Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Als sich abzeichnete, dass die Grünen nicht mehr im Nationalrat vertreten sein könnten, fanden sich sofort sarkastische Memes in den Social Media.

Albert Steinhauser: Eine verlorene Zeit

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Klar ist, dass dem erfolgreichen Jahr 2016 – Van der Bellen wurde Bundespräsident – ein schwieriges Jahr für die Grünen gefolgt ist. Der Wahlerfolg wurde nie den Grünen gutgeschrieben, weil aufgrund der Überparteilichkeit Zurückhaltung angesagt war. Dann folgte bereits im Dezember der Populismusstreit zwischen Pilz und Glawischnig. Im April gab es den unnötigen Konflikt mit den Jungen Grünen. Schon damals war der Abwärtstrend spürbar.

Die Entzweiung mit Peter Pilz nach seiner Nichtwahl auf Platz vier auf dem grünen Bundeskongress samt seinem Abgang mit Gegenkandidatur hat dann endgültig eine Negativspirale in Gang gesetzt. Viele Wähler waren irritiert und haben uns nicht verstanden. Die mediale Berichterstattung war ab diesem Zeitpunkt von einem rauen, kritischen Ton geprägt, der uns bis zum Schluss begleitet hat. Den gesamten Sommer über ist es praktisch nicht gelungen, mit inhaltlichen Positionen durchzudringen. Eine verlorene Zeit, in der wir unter ständigem Erklärungsdruck standen, anstatt positive Stimmung machen zu können.

Dazu sind aber noch andere Faktoren gekommen. Das Duell um Platz eins war extrem zugespitzt. Mit Kurz und Kern waren Gegner anderer Qualität auf dem Feld als vor vier Jahren mit Spindelegger und Faymann. Gerade in der Schlussphase des Wahlkampfs dürften wir da im Osten an die SPÖ und im Westen an die ÖVP verloren haben. Auch grüne Inhalte waren in den letzten Jahren massivem Druck ausgesetzt. Zehn Jahre Wirtschaftskrise waren keine einfachen Rahmenbedingungen – das beherrschende Thema Flucht und Migration ab 2015 hat nochmals eine Verschärfung der politischen Debatte gebracht, die an die grüne Substanz gegangen ist. Versäumnisse in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass wir zusätzlich geschwächt waren und längst eine schleichende Unzufriedenheit bei vielen Wählern da war. Damit waren wir – schon unabhängig vom Wahlkampf – in Summe den Herausforderungen und Schwierigkeiten nicht mehr gewachsen, und es ist gekommen, wie es gekommen ist. (Albert Steinhauser, Klubchef der Grünen im Nationalrat)

Christoph Chorherr: Beginn einer Diskussion

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Wir sollten die bittere Tatsache, dass es uns jetzt nicht mehr als parlamentarische Vertretung auf Bundesebene gibt, nutzen, um gut nachzudenken und, wo es notwendig ist, tiefgreifend umzugestalten. Die angeführten Punkte mögen den Beginn einer Diskussion darstellen.

