Um Dmitri Iwanowitsch Mendelejew rankt sich mehr als nur ein Mythos. Etwa dass er mit seiner Doktorarbeit "Über die Verbindung von Alkohol mit Wasser", die der russische Chemiker 1865 am Technologischen Institut Sankt Petersburg verteidigte, wichtige Beiträge zur Wodkaherstellung leistete. Oder dass ihm der entscheidende Geistesblitz, Ordnung in das damalige Chaos der chemischen Elemente zu bringen, 1869 im Schlaf gekommen sei. Für beide dieser Anekdoten fehlt es allerdings an stichhaltigen Belegen.

Was feststeht, ist, dass Dmitri Iwanowitsch Mendelejew vor ziemlich genau 148 Jahren, am 28. Oktober 1869, das Periodensystem der chemischen Elemente veröffentlichte, das endlich Ordnung in die damals 63 bekannten Elemente brachte, indem es sie in Tabellenform nach ansteigender Protonenanzahl sortierte.

Wissenschaftsstadt an der Wolga

Mendelejew beendete damit auch die 50-jährige Suche nach einem Zusammenhang zwischen Atommassen und Eigenschaften der Elemente: In seinem Periodensystem sind – grob gesprochen – die Alkalimetalle links gruppiert, die Edelgase rechts, dazwischen die Übergangsmetalle, Nichtmetalle und andere Serien.

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So schön wie jetzt war das Periodensystem der chemischen Elemente noch nie: alle Zeilen und Spalten sind seit vergangenem November gefüllt. Bei den roten Elementen links handelt es sich um Alkalimetalle, daneben in orange die Erdalkalimetalle, die blaue Serie in der Mitte sind Übergangsmetalle, bei den hellroten Elementen in der Mitte handelt es sich um Metalle, nebenstehend in grün sind die Halbmetalle. Die blaue Gruppe rechts oben, sowie der erste Eintrag links sind die Nichtmetalle, die vorletzte Spalte ist von den Halogenen (gelb) dominiert, ganz rechts sind die Edelgase (orange). Die letzten beiden Zeilen unten werden als Lanthanoide (grün) und Actinoide (türkis) bezeichnet.
Foto: Picturedesk/ Science Photo Library

Doch trotz seiner fundamentalen Bedeutung ist das Periodensystem bis heute nicht vollständig. Neben den 118 uns aktuell bekannten Elementen ist davon auszugehen, dass es noch eine Vielzahl an weiteren gibt. Die Suche danach führt in eine russische Kleinstadt an der Wolga, etwa 120 Kilometer nördlich von Moskau, namens Dubna.

Um diese Jahreszeit ist das Erscheinungsbild der Stadt geprägt von den bunten Blättern der Bäume, die die kleinen Einfamilienhäuser bei weitem überragen. Und so lässt sich zunächst kaum vermuten, dass man sich hier in einer Wissenschaftsstadt von Weltrang aufhält – bis man das hinter hohen Zäunen verborgene Areal des Joint Institute for Nuclear Research (JINR) betritt.

Seltene Vollständigkeit

Wo vor ein paar Jahrzehnten noch Gestrüpp und Wald regiert haben, hat sich hier seit 1956 ein Hotspot der Teilchenphysik etabliert. Von den 18 Elementen, die seither weltweit entdeckt wurden, sind allein zehn an diesem Institut gefunden worden.

Das Gelände des Joint Institute for Nuclear Research (JINR) im russischen Dubna ist in dieser Jahreszeit zu weiten Teilen von hohen Nadelbäumen und herbstlichen Laubbäumen dominiert – dazwischen finden sich aber auch ein paar Forschungsgebäude in denen Wissenschaft auf Weltniveau betrieben wird.
Foto: Tanja Traxler

So hat Dubna auch dazu beigetragen, dass alle Zeilen des Periodensystems aktuell gefüllt sind: Anfang 2016 wurden die letzten vier Neuzugänge im Periodensystem offiziell anerkannt, womit die siebente Reihe komplettiert war. Im November des Vorjahres erhielten sie schließlich ihre offiziellen Namen: Dem Element mit der Ordnungsnummer 113 wurde der Name Nihonium (Nh) für Japan (japanisch: Nihon) gegeben, Nummer 115 Moscovium (Mc) für Moskau, Nummer 117 Tenness (Ts) für den US-Bundesstaat Tennessee und Nummer 118 Oganesson (Og) zur Ehrung seines Mitentdeckers und des Leiters des Flerow-Labors für Kernreaktionen am JINR in Dubna, Juri Oganesjan.

