50 Kilometer pro Tag legt die Sirius-Patrouille mit selbstgebauten Schlitten zurück.

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Gezogen werden sie von zähen Grönlandhunden.

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Die Begegnung mit einer Eisbären und ihren Jungen ist besonders gefährlich.

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Sirius überwacht ein riesiges Gebiet, das sich vom 71. bis zum 84. Breitengrad erstreckt. Im Winter patrouillieren die Soldaten fünf Monate am Stück entlang der 16.000 Kilometer langen Küste.

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Es ist der Traum vieler dänischer Buben: Später einmal als Soldat in der Sirius-Schlittenpatrouille im Nordosten Grönlands Dienst zu tun. Der Ruf dieser nur 14 Mann starken Militäreinheit ist legendär. Die Elitesoldaten überwachen ein unbewohntes Gebiet, das um ein Vielfaches größer ist als ihr Heimatland Dänemark. Im Winter sind sie monatelang zu zweit mit Hundeschlitten bis an die kanadische Grenze unterwegs, und das bei Temperaturen von bis zu minus 50 Grad. Sie übernachten zumeist in Baumwollzelten oder in weit verstreuten Holzhütten. Der Lohn für die Schinderei: knapp 3000 Euro Sold im Monat.

Viele Dänen bewerben sich jedes Jahr für einen der härtesten Einsätze weltweit. Sie müssen zuvor bereits in der Armee gedient haben und dürfen nicht verheiratet sein. Nur wenige überstehen das gnadenlose Auswahlverfahren. Dazu gehören ein Bad im Eiswasser, sieben Nächte in einer Schneehöhle und ein 100-Kilometer-Marsch mit viel Gepäck, aber ohne Nahrung. Nur wer körperlich topfit und auch psychisch extrem belastbar ist, hält das durch. Wie Mathis Huse Nørgaad, der zwei Jahre bei Sirius diente. Und in dieser Zeit 10.000 Kilometer in Eis und Schnee auf Skiern zurückgelegt hat. "Das war wirklich hart", sagt der 30-Jährige rückblickend.

Der Bär in der Tür

Menschen leben keine in dem riesigen Gebiet, das 1974 zum Nationalpark erklärt wurde. Es ist das Reich von Eisbären und Moschusochsen. "Ich bin während meiner Dienstzeit 78 Bären begegnet", erzählt Mathis. Einer kam ihm gefährlich nahe, als er in einer Hütte übernachtete. "Der Bär stand in der Tür und steckte den Kopf hinein." Mathis knallte ihm die Tür gegen den Schädel, doch der Bär drückte von außen dagegen, ehe er schließlich verschwand.

Ein anderes Mal wurde er nachts vom Gebell der Hunde wach. Er sah, wie eine Bärin mit zwei Jungen auf sein Zelt zukam. "Das ist besonders gefährlich." Durch Schüsse mit seiner Signalpistole konnte er die Bärin vertreiben. "Sie hat erschrocken gepinkelt und ist weggelaufen." Wäre das Raubtier noch näher gekommen, hätte er es erschießen müssen.

Bären lieben Nutella

"Bären werden durch Essensgerüche angezogen, die sie noch 40 Kilometer entfernt wahrnehmen", weiß Mathis. Ihre Hauptnahrungsquelle sind zwar Robben, doch die Vorräte von Sirius sind auch nicht zu verachten. So drang ein Bär in eine Versorgungshütte ein und fraß sämtliche Lebensmittel auf, darunter mehrere Gläser Nutella. Die Hütte wurde bei dem "Einbruch" völlig zerstört. "Der Bär ist zur einen Seite rein und zur anderen wieder raus."

In Acht nehmen müssen sich die Soldaten auch vor den Moschusochsen mit ihren spitzen Hörnern. Die Pflanzenfresser sind bis zu 400 Kilo schwer und können bis zu 60 Stundenkilometer schnell werden. Mathis hat im Winter eine haarsträubende Geschichte erlebt: In dichtem Schneetreiben wollte er in völliger Dunkelheit seine Hunde füttern. "Man konnte die Hand nicht vor Augen sehen." Vorsichtig hangelte er sich an einem Seil durch die Polarnacht und stieß dabei auf etwas Warmes und Weiches. Erst da merkte er, dass er auf einem zugeschneiten Moschusochsen stand. Das Ganze ging glimpflich aus, denn der schlafende Koloss ließ sich nicht stören. Auch für die Schlittenhunde sind die Moschusochsen eine ernste Gefahr, mehrere Tiere von Sirius wurden bereits getötet.

Militärische Überwachung

Benannt wurde die Eliteeinheit nach dem hellsten Stern im Sternbild des Großen Hundes. Die Ursprünge von Sirius reichen bis in die 1930er-Jahre zurück. Damals kam es zum Streit um Grönland zwischen Norwegen und Dänemark, das die ganze Insel für sich beanspruchte. Das wollte Norwegen nicht akzeptieren. Im Sommer 1931 annektierten fünf norwegische Trapper im Namen König Haakons ein riesiges unbewohntes Gebiet im Nordosten Grönlands. Das reichte vom Carlsberg-Fjord bis zum 460 Kilometer entfernten Besselfjord.

