkampf von einer Pannenserie geplagt.

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Es war Donnerstag, der 28. September, kurz vor 14 Uhr. Bundeskanzler Christian Kern war im Standard zum Chat eingeladen. Vor dem Gebäude in der Vorderen Zollamtsstraße wartete Georg Niedermühlbichler, Bundesgeschäftsführer der SPÖ, um seinen Chef abzupassen. Er müsse dringend mit ihm reden. Vertraulich und nicht am Telefon. Als Kern mit seiner Entourage eintraf, setzte sich Niedermühlbichler zu ihm in den Kleinbus. Fünf Minuten.

Der SPÖ-Manager berichtete, dass jetzt Indizien dafür aufgetaucht sind, wonach die Facebook-Kampagne gegen ÖVP-Chef Sebastian Kurz sehr wohl von Tal Silberstein ausgegangen war, dass diese in der Parteizentrale der SPÖ koordiniert worden war und dass ein enger Mitarbeiter Niedermühlbichlers den Auftrag dazu gegeben hatte, die Kampagne auch nach Silbersteins Verhaftung und der daraufhin erfolgten Vertragsauflösung durch die SPÖ fortzusetzen. Die Medien seien bereits an der Geschichte dran.

Die Reaktion von Kern: "Was soll schon sein?"

Was für eine Fehleinschätzung. Zwei Tage später trat Niedermühlbichler als Wahlkampfmanager und Bundesgeschäftsführer der SPÖ zurück. Die kommenden zwei Wochen gab es in der Innenpolitik kein anderes Thema mehr als Silberstein und seine schmutzigen Methoden. Der SPÖ flog der von ihr verursachte Skandal in allen Details um die Ohren, der Wahlkampf geriet zur Schlammschlacht. Kern war wieder einmal schwer in der Defensive.

Verräter und Maulwürfe

Die SPÖ versuchte, mit dem aufgewirbelten Schmutz auch andere anzupatzen, vor allem Kurz und sein Team. Die Suche nach Verrätern, Maulwürfen und Kollaborateuren begann. Die SPÖ-Kampagne kam zum Stillstand.

Es war nicht die erste Fehleinschätzung Kerns. Im Jänner 2016 hätte er es in der Hand gehabt, selbst Neuwahlen auszurufen – und diese zu gewinnen. In der Koalition ging nichts mehr weiter, die ÖVP bockte und dümpelte in den Umfragen vor sich hin. Kern ließ den "Plan A" ausarbeiten, präsentierte diesen in einer aufwendig inszenierten Rede in Wels und stellte der ÖVP ein Ultimatum.

Er war auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit, die Funktionäre lagen ihm zu Füßen: Was für ein souveräner, eloquenter und redegewandter Parteichef und Kanzler er doch war, vor allem im Vergleich zu seinem hölzernen Vorgänger Werner Faymann. Mit Kerns neuem Elan lag die SPÖ haushoch in allen Umfragen in Führung.

Doch Kern verließ der Mut. Daran waren vor allem zwei Berater schuld: Tal Silberstein und Michael Häupl. Während Silberstein Zweifel an der Durchschlagskraft und dem Gehalt der Marke Kern hatte, beschwor der Wiener Bürgermeister die Kontinuität der Regierung – vor allem deshalb, weil er selbst mit internen Fraktionskämpfen beschäftigt war und ein Wahlkampf ungünstig käme. Kern zögerte. Schließlich lenkte die ÖVP ein, stimmte allem zu, unterwarf sich scheinbar. Das Fenster zur Neuwahl war geschlossen.

Wenig Inhalt, nur ein Programm: Sebastian Kurz

Doch die Querschüsse aus der ÖVP hörten nicht auf. Am 10. Mai warf schließlich Reinhold Mitterlehner, der Kern ein halbwegs verlässlicher Partner in der Koalition gewesen war, entnervt alles hin und trat als Vizekanzler und ÖVP-Chef zurück. Die Stunde des Sebastian Kurz war gekommen. Auch für diesen war der Zeitpunkt nicht ganz vorhersehbar gewesen. Während Kern völlig auf dem falschen Fuß erwischt wurde, fand Kurz rasch wieder Tritt.

