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Ewald Nowotny: Zu geringe Inflation ist ein Problem.

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Deutsche Metallgewerkschafter verlangen in den laufenden Verhandlungen einen deutlichen Lohnanstieg.

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STANDARD: Eine der großen Sorgen von EZB-Präsident Mario Draghi ist, dass trotz wirtschaftlicher Erholung die Löhne kaum steigen. Muss sich die EZB in Lohnverhandlungen einmischen, Druck machen?

Ewald Nowotny: Die zu geringe Inflation ist für viele Notenbanken ein Problem. Was wir dabei beobachten, ist, dass die traditionelle Beziehung zwischen Lohnentwicklung und Arbeitslosigkeit derzeit nicht funktioniert. Angesichts der deutlich gesunkenen Arbeitslosenquoten würde man weltweit stärkere Lohnsteigerungen erwarten. Das geschieht nicht. Daher ist die neue Konstellation eingetreten, dass Notenbanken für höhere Lohnsteigerungen eintreten, um so eine adäquate Inflation zu erreichen.

STANDARD: Warum steigen die Löhne zu langsam?

Nowotny: Eine Erklärung wäre, dass es sich bloß verzögert, dass die Löhne also noch anziehen werden. Für Deutschland dürfte das der Fall sein: Die IG Metall verlangt etwa in Lohnverhandlungen einen deutlichen Anstieg. Aber es gibt auch Argumente, die strukturelle Faktoren verantwortlich machen. Der Druck auf die Arbeitsmärkte ist durch die Globalisierung gestiegen. Auch andere Änderungen wirken sich dämpfend aus, etwa wenn die Kernbelegschaft vieler Unternehmen kleiner wird und mehr Kollegen atypisch beschäftigt sind. Manches von dem, was unter dem Stichwort Strukturreformen eingeleitet wurde, dürfte außerdem die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt haben.

STANDARD: Können die Notenbanken etwas ändern?

Nowotny: Unmittelbar nicht. Aber die Notenbanken haben Tarifentwicklungen immer kommentiert, bisher in der Form, dass man vor zu hohen Lohnabschlüssen gewarnt hat. Jetzt ist das anders.

STANDARD: Wie sehen Sie die Situation in Österreich?

Nowotny: In Österreich haben wir nicht das Problem einer zu niedrigen Inflationsrate, sie liegt bei zwei Prozent. Wir müssen eher darauf achten, unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen europäischen Staaten nicht zu gefährden. Für Österreich relevant ist vor allem der Vergleich mit Deutschland. Da gab es eine Zeitlang eine leichte Inflationsdifferenz, was aber nichts mit den Löhnen zu tun hatte. Ein Grund dafür war, dass es in der Gastronomie und im Tourismus in Österreich stärkere Preiserhöhungen gab. Das liegt daran, dass Österreichs sichere Rolle in der Welt geschätzt wird, das war also gesamtwirtschaftlich positiv. Auch Steigerungen bei den Gebühren und indirekten Steuern der öffentlichen Hand haben zur höheren Inflation beigetragen.

STANDARD: International werden Warnungen lauter, dass die Notenbanken mit der ultralockeren Geldpolitik an den Finanzmärkten für zu viel riskantes Verhalten sorgen.

Nowotny: Das muss man nüchtern sehen: Eine lange Phase von ultraniedrigen Zinsen hat Risikopotenzial, weil die Suche nach Rendite beflügelt wird. Für die USA gibt es viele Analysen, die zu dem Ergebnis kommen, dass ein hohes Risiko für Überwertungen an den Aktienmärkten besteht. Für Europa ist das bislang weniger der Fall. Aber weil die Annahme wächst, dass US-Aktienmärkte überbewertet sind, kommt höhere Nachfrage nach Europa. Das ist auch in Österreich spürbar. Ich denke dennoch nicht, dass wir in Österreich Blasenbildungen haben. Aber wir müssen auf die Entwicklung in Europa aufpassen.

STANDARD: In Österreich sind die Immobilienpreise stark gestiegen.

Nowotny: Als Oesterreichische Nationalbank beobachten wird das genau. Gerade im Sommer wurden gesetzliche Möglichkeiten geschaffen, um korrigierend eingreifen zu können – durch makroprudenzielle Maßnahmen. Dazu gehört, dass Banken vorgeschrieben werden kann, wie hoch ein Kredit im Verhältnis zum Wert einer Immobilie sein darf. Das Hauptaugenmerk sollte aber nicht darauf liegen, die Kreditvergabe zu begrenzen, sondern das Angebot zu erhöhen. Wir haben das Problem einer zu geringen Angebotsdynamik am Wohnungsmarkt. Ein Problem ist, dass zu wenig leistbares Bauland verfügbar ist. Da sind viele Maßnahmen nötig, um das zu ändern. Eine Möglichkeit wäre eine Bauverpflichtung, um Horten von Bauland zu verhindern.

STANDARD: Trägt die EZB nicht eine Mitschuld an den starken Preisanstiegen an den Finanzmärkten?

Nowotny: Wir hatten in Europa das Problem einer sehr tiefen Krise im Finanzsektor, verbunden mit der Gefahr einer Deflation. Die EZB hat daher eine sehr expansive Geldpolitik gestartet. Das hat Vor- und Nachteile. Die Vorteile haben sich gezeigt. Die Nachteile werden umso spürbarer, je länger die expansive Politik andauert. Das gilt insbesondere für unser Anleihenprogramm, bei dem die EZB Finanzpapiere im Ausmaß von 60 Milliarden Euro im Monat erwirbt.

STANDARD: Muss die EZB das Kaufprogramm beenden?

Nowotny: Wir können die Käufe nicht abrupt stoppen. Aber wir müssen überlegen, wie wir eine Normalisierung erreichen. Im Dezember läuft das Programm aus, im Oktober müssen Beschlüsse fallen, wie es weitergeht. Es gibt gute Argumente dafür, die Käufe langsam zurückzufahren.

STANDARD: Kann die EZB überhaupt Politik für die Eurozone machen? Der Süden könnte die Geldspritzen ja noch gut gebrauchen.

Nowotny: Das größere Problem ist, dass die EZB ein primäres Mandat hat, Preisstabilität zu erreichen, was wir als Inflation von unter, aber nahe zwei Prozent definieren. Das Niveau dürfte heuer nicht erreicht werden. Für 2018 rechnen wir sogar mit einer niedrigeren Inflationsrate. Ich denke aber, dass wir nicht warten müssen, bis die Inflationsrate 1,9 Prozent erreicht. Wir können die Politik früher normalisieren.

STANDARD: Aber das heißt auch, die EZB versagt dabei, ihre eigenen Vorgaben durchzusetzen.

Nowotny: Die EZB ist nicht allein mit dem Problem. Das ist ein weltweites Phänomen. Für die US-Notenbank ist das eine geringere Herausforderung, weil die Fed die Inflationsrate und die Arbeitslosenrate berücksichtigen muss, sie hat ein doppeltes Mandat. Deshalb hat die US-Notenbank bereits mit einer Normalisierung der Geldpolitik begonnen. Es wäre aber ein Fehler und problematisch, in Europa damit zu lange zu warten. (Andràs Szigetvari aus Washington, 19.10.2017)