Wichtiger als der Eros ist bloß die Liebe zum Zaster: Nicholas Ofczarek macht in der Rolle des Paratow der "schlechten Partie" namens Larissa (Marie-Luise Stockinger) den Hof – ab Samstag an der Burg.


Foto: Reinhard Maximilian Werner

STANDARD: In Alexander Ostrowskis Komödie "Schlechte Partie" hat der Tauschwert des Geldes alle zwischenmenschlichen Regungen korrumpiert. Nach Lektüre des Textes ist man ratlos. Meinen die Figuren, was sie sagen? Oder spricht nur noch das Geld aus ihnen?

Ofczarek: Schlechte Partie ist kein Tschechow. Von Regisseur Alvis Hermanis habe ich gehört, dass Ostrowski in Russland beliebter ist als Tschechow. Er wird öfter gespielt, von den Leuten lieber gesehen. Das Stück besitzt einerseits viele Vaudeville-Elemente, gleichzeitig eignet ihm diese tiefe russische Emotionalität. Beide Aspekte sind parallelzuführen. Das macht jede Aufführung zu einem gewagten Unternehmen. Wie will man beide Ebenen zur Geltung bringen?

STANDARD: Wobei es Feydeau-Szenen gibt, in denen reichlich Alkohol fließt ...

Ofczarek: Das Stück enthält immer wieder sehr viel Exposition. Es lässt sich auch nicht wirklich psychologisch "lösen". Ich denke, jede Figur sucht hier nach Liebe, nach Leben und Erleben, so wie Paratow, der adelige Schiffseigner, den ich spiele. Der Beamte Karandyschew (Michael Maertens, Anm.) liebt und will geliebt werden. Er hält um Larissa (Marie-Luise Stockinger, Anm.) an, das schönste Mädchen am Platz, gleichzeitig eine völlig verarmte Partie in der kleinen Stadt am Wolgastrand. Auch Karandyschew verwechselt Liebe mit Besitz. Wir suchen in der Probenarbeit nach dem schmalen Grat zwischen der Groteske und einer Psychologie, die sich gleichsam im Betrachter zu Ende erzählt.

STANDARD: Welche Interpretation wählt Hermanis?

Ofczarek: Wir spielen das in der Zeit der Entstehung, also im 19. Jahrhundert. Wir versuchen auch, den Spielstil des 19. Jahrhunderts anzunehmen, den wir natürlich selbst nicht mehr erlebt haben ...

STANDARD: Die Parallele zu uns liegt in der Verrohung des Umgangs der Figuren miteinander?

Ofczarek: Alle handeln vom Kapital geleitet. Das beginnt schon dann, wenn ich einer Frau das Kompliment mache: "Sie sind wertvoll!" Die Versachlichung und Verdinglichung der Verhältnisse ist total. Das Stück enthält auch die Parodie auf einen Schauspieler, der sich dieser Gesellschaft als Pausenclown andient. Wobei man wissen muss: