Arbeitet schreibend am Dilemma Mensch: Sibylle Berg.

Foto: Ingo Pertramer / Rabenhof

Sibylle Berg mit der Wiener Band Kreisky, bestehend aus Martin Max Offenhuber, Franz Wenzl, Klaus Mitter und Lelo Brossmann (von links).

Foto: Ingo Pertramer / Rabenhof

STANDARD: Sie waren jetzt zwecks Proben für einige Tage in Wien. Was haben Sie vom Wahlkampf mitbekommen?

Berg: Die Leute interessiert alles, was in meiner Wichtigkeitsordnung überhaupt nicht stattfindet und umgekehrt. Etwa Klimaschutz. Oder Überwachung: Metadaten – das ist gerade das Ding, interessiert aber keine Sau, denn das kann sich keiner vorstellen. Stattdessen suchen wir uns den kleinsten gemeinsamen Nenner – die Flüchtlinge. Wo man sich aber auch erstmal fragen könnte: Warum kommen die Leute? Haben wir vielleicht sehr lange gut gelebt, weil wir diese Länder von vorne bis hinten abgefickt haben?

STANDARD: Migration und Wohnkosten waren im Wahlkampf Thema und sorgen auch in "Viel gut essen" für Verunsicherung. Hauptfigur ist ein im Grunde erfolgreicher Mann, der sich als Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung sieht.

Berg: Das Stück war der Versuch, herauszufinden, was hinter all den Schreihälsen für die Rechten steckt. Es geht, glaube ich, einerseits darum, dass man alles, was man sich vorgestellt hat, nicht erreicht hat. Man hat sich vom Leben was Großes erwartet – und das ist nicht geliefert worden. Es geht um enttäuschte Erwartungen, die aber keiner versprochen hat. Andererseits geht es um den Zerfall der Welt, wie wir sie kannten. Es gelingt Pappnasen, sie in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zu ruinieren. Und jetzt muss man klarkommen mit einem Gegner, der aus vielen Ecken kommt, die man nicht fassen kann. Aber der Schluss ist ein absolut dummer: Wir wenden uns gegen die, die schwach, die anders sind. Was ändert das an meiner Situation?

STANDARD: Im Rabenhof adaptieren Sie "Viel gut essen" mit der Wiener Band Kreisky, die es aufführt und vertont. Warum?

Berg: Weil ich keine Schauspieler wollte. Mit Schauspielern hätte ich einfach nicht arbeiten können, ich weiß zu wenig über das, was die wollen. Die fragen immer: Wer ist meine Rolle? Wo ist der Ansatz? – Das kann ich nicht beantworten. Das hat mit meinen Mitteln, die begrenzt sind, zu tun.

STANDARD: Was hat Kreisky an dem Projekt gereizt?

Wenzl: Das Stück entspricht unserer Erzählhaltung sehr gut, das Schimpfen als Kunstform ist etwas, das wir sehr stark integriert haben. 2007 ist unser erstes Album rausgekommen, und der Querulant als Figur, als Sprachrohr hat uns sehr interessiert. Denn es kommt einiges auf, wenn ein Mensch einfach schimpft. Aber das Stück geht weiter, als wir gegangen sind.

STANDARD: Inwiefern?

Wenzl: Der Querulant von 2007 ist noch harmlos, es ist vielleicht derselbe Mensch, aber er hat ganz andere Äußerungsmöglichkeiten als der von 2017. Der meckert nicht mehr an der Supermarktkasse und schreibt einen geharnischten Leserbrief, der dann nicht abgedruckt wird. Nachdem wir keine politische Band sind und wir uns als Entertainer sehen, waren wir sehr dankbar für Viel gut essen, um uns damit wieder ein Stück an der Realität zu reiben.

STANDARD: Sie sind ironisch, nicht zynisch. Wo ist die Grenze?

Berg: Zynisch ist in meiner Begriffswelt sehr abgeschlossen und ein bisschen verbittert. Das bin ich nicht, ich find alles lustig. Blödheit ist schon sehr drollig.

STANDARD: Berg-Texte sind deftig, aber "moralisch". Was ist Moral?

