Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, gut beobachtet auf dem Weg zur Parteivorstandssitzung der SPÖ am Montag in Wien: Seine Laune war vor dem Treffen nicht sonderlich gut, danach noch weniger.

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Die Reaktionen der Wiener SPÖ nach der Wahl und die damit wieder ausgelöste "Nein zu Rot-Blau"-Kampagne sind für Genossen außerhalb von Wien nur mehr schwer zu ertragen. Manche in der Wiener SPÖ feiern "ihre" 35 Prozent gerade so, als hätten sie eine Volksabstimmung zur Frage Ja oder Nein zu einer rot-blauen Koalition gewonnen. So ist es natürlich nicht. Und in der Euphorie vergisst man dann gern den jüngeren Prozess vor der Wahl in der Causa prima.

Michael Häupl verweist zwar darauf, dass er der Einzige sei, der sich an Parteitagsbeschlüsse halte. Er ignoriert dabei allerdings den mühsam erarbeiteten "Wertekatalog", der recht klar vorgibt, woran sich die Sozialdemokratie zu halten hätte. Genüsslich verweisen manche in diesem Kontext nun auf das Abschneiden der SPÖ Burgenland und versuchen so, das ideologische Argument zu untermauern, welches die Bundes-SPÖ dort hingeführt hat, wo sie ist, nämlich fast gleichauf mit der FPÖ und deutlich hinter der seit 31 Jahren regierenden ÖVP.

Diese fast religiös motivierte Ausgrenzungspolitik gegenüber nunmehr über 1,3 Millionen FPÖ-Wählern hat nicht nur die Sozialdemokratie inhaltlich substanzlos gemacht, sondern auch eine satte rechtskonservative Mehrheit von fast 60 Prozent im Jahr 2017 gebracht. Diese zweifelsfrei höhere und irritierende Erkenntnis wäre bei politischer Vernunft über das Abschneiden der Wiener oder burgenländischen SPÖ zu stellen, würde man einen nüchternen Blick in die Geschichte riskieren.

Goldenes Zeitalter der sozialen Innovationen

Der von vielen Genossen hochverehrte Bruno Kreisky ließ sich im Jahr 1970 von der FPÖ unter dem SS-Mann Friedrich Peter in einer Minderheitsregierung stützen und leitete so das goldene Zeitalter der sozialen Innovationen ein, von dem gerade die sozial Benachteiligten stark profitierten. Die SPÖ unter Viktor Klima gewann bei den Nationalratswahlen 1999 mit über 33 Prozent ganz klar die Wahl, verlor aber für die SPÖ den Bundeskanzler, weil die Mehrheit der Parteispitze meinte, keine Koalition mit der zweitplatzierten FPÖ machen zu wollen. Was danach sieben Jahre folgte, ist hinlänglich bekannt.

Vor allem die sozialdemokratische Klientel hatte hart mit den Auswirkungen der Schüssel-Grasser-Jahre zu kämpfen. In der Opposition hat sich die SPÖ nicht wirklich regeneriert und gewann die Wahlen 2006 ganz knapp. Schon bei den Regierungsbildungen 2007 und 2008 wurden die Weichen für die politische Dominanz der ÖVP gestellt, weil diese wusste, dass die SPÖ nicht mit der FPÖ eine Regierung bilden wird bzw. "darf". So konnten alle wichtigen Ressorts von der ÖVP erpresst werden. Erst Bundeskanzler Christian Kern brachte wieder Schwung in den Laden und setzte sozialdemokratische Inhalte durch, allerdings viel zu spät, wie sich am Sonntag herausstellte.

Die Ausgrenzungsdoktrin hatte auch gewaltige Auswirkungen in einigen Bundesländern. So gewann 2015 die SPÖ Steiermark unter Franz Voves knapp die Landtagswahlen. Die ÖVP nutzte die Situation beinhart aus und erpresste die SPÖ so lange, bis Voves zurücktrat. Zuvor hatte er noch seinen Genossen eine Koalition mit der ÖVP ausverhandelt und ihnen eine zum Juniorpartner degradierte SPÖ hinterlassen. Voves war damals der Star einer kleinen, aber lauten Gruppe in der SPÖ, der weitaus größere Teil schüttelte schon damals ziemlich unbemerkt den Kopf. Bei den Gemeinderatswahlen in Graz brach die SPÖ auf zwölf Prozent ein, Platz fünf. Bei den Nationalratswahlen am 15. Oktober rutschte die einst so mächtige steirische SPÖ mit 25 Prozent auf Platz drei ab.

Pyrrhussieg in Wien

2015 fanden auch im Burgenland Landtagswahlen statt, die SPÖ wurde mit 42 Prozent die mit Abstand stärkste Partei. Auch hier witterte die ÖVP ihre Chance und wollte mit der FPÖ die SPÖ in Opposition schicken. Hans Niessl tat aus einer pragmatisch vernünftigen Perspektive das einzig Richtige – er bildete eine Koalition mit der FPÖ. Niessl wurde damals zum Buhmann der lauten Gruppe, der weitaus größere Teil innerhalb der Sozialdemokratie bejahte diese Entscheidung. Bei den Gemeinderatswahlen am 1. Oktober erreichte die SPÖ im Burgenland über 44 Prozent und blieb Nummer eins, so wie bei den Nationalratswahlen mit über 32 Prozent.

"Wien ist (politisch) anders", und das ist gut so. Im Umkehrschluss sollten sich vor allem Teile der Wiener SPÖ im Klaren sein, dass der Rest von Wien auch "anders" ist. Die 35 Prozent für die Wiener SPÖ freuen jeden Sozialdemokraten, die Reaktionen weniger, denn das scheinbar "linke Lager" hat sich in Wien kannibalisiert. Das ist ein Pyrrhussieg auf Kosten der Grünen, die Frage nach einer anderen Koalition wird sich auch in Wien stellen. Die Ausgrenzungspolitik funktioniert vielleicht in Wien (noch), ist aber maximal kurzsichtig, denn sie trieb ungleich mehr potenzielle sozialdemokratische Wähler in "Restösterreich" zur FPÖ und jetzt auch noch zur ÖVP. Für die SPÖ sollten ausschließlich der Wertekatalog und sozialdemokratische Inhalte Grundlagen der Verhandlungen sein. Wenn sich dann keine Koalition ergibt, dann ist für die SPÖ Opposition zwar "Mist", aber keine Schande. (Roland Fürst, 17.10.2017)