Repertoirebetriebsalltag, Risikofreude oder spätrömische Dekadenz? Vier Monate nach der Premiere bringt die Staatsoper ein Werk, das nicht zum unbedingt zum Kernrepertoire des Hauses gehört, in der zweiten Aufführungsserie unter der Leitung eines neuen Dirigenten – und die Titelpartien werden auch gleich von frischen Kräften interpretiert. Ja, warum denn nicht, wenn's funktioniert?

Pelléas verliebt sich also wieder in Mélisande, und Claude Debussy umrankt die märchenhafte Geschichte mit somnambulen, schillernden Klängen. Bernard Richter bezauberte als Pelléas mit goldglänzend timbriertem Tenor, der einen kraftvollen Kern samt einer weichen Ummantelung bot. Der Schweizer vermittelte so vokal Jugend, Kraft und Reinheit – ein Klaus Florian Vogt des lyrischen Fachs, quasi. Nur manche Spitzentöne wirkten noch leicht gepresst. Gänzlich vokaler Luxus war Christiane Kargs Mélisande: Sie schuf Töne wie weich schimmernde Juwelen, die sie zu geschmeidigen Kantilenenketten aneinanderreihte.

Nach einem farblosen ersten Akt steigerte sich Simon Keenlyside, bemühte sich um einen kehligen, kernigen Ton für den gefühlsverletzten Golaud. Und doch: Dafür, dass Keenlyside seine Qualitäten demonstrieren könnte, liegt die Partie meist zu tief. Im letzten Akt rührte er aber durch innige lyrische Klagen. Blass Janina Baechle als Geneviève, eintönig wohltönend Peter Rose als König Arkel. Im Orchestergraben machte es Daniel Harding gut, verhalf Fäulnisgeruch und Meeresfunkeln, Unheil und Sehnsucht zu klingender Gestalt und bot schließlich heftigen emotionalen Wellengang.

Die Inszenierung von Marco Arturo Marelli offerierte drei Stunden Bunkerhaft bei Wasser und Boot, samt punschkrapfensüßem Schlussbild. (end, 13.10.2017)