Seine Machtübernahme in der Volkspartei und die angestrebte Machtübernahme in der Republik waren längst minutiös geplant, das engste Team um Kurz hatte eine ausgefeilte Strategie vorbereitet. Die Jünger des Außenministers standen bereit, ebenso die Sponsoren, die eine großzügige finanzielle Unterstützung zugesagt hatten.

Kern war augenblicklich in der Defensive. "Wenn uns die ÖVP den Stuhl vor die Tür stellt, bedeutet das auch das Ende für eine rot-schwarze Zusammenarbeit für sehr lange Zeit", warnte er. Für Kurz war das keine Drohung. Er hat ohnedies andere Pläne. Nur zwei Tage nach Mitterlehners Rücktritt gab Kurz, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ÖVP-Chef, eine "persönliche Erklärung" ab: Es brauche eine grundlegende Neuaufstellung, er sei für einen Bruch der Koalition und rasche Neuwahlen. Das Angebot Kerns, die Regierungsarbeit in einer "Reformpartnerschaft" bis zum regulären Wahltermin im Herbst nächsten Jahres fortzusetzen, schlug Kurz aus.

Die ÖVP hatte keine andere Wahl, aber auch keinen anderen Wunsch, als Kurz zum Chef zu küren. Die Umfragewerte schnalzten binnen einer Woche um zehn Prozentpunkte hinauf – und blieben oben. Während Kern im Wahlkampf von einer Pannenserie geplagt wurde und seine Aversion gegen Kurz kaum in Zaum halten konnte, hielt die "neue" ÖVP Kurs und lieferte einen präzisen Wahlkampf ab. Wenig Inhalt, nur ein Programm: Sebastian Kurz. Dessen Botschaft: Veränderung. Sein Stehsatz, den er immer anbringt: "Wenn ich Bundeskanzler werde, dann werde ich die Kraft haben ..."

Leidlich gutes Verhältnis

Einer, der ihm diese Veränderung nicht abnimmt, aber als Koalitionspartner bereitsteht, ist Heinz-Christian Strache. Der FPÖ werden wieder einmal hohe Zugewinne vorausgesagt. Der Wahlkampf der Freiheitlichen lief, abgesehen von immer neuen braunen "Einzelfällen", die man hierzulande nur noch schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, ruhig und professionell ab.

Strache positionierte sich als besonnener Politiker, der Missstände ankreidet, in seiner Kritik aber nicht über die Stränge schlägt. Auffallend war sein gutes persönliches Verhältnis zu Kern. Mit Kurz läuft es leidlich gut. Der musste ihn immer wieder locken und daran erinnern, dass er doch ein Regierungsamt anstrebe – und dieses fast schon innehabe.

Von der Silberstein-Affäre hat Strache am meisten profitiert, er konnte sich aus der Schlammschlacht heraushalten und die schmutzigen Methoden der anderen beklagen – als ob sein General Herbert Kickl das Drehbuch für diesen Wahlkampf geschrieben hätte. Wer weiß, vielleicht wird auch das noch aufgedeckt.

Kurz selbst hat nicht ohne Boshaftigkeit einen Wettlauf zwischen sich und Strache herbeigeredet. Das war abfällig gegenüber der SPÖ gemeint, die er gar nicht mehr ernst zu nehmen scheint, andererseits auch eine Warnung vor allzu viel Veränderung: Ein möglicher Kanzler Strache mag die meisten doch erschrecken.

Tatsächlich tun sich die Meinungsforscher in ihrer Prognose am schwersten mit dem Abschneiden der FPÖ. Zu unterschiedlich und schwierig zu bewerten sind die Daten in den Umfragen. Unter der Hand gibt es eine vorsichtige Warnung: Es könnte knapper werden als gedacht. Die Auflösung folgt am Sonntag. (Michael Völker, 14.10.2017)