Berg: Ich habe früher, als ich blöder war, gedacht, es haben alle die gleichen Standards. Aber ich habe gelernt, das ist gar nicht so. So wie es gerade in der Welt aussieht, sind die bei anderen um ein paar Meter verschoben. Deshalb weiß ich gar nicht mehr, was Moral ist. Ich möchte nicht unfreundlich behandelt und beschissen werden, also versuche ich dasselbe bei anderen. Ganz banal. Das ist die Moral, die ich habe. Das klingt nach Zuckersäckchen, aber dieses ganze Gutmenschengeschwafel ist ja irgendwie richtig.

STANDARD: Wollen Sie die Welt mit dem, was Sie tun, besser machen?

Berg: Das Ziel ist in erster Linie, tunlichst unterhaltsam zu sein, damit mir die Leute nicht wegschnarchen. Fun und Action. Und für mich Sachen rauszufinden.

STANDARD: Das war's? Wenn ich an "Fragen Sie Frau Sibylle" denke ...

Berg: Die Kolumne für "Spiegel online" ist was anderes. Das ist nicht Kunst, sondern ein kurzes Tourette. Das mach ich eigentlich nur, weil ich das Feld nicht den anderen überlassen will. Manche regen sich auf, andere fühlen sich bestätigt, ab und zu bewirkt es etwas, weil Politiker es lesen. Das ist der minimale gesellschaftliche Beitrag, wenn ich schon keine Partei gründe. Aber das hat nichts mit der übrigen Arbeit zu tun. Das Höchste, was ich mit den Büchern und Stücken erreichen kann, ist, dass sich ein paar Leute in ihnen wiederfinden und für Momente zu Hause fühlen. Und dann ist die Welt ein bisschen besser. Kunst kann sonst überhaupt nichts.

STANDARD: Ist es befriedigend, wenn sich ein "Gegner" aufregt?

Berg: Wenn man anfängt, Erwartungen entsprechen zu wollen, kann man sich auch erschießen, oder? Zum einen liegt man immer falsch. Und ich glaube, das würde auch wirklich öde.

STANDARD: Wenn Kunst sich politisch oder aktivistisch ...

Berg: Da krieg ich die Krätze, Bullshit ist das. Ich habe gerade ein Stück gesehen, da ging es um Flüchtlinge, und ich dachte mir, ist ja super, dass die Flüchtlinge Theater spielen können. Da sitzen ein paar Menschen mit ihrem Abo, die ohnehin eher links sind, und nicken mit dem Kopf. Was soll das? Wenn du politisches Theater machen wolltest, dann wäre das unglaublich anstrengend. Dann müsstest du nämlich zu den Nazis gehen mit deinen Stücken. Viel Spaß. Das ist alles mit einer Anstrengung verbunden. Und daran wird's auch zugrunde gehen. Ein Stück, Musik oder ein Interview ändern nix.

STANDARD: Lesen Sie Literatur?

Berg: Nein. Das ist langweilig. Ich hab das Gefühl, ich muss so viel begreifen, es gibt so vieles, das mich interessiert, und ich komme gar nicht nach. Ich muss stapelweise Sachbücher lesen. Ich halt's nicht mehr durch, ein Buch zu lesen, wo einem einer eine Welt öffnet, seine Welt. Ich will Fakten. Das, was wir um uns haben, interessiert mich. Was passiert gerade? Ich bin zum Beispiel techniksüchtig, fast serverobjektophil, lese immer wieder zu Faschismusforschung. Literatur gibt mir einfach nix mehr. Houellebecq hab ich durch, ich habe kapiert, dass der alle und sich selber hasst, sehr schön, hilft mir aber nicht weiter.

STANDARD: Wie seid ihr als Musiker ans Schauspielen herangegangen?

Wenzl: Über den Bandkontext hat das doch sehr gut funktioniert, denn wir müssen ja nicht mit dem Anspruch eines Reinhardt-Seminar-Absolventen spielen.

STANDARD: Und an das Stück?

Wenzl: Beim ersten Mal lesen dachte ich mir, die Schlagrichtung kennt man und es ist klar, wohin das führt. Aber wenn man in einzelne Sätze geht, dann ist alles nicht mehr so eindeutig. Wir haben Songs gemacht, teilweise aus dem Stücktext kondensiert, wo es sich angeboten hat. Da ich kein Schauspieler bin, habe ich ihn auch umformuliert, um ihn sprechen zu können. Wir haben's aber nicht verwienert oder so. Es spielt in Europa und da soll es auch bleiben. (Michael Wurmitzer, 17.10.2017)