Ulrike Lunacek: super, sehr erfahren, intelligent und professionell – aber sie hatte keine Chance.

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"Es gilt einmal zuzuhören – insbesondere den Wählern und Wählerinnen, die uns bei dieser Wahl nicht gewählt haben", sagte Wiens grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im STANDARD-Interview nach dem Debakel der Grünen bei der Nationalratswahl, "man kann mich ansprechen, mir eine Mail schicken. Mich interessieren die Gründe dafür." Eine Einladung, der Leserin Margit Hemetsberger nachgekommen ist. Im Userkommentar listet sie ihre Gründe auf, nicht mehr Grün, sondern die Neos zu wählen.

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Ich schätze die Grünen sehr und möchte sie als Teil der politischen Landschaft nicht missen. Dass es sie dermaßen zerbröselt, ist zum einen ein Schock, zum anderen eine Bestätigung dafür, nicht die Einzige zu sein, der es mit den Grünen derzeit nicht gutgeht.

Da war der Rauswurf der Jungen Grünen wegen Nichtigkeiten, die man in einer Partei, die sich für ihre Diskussionskultur ständig selber lobt, doch ausreden können müsste. Dann war da die Torpedierung des mühsam ausverhandelten Kompromisses zum Hochhausprojekt am Heumarkt durch die Parteibasis. Man würde erwarten, dass man vorher seine Position findet und nicht alles torpediert, nachdem es fertig verhandelt ist. Das lässt die Grünen als unverlässliche Partner dastehen.

Kaum Ideen

Der Abgang von Eva Glawischnig lässt vermuten, dass sie aufgrund von internen Querelen und Intrigen einfach ausgebrannt war. Dann war da Peter Pilz, den man für einen Julian Schmid rausgeekelt hat. Schmid mag ein netter Typ sein, über den man nichts weiß, wenn man nicht auf Facebook ist. Dafür einen Kapazunder zu opfern, der mehr als jeder andere – vielleicht mit Ausnahme von Gabriela Moser – das repräsentiert, wofür ich eine starke Opposition haben will: für die Kontrolle der Mächtigen! Nach all diesen Zerwürfnissen weiß ich einfach nicht mehr, wer die Grünen sind. Ulrike Lunacek ist super, sehr erfahren, intelligent und professionell, aber sie hatte keine Chance, weil hinter ihr luftleerer Raum ist.

In Umweltthemen hatten die Grünen in letzter Zeit kaum Ideen, die nicht die Großparteien auch schon ins Programm übernommen hatten. Zumindest muss man sie suchen, wenn man täglich die Medien liest, findet man sie nicht. Vielleicht hätten die Grünen eine Rolle wie zum Beispiel Client Earth, indem sie vorhandenes Recht konsequent einklagen und schauen, dass gute, präzise Gesetzte entstehen.

Überreglementierung statt Flexibilität

Was mich persönlich auch enorm gestört hat, war das Thema "leistbares Wohnen". Natürlich will jeder in einer topsanierten Wohnung wohnen und kaum was dafür bezahlen. Mit den von den Grünen vorgeschlagenen Miethöhen kann sich ein privater Vermieter allerdings gar nicht leisten, die Wohnung nach jedem Mieter wieder in Stand zu setzen, gelegentlich neue Böden oder eine neue Küche einzubauen. Ich finde, wenn man eine Wohnung schön und hochwertig saniert, muss man dafür auch etwas verlangen können. Es gibt nicht umsonst so einen Zulauf zu Airbnb, viele befristete Mietverhältnisse und Leerstände. Das Mietrecht hier in Österreich ist sowieso schon überproportional zugunsten der Mieter ausgelegt.

Viele der gut gemeinten Vorstöße der Grünen erreichen genau das Gegenteil, weil sie durch Überreglementierung vieles verhindern und kompliziert machen. Die Grünen – genauso wie die SPÖ – machen jeden zum Feind, der ein bisschen was besitzt, auch wenn er sich das ehrlich erarbeitet hat und kein böses "Kapitalistenschwein" ist. Ich habe ein EPU, weil ich erstens gerne so arbeite und zweitens als alleinerziehende Mutter die Flexibilität genieße. Ich habe mich von Null hochgearbeitet, und es geht mir jetzt gut. Ich will deshalb aber nicht zum Feind gemacht werden. Ich stelle mit Sicherheit keine Leute ein, weil ich mit all den Regularien in Teufels Küche komme. Stattdessen habe ich ein Netzwerk an Selbstständigen, mit denen ich zusammenarbeite.

Die Wohlfühlpartei

Ich habe die Grünen immer als eine Art Wohlfühlpartei empfunden, die alles recht gut meint. Aber als klassischer "Bobo", Akademikerin im siebten Bezirk mit Eigentumswohnung, habe ich immer mehr das Gefühl, dass die Themen der Grünen mich nicht mehr mitmeinen, sondern mich als Feindbild sehen. Ich bin nicht arm und schützenswert. Ich zahle sehr viele Steuern und leiste einen großen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in diesem Land, und das tue ich auch sehr gerne und aus voller Überzeugung. (Margit Hemetsberger, 18.10.2017)