Mit 118 Protonen ist Oganesson das Element mit der derzeit höchsten Ordnungsnummer. Die Synthese derart schwerer Atomkerne erfolgt am JINR durch Teilchenkollisionen. Das Element Oganesson wurde durch eine Kollision von angereichertem Calzium Ca-48 mit dem radioaktiven Metall Californium Cf-249 erzeugt.

Extreme Genauigkeit

Wie Andrey Popako, Wissenschafter am JINR, betont, muss dabei mit extrem präziser Energie gearbeitet werden: Wenn die Energie nicht groß genug ist, nähern sich die Atomkerne zwar an, fliegen aber auseinander. Wenn die Energie bei der Kollision zu groß ist, entstehen nur Fragmente, aber keine neuen Atomkerne. "Um neue Atome zu erzeugen, muss die Genauigkeit der Energie höher als ein Prozent Abweichung sein", sagt Popako. Allerdings sind keine besonders hohen Energien erforderlich, "das ist der Grund, warum wir keine derart großen Beschleuniger wie den Large Hadron Collider am Cern brauchen".

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Blick in einen Teilchenbeschleuniger am Kernforschungszentrum Dubna.
Foto: Picturedesk/ Science Photo Library/ Lystseva Marina

Die Produktionsrate der extrem schweren Elemente ist entsprechend gering: Von Oganesson wird aktuell ein Atomkern pro Monat erzeugt. Dabei geht es nicht nur um Grundlagenforschung, sondern die Elemente haben auch einen kommerziellen Preis. Das radioaktive Element Californium Cf-252 wird etwa um 27 Millionen US-Dollar (rund 23 Millionen Euro) pro Gramm gehandelt. Es kommt beispielsweise in der Ölindustrie zum Einsatz, um Porosität und Durchlässigkeit möglicher Erdölreserven zu analysieren.

Auf der Jagd nach Nr. 119 und 120

Um in die achte Reihe des Periodensystems vorzudringen, planen die Forscher um Popako, mit Titan zu starten – allerdings verhält es sich bislang im Beschleuniger chemisch äußerst aggressiv. Möglicherweise müssen sich die Forscher also noch einen anderen Ausgangsstoff für die Synthese neuer Elemente suchen.

Japanische und US-amerikanische Forscher haben hingegen beim "Symposium on Super-Heavy Elements", das im September in Polen stattgefunden hat, bekannt gegeben, dass sich die Suche nach Element Nummer 119 und Nummer 120 im Dezember diesen Jahres aufnehmen wollen. Bereits im Laufe der nächsten fünf Jahre wollen sie diese aufgespürt haben.

Der Leiter der Theorieabteilung des Flerow-Labors für Kernreaktionen am JINR in Dubna, Alexander Wladimirow Karpow, plädiert dafür, sich am aktuellen Aussehen des Periodensystems zu erfreuen – bevor weitere Elemente entdeckt werden und eine neue, noch unvollständige Reihe eröffnet wird.
Foto: Tanja Traxler

Alexander Wladimirow Karpow, Leiter der Theoretischen Abteilung des Flerow-Labors für Kernreaktionen am JINR in Dubna, geht jedenfalls davon aus, dass die achte Periode im System nie vervollständigt werden wird – es handelt sich dabei um mehr als 50 Elemente, von denen man bisher noch kein einziges entdeckt hat. Seine Empfehlung: "Genießen Sie das Periodensystem, solange es so vollständig ist wie jetzt." (Tanja Traxler aus Dubna, 20.10.2017)