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Ölfelder in der Provinz Kirkuk.

Foto: REUTERS/Alaa Al-Marjani

Noch vor drei Wochen jubelten die Kurden ausgelassen in den Straßen: Sie feierten die überwältigende Mehrheit, mit der sie in einem Referendum für die Abspaltung vom Irak gestimmt hatten. Die Unabhängigkeit schien zum Greifen nah.

Mittlerweile ist die Freude Ernüchterung gewichen. Anstatt einem eigenen Staat näher zu kommen, mussten sich die Kurden am Montag und Dienstag aus zahlreichen Regionen zurückziehen, die sie im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) eingenommen hatten. Mehr oder weniger kampflos überließen sie die Gebiete heranrückenden Einheiten, die die irakische Zentralregierung in Bewegung gesetzt hatte.

Insbesondere der Verlust der Provinz Kirkuk schmerzt sie. Die Kurden erheben auf das umstrittene Gebiet ebenso Anspruch wie die Zentralregierung. Die wichtigsten Fragen zum Konflikt um Kirkuk:

Frage: Warum ist Kirkuk zwischen Kurden und der irakischen Regierung in Bagdad so umstritten?

Antwort: In erster Linie: wegen der Ölvorkommen. Die Stadt Kirkuk befindet sich am Rande eines riesigen Ölfelds, das rund eine halbe Million Fass Öl pro Tag produzieren kann. Die irakischen Öleinnahmen sollten eigentlich zwischen den Provinzen aufgeteilt werden. Sollten – denn Streitigkeiten unter den irakischen Provinzen haben diesen Prozess verlangsamt oder in vielen Fällen ganz zum Erliegen gebracht. Die Öleinnahmen wurden zum politischen Spielball. – Und ohne die Öleinnahmen aus Kirkuk wäre ein kurdischer Staat wirtschaftlich wohl nicht lebensfähig.

Frage: Gibt es neben dem Ölreichtum noch andere Konfliktpunkte in der Stadt?

Antwort: Die Stadt hat nur etwas mehr als eine Millionen Einwohner, aber eine Vielzahl an ethnischen und religiösen Gruppierungen: Araber, Kurden, Turkmenen leben in der Stadt. Konfessionell teil sich die Bevölkerung der Stadt in Sunniten, Schiiten und Christen. Das birgt Konfliktpotenzial.

Saddam Hussein verfolgte eine Politik der gewaltsamen Arabisierung der Stadt, um den Einfluss Bagdads zu untermauern. Viele Kurden mussten damals aus der Stadt fliehen, sind aber nach dem Sturz des Regimes auch wieder zurückgekehrt. Die Spannungen sind aber geblieben. Deswegen hat Premierminister Haidar al-Abadi nach der Eroberung Kirkuks angekündigt, dass die lokalen Polizeibehörden und Beamten weiter im Dienst bleiben sollen und die Verwaltung aufgeteilt werden solle.

Die von vielen gefürchteten schiitische Milizen sollten laut Abadi nicht in die Stadt einrücken, um weitere konfessionelle und ethnische Spannungen zu vermeiden. Allerdings berichten Journalisten von turkmenischen Milizionären, die in die Stadt eingerückt sein sollen. Die schiitischen Milizen werden von den Kurden mit Misstrauen betrachtet und als verlängerter Arm Teherans im Irak gesehen.

Frage: Kirkuk liegt außerhalb des kurdischen Autonomiegebietes. Wieso kamen dann kurdische Kämpfer in die Stadt?

Antwort: Als die irakischen Streitkräfte beim Vormarsch des IS in Mossul 2014 kollabierten, machten sich Peschmerga auf, um Kirkuk und die Ölfelder vor dem Zugriff der radikalen Islamisten zu sichern, obwohl die Stadt 32 Kilometer außerhalb der kurdischen Autonomiegebiete liegt. Bagdad verlangte, dass die Stadt zurückgegeben werden müsse. Zur Eskalation kam es schließlich, als die Kurden die Stadt in ihre Volksabstimmung einschlossen. Bagdad sah das als Provokation und Teil einer kurdischen Expansionspolitik an.

Frage: Welche Rolle spielen die USA in dem Konflikt?

Antwort: Der Konflikt zwischen der Regierung in Bagdad und den Kurden bringt die USA in eine unangenehme Position. Beide sind US-Verbündete, beide kämpfen – mit tatkräftiger Unterstützung und Ausrüstung aus den USA – gegen die Extremisten des IS. US-Präsident Donald Trump erklärte, er wolle in dem Konflikt keine Partei ergreifen.

Noch vor einigen Monaten berichtete das US-Verteidigungsministeirum, dass die Kooperation zwischen der irakischen Regierung und der kurdischen Regionalregierung "beispiellos" sei und die Peschmerga ein "entscheidender Partner im Kampf gegen den IS" seien. Sollte der Streit zwischen den Kurden und der Zentralregierung weiter eskalieren, könnte das auch den Kampf gegen den IS negativ beeinflussen. Vor allem aber könnte der Konflikt den ohnehin schon schwachen irakischen Staat weiter auseinanderfallen lassen. (stb, 17.10.2017)