Der Ständige Internationale Gerichtshof in Den Haag erklärte die Annexion zwei Jahre später jedoch für nichtig. Und sprach ganz Grönland den Dänen zu. Voraussetzung war, dass sie auch in dem unbewohnten Teil im Nordosten präsent sind. Seit 1950 nehmen die Soldaten von Sirius diese Aufgabe wahr. Sie sind für die militärische Überwachung zuständig und kontrollieren zudem den größten Nationalpark der Erde, der nur mit Genehmigung des Dänischen Polarzentrums betreten werden darf.

Zuverlässig und billig

Im Sommer patrouilliert Sirius mit Flugzeugen und Schiffen, im Winter mit Hundeschlitten. Die seien zuverlässiger und billiger als Schneemobile, sagt Ex-Soldat Mathis. Sechs Gespanne sind getrennt voneinander auf unterschiedlichen Routen unterwegs – und das bis zu 50 Kilometer am Tag. Ein Soldat fährt auf Skiern, sein Kamerad steuert den selbstgebauten Schlitten.

Um ihn nicht zu überladen, wird an Gewicht gespart, wo es nur geht. Selbst bei der Unterwäsche. "Es gibt nur zwei Unterhosen. Eine für den Tag, die andere für die Nacht", sagt Mathis. Waschen ist bei der Kälte nicht möglich.

Gezogen wird der Schlitten mit einer Traglast von 400 Kilo von zwölf Grönlandhunden aus eigener Zucht. Die gelten als besonders zäh und laufstark. Und sie kennen nur einen Gang: "schnell". Für Mathis sind es die "besten Hunde der Welt". Und eine Lebensversicherung für die Soldaten. Denn sie spüren, wenn das Eis nicht trägt. "Sie können einschätzen, wie dick es ist." Doch einmal hat das nicht geklappt. Der Schlitten brach ein, zwei Soldaten und alle Hunde starben. Ein anderer Kamerad wurde von einer Lawine getötet.

Rund um die Uhr dunkel

Sirius überwacht ein riesiges Gebiet, das sich vom 71. bis zum 84. Breitengrad erstreckt. Im Winter patrouillieren die Soldaten fünf Monate am Stück entlang der 16.000 Kilometer langen Küste. An 100 Tagen ist es rund um die Uhr dunkel. Die Männer sind ganz auf sich gestellt und müssen miteinander klarkommen. "Wir haben in dieser Zeit niemanden getroffen. Das ist schon eine Herausforderung zu zweit", sagt Mathis.

Der einzige Kontakt zur Außenwelt läuft über Funk mit dem Hauptquartier in Daneborg. Jeden Abend werden Neuigkeiten ausgetauscht, auch Liebesbriefe von Freundinnen vorgelesen. "Und alle hören mit", erzählt er lachend. Manchmal sei man so genervt von dem anderen, dann störten schon dessen Kaugeräusche. Nach einigen Wochen geht der Gesprächsstoff aus. "Es ist alles gesagt." Die Kommunikation beschränkt sich dann auf "Guten Morgen" und "Gute Nacht".

Rasende Rüden

Immer wieder gilt es auf der langen Reise, unerwartete Probleme zu bewältigen. Wenn eine Hündin im tiefsten Winter läufig wird, bekommt sie eine Hose verpasst. Dieser "Keuschheitsgürtel" soll eine ungewollte Schwangerschaft verhindern. Dann lassen die Soldaten die Hündin an der Spitze des Schlittengespanns laufen. Die Rüden rasen hinterher mit dem verführerischen Duft in der Nase. "So schnell sind sie sonst nie", versichert Mathis.

Der Kalorienverbrauch der Hunde ist enorm. Lebensmittel für mehrere Monate mitzuschleppen ist aber unmöglich. Und so hat Sirius 65 Depots mit Nahrung für Mensch und Hund angelegt. Hier können die Soldaten ihre Vorräte auffüllen und übernachten. Zum Teil sind es kleine Holzhütten, die einst von Polarforschern oder Trappern gezimmert wurden. So wie das Alborgshus, eine frühere Jagdstation aus dem Jahr 1938. Hier verbrachte die dänische Königin 2006 einen einwöchigen Urlaub mit ihrem Sohn – und spendierte den Soldaten danach einen neuen Ofen.

Stürmischer Empfang

Auch zu Weihnachten bleiben die Männer in Grönland, Geschenke werden aus einem Flugzeug abgeworfen. Das klappt nicht immer. Einmal hat sich der Fallschirm nicht geöffnet. Ein Paket, in dem sich auch Streichhölzer befanden, ging beim Aufprall in Flammen auf. Mitsamt einem teuren Notebook. Nur ein Zettel blieb unversehrt. Darauf war zu lesen: "Geschenke für Mathis".

Der Ex-Soldat arbeitet inzwischen als Guide auf Expeditionsschiffen der norwegischen Reederei Hurtigruten, die im Sommer in der Arktis unterwegs sind. Auf einer Reise in den Nordosten Grönlands haben die Passagiere die seltene Gelegenheit, das Hauptquartier von Sirius in Daneborg zu besuchen.

Die Schlittenhunde freuen sich riesig über die Gäste und bereiten ihnen mit lautem Wolfsgeheul einen stürmischen Empfang. So stürmisch, dass eine ältere Dame von einem ungestümen Tier umgeworfen wird. Auch feuchte Hundeküsse gehören im einsamsten Nationalpark der Welt zum Begrüßungsprogramm der wilden Truppe. (Ulrich Willenberg, RONDO, XX.10.2017)