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Grünen-Parteichef Cem Özdemir und Robert Habeck (rechts) geben sich vor Handy- und TV-Kameras gern betont locker und modern.

Foto: dpa / Bockwoldt

STANDARD: In Schleswig-Holstein regieren CDU, FDP und Grüne schon gemeinsam. Heute beginnen die Sondierungen für den Bund. Wie lebt es sich in Jamaika?

Habeck: Weder in Schleswig-Holstein noch im Bund wollten wir Jamaika. Das Bündnis wurde aus der Not geboren – aber es ist keine Notlösung, weil es auf allen Seiten großes Bemühen gibt.

STANDARD: Zuvor regierten in Kiel SPD, Grüne und Südschleswigscher Wählerverband. Was war da anders?

Habeck: Die persönliche Rücksichtnahme ist jetzt mehr als zuvor Bedingung für den Erfolg. In der Küstenkoalition waren wir inhaltlich, etwa in der Sozial- und Steuerpolitik, ohnehin nahe beieinander. Jetzt im Jamaika-Bündnis gibt es erhöhten Abstimmungsbedarf.

STANDARD: Wie funktioniert das konkret?

Habeck: In Jamaika telefoniert man sehr viel miteinander. Man darf nicht vergessen, früh zu kommunizieren. Und wir wissen alle, dass dieses Bündnis nur dann stabil ist, wenn eine Seite sich nicht dauernd provoziert oder als Verlierer fühlt. Da braucht es Menschen, die klug und großmütig genug sind, lieber einmal mehr zum Hörer zu greifen. Wenn man versucht, einander nicht einmal das Schwarze unter dem Nagel zu gönnen, würde das nicht mal zwei Tage funktionieren.

STANDARD: In vielen Fragen liegen die Akteure ja eigentlich meilenweit auseinander.

Habeck: Ja, das stimmt. Aber da muss man dann eben neue Wege gehen. Ein Beispiel: In Schleswig-Holstein beträgt die Grunderwerbsteuer sechs Prozent. Die FDP möchte sie abschaffen oder zumindest für Familien senken, die ihre erste Immobilie kaufen. Ein sympathischer Wunsch. Aber wir brauchen ja das Geld, um Lehrer zu bezahlen und Kitas zu finanzieren. Wir Grüne sagen, auch eine gute staatliche Infrastruktur nutzt den Familien.

STANDARD: Wie schaut der Königsweg nun aus?

Habeck: Wir wollen ein Steuerschlupfloch schließen und das Geld dann umschichten. Große Immobilien können nämlich von A nach B verkauft werden, ohne dass die Grunderwerbsteuer zu bezahlen ist. Dadurch entgeht dem Staat eine Milliarde Euro jährlich. Nun haben wir in Schleswig-Holstein vereinbart: Wenn dieses Steuerschlupfloch geschlossen ist, senken wir die Grunderwerbsteuer.

STANDARD: Sie versuchen also alte Pfade zu verlassen?

Habeck: Wir sind wie eine Reisegesellschaft, die gar nicht miteinander wegfahren wollte, aber jetzt zusammengewürfelt im Bus sitzt. Das ist zunächst ungewohnt, aber alle lernen jetzt mehr, als wenn sie mit den üblichen Verwandten losfahren, mit denen man eh immer das Gleiche anschaut und im selben Hotel wohnt.

STANDARD: Sind Sie für die Verhandlungen im Bund auch so optimistisch?

Habeck: Nein. Erstens gibt es da sehr viel mehr schwierige Themen – etwa Außen- oder Verteidigungspolitik und auch die Finanzpolitik. Zweitens haben sich in Schleswig-Holstein drei Wahlsieger zusammengetan. Da hat man ein breites Kreuz und ist auch mal großzügiger.

STANDARD: Im Bund haben Sie auch noch die CSU, und die hat stark verloren.

Habeck: Ja, das könnte ein Problem werden. Hier im Land gibt es eine CDU, die Lust hat, eine moderne CDU zu werden und auch mal in der Agrarpolitik neue Wege zu gehen. Die CSU hingegen spricht nach der Wahlschlappe davon, dass man die rechte Flanke schließen müsse. Das ist genau die falsche Antwort, meine ich.

STANDARD: Die Grünen sind ja nicht gerade strahlende Gewinner.

Habeck: Unser Ergebnis war okay – nicht so gut wie erhofft, aber besser, als Umfragen es vorhergesagt haben. Aber wir dürfen unseren Anspruch, zweistellig und dritte Kraft zu werden, nicht aufgeben. Es hängt nun viel davon ab, was wir aus der Regierungsverantwortung machen.

STANDARD: Sie rechnen also schon recht fix mit einer Jamaika-Koalition, also Schwarz-Gelb-Grün? Ist Opposition keine Option?

Habeck: Politiker bekommen vom Steuerzahler nicht wenig Geld. Wir haben einen Job zu machen, es geht nicht um persönliche Eitelkeiten. Wir müssen jetzt ernsthaft versuchen einen Weg zu finden, die persönlichen Vorlieben mal zur Seite zu schieben, und versuchen, aus dem Kreis ein Quadrat zu machen. (Birgit Baumann, 18.10.2017)