  • Zeit: Auch wenn Wähler wie Medien jetzt schnelle Antworten wollen – die gibt es nicht. Wir sollten uns die notwendige Zeit nehmen. Die nächste Wahl auf Bundesebene findet im Mai 2019 statt, die Europawahl. Bis dahin sollten wir erst grundsätzlich (und sicher schmerzhaft) das aufzählen, was zwei Drittel der Wähler verjagt hat, und dann die notwendigen, ich glaube auch radikalen Veränderungen vornehmen.
  • Unsere Inhalte: Unsere zwei Eckpunkte stehen fest, bei allen Grünen weltweit: die Klimakrise als total unterschätzte globale Bedrohung und die Notwendigkeit, in kürzester Zeit aus der Fossilwirtschaft in eine erneuerbare umzusteigen. Sowie als zweite Säule: eine gerechtere, faire Verteilung von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen. Außerdem: Fairness zwischen Mann und Frau (von der wir noch immer weit entfernt sind) sowie Verteidigung und Ausbau einer offenen Gesellschaft. Die grüne Programmatik ist nicht unser Problem. Und das ist schon viel.
  • Aber: Wir könnten – und ich glaube, wir sollten – ein paar uralte Tugenden in unserem politischen Diskurs neu beleben. Vor allem Respekt. Wenn jemand nicht unsere Meinungen, unsere Positionen teilt, kann ein Gespräch auch uns weiterbringen. Weil wir etwas dazulernen können.
  • Innerparteiliche Kontroverse: Die ist ebenso schwierig wie notwendig. Gerade um unseren Außenauftritt klarer und wiedererkennbarer zu machen, was in den letzten Jahren auch gelungen ist, wurde in einem wesentlichen Punkt übers Ziel hinausgeschossen. "Nur kein Streit!" Damit wurden auch notwendige öffentliche Klärungen unterbunden. Aber genau das macht eine Demokratie lebendig und sollte gerade bei uns Grünen kultiviert werden.
  • Öffnung: Jetzt sind sehr viele betroffen. Die Grünen raus aus dem Parlament? Das haben sie nicht gewollt. Es muss uns gelingen, zeitgemäße Formen der Mitarbeit, der Mitgestaltung zu entwickeln und anzubieten. "Nur" wir grünen Mandatare und Funktionäre in Parteigremien allein werden das nicht schaffen.
  • Welche Partei wollen wir? Jetzt wird's ganz schwierig. Die Innenorientierung und Abgeschlossenheit unserer Parteigremien ist ein wesentliches Merkmal unserer Krise. Wie könnte eine offene, spannende Partei aussehen? Wie wählt sie ihre Mandatare? In unseren Landes- und Bundesversammlungen haben es politisch begabte Menschen "von außen" heute sehr schwer. Meine These: Ein Van der Bellen wäre heute unmöglich. Er hätte kaum eine Chance auf ein Mandat. Aber wie sonst? Nur zwei Gedanken dazu: warum nicht den gewählten Spitzenkandidaten das Recht einräumen, fähige Personen auszuwählen und ihnen einen sicheren Listenplatz anzubieten? Oder: den Wählern ein viel stärkeres Recht auf die Auswahl und Umreihung auf der Kandidatenliste einräumen. Also: Mut zum Risiko!
  • Zuwanderung/Asyl bedarf grüner Klärungen: So sehr ich glaube, dass das Thema im Verhältnis zu anderen im öffentlichen und medialen Diskurs total überbewertet ist, muss ich eingestehen: Es nützt uns nichts, dass wir das so sehen. Viele Menschen bewegt das sehr. Als Menschenrechtspartei wurde uns vom politischen Gegner und vom Boulevard in unseren Augen zu Unrecht, aber sehr wirksam das Etikett umgehängt: Die wollen alle reinlassen. Und offene Grenzen à la 2015, das will die überwiegende Mehrheit der Österreicher nicht. Ich gestehe: Ich verstehe das und will das auch nicht. Ich bin vehement für ein humanes Asylrecht. Gerade deswegen muss ich dann aber auch befürworten, dass jene, die nach einem rechtsstaatlichen Verfahren einen negativen Asylbescheid erhalten, wieder aus Österreich ausreisen. Wenn die meisten aus unterschiedlichen Gründen trotzdem hierbleiben, untergraben wir politisch das Recht auf Asyl. Da ich leidenschaftlich für ein Europa ohne Grenzkontrollen eintrete, muss dieses Europa seine Grenzen nach außen schützen. Deswegen muss es legale Wege geben, außerhalb Europas Asyl zu beantragen. Und auch neben dem Weg des politischen Asyls muss es andere, begrenzte Wege der Einwanderung geben.
  • Den notwendigen ökologischen Umbau gewinnend und lustvoll kommunizieren:
    Diese Riesenaufgabe, die Umgestaltung unseres Wirtschafts-, Ernährungs-, Verkehrs- und Energiesystems, darf nicht mehr so sehr eine der Belehrung als eine des besseren, gelingenden Lebens sein. Einmal mehr: raus aus Parteigremien, hin zu jenen, die gründen und umgestalten. Dialoge führen. Allianzen schmieden. Sich von der Lust des Gestaltens anstecken lassen. (Christoph Chorherr, Ex-Parteichef und Wiener Gemeinderat)

Michel Reimon: Es wird Rückschläge geben

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Ich bin zu den Grünen gegangen, weil ich eine kämpferische Alternative zum autoritären Turbokapitalismus gesucht habe. Ich bin leidenschaftlicher Demokrat, die Basisdemokratie hat mich angesprochen. Und die Klimakatastrophe sehe ich als eine politische Rahmenbedingung: Wenn wir sie nicht in den Griff kriegen, ist alles andere ein "Nebenwiderspruch". Also Grün.

Ich habe mich nicht viel verändert. Hat sich verändert, was ich akzeptiere? Ja. Als "kämpferische Alternative" sind wir schon lange nicht mehr rübergekommen, aber wir haben auch mit einem ... hm, gefälligeren ... Auftreten Wahlen gewonnen. Große Erfolge in den Ländern.

Es wäre jetzt so leicht, pauschal zu kritisieren, ich glaube, da könnte man jetzt billigen Applaus abstauben. Aber es wäre zu platt. Die Länder sind in Österreich zentral für Umweltpolitik zuständig, auch fürs Soziale. Die Raumplanung in Salzburg und Tirol, der öffentliche Verkehr in Vorarlberg und Kärnten, die Energiewende in Oberösterreich, die Mindestsicherung in Wien ... all das ist konkrete Politik, die etwas bringt. Die darf man nicht eintauschen gegen eine reine Oppositionspolitik mit kämpferischer Attitüde ohne Umsetzung. Wenn ich mitbekomme, wie meine liebe Freundin Birgit Hebein in Wien einzelnen bedürftigen Menschen hilft, dann ist das mehr progressiver Kampf als jeder Protest.

Und das ist eine der zentralen Fragen, die ich mir jetzt stelle: Wie schaffen wir den Spagat? Egal ob wir Schwarz-Blau oder Rot-Blau bekommen, vor uns liegen harte Jahre. Nicht einmal echt neoliberal, sondern einfach konzernfreundlich. Es wird Rückschläge in vielen Bereichen geben, bei Umwelt, Gleichberechtigung, Sozialem ...

Ich will konsequenten, harten Widerstand der Grünen. Ich will, dass die Grünen beim Kampf gegen diese Entwicklung wieder an der Spitze stehen. Aber ich will auch, dass in den Ländern und Gemeinden konkret Politik gemacht wird. (Michel Reimon, Europaabgeordneter der Grünen)

Marco Schreuder: Die Art der grünen Listenwahl spaltet

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Die Grünen können noch so viel inhaltlich arbeiten, und das machen sie solide und gut. Man kann Ulrike Lunacek nichts vorwerfen. Es ist vielmehr die Art der Listenwahl, die jedes mal wieder Porzellan zerschlägt, ganze Gruppen verschreckt und sich abwenden lässt, die spaltet und den Grünen massiv schadet.

Natürlich hört sich das auf dem Papier gut an. Nur die Grünen erstellen ihre Listen demokratisch. Man muss nicht nach oben arschkriechen, sondern die Basis überzeugen. Trotzdem passieren ständig Aktionen, die uns massiv schaden. Kenesei in Wien, Dönmez in Oberösterreich, Voggenhuber in Europa und nun Pilz auf Bundesebene. Wir schaffen es nicht immer, tolerant gegenüber anderen Meinungen in der Partei zu sein. Man muss es deutlich sagen, hier besteht Handlungsbedarf.

Der Grün-interne Wahlkampf bei Listenwahlen ist das Brutalste, das ich je erlebt habe. Da organisieren sich Gruppen gegen andere, da emotionalisiert sich eine Gruppe derart, dass andere niedergemacht werden, da wird intrigiert und massiv die Menschlichkeit zerstört, für die man eigentlich einstehen möchte. Solidarisch ist da gar nichts mehr.

Hinzu kommt, dass in diesen Phasen die Grünen besonders mit sich selbst beschäftigt sind und kaum nach außen wirken. Und durch die permanente Situation, in einem ständigen Wettbewerb bei der Basis zu sein, gilt dies zu oft auch während einer Periode.

Ich finde auch, dass das Prinzip der grünen Listenwahl gut klingt. Aber am Ende schadet sie uns viel zu viel. Wie man das lösen kann, weiß ich auch nicht, aber das anders zu machen würde sich auszahlen. (Marco Schreuder war Gemeinde- und Bundesrat der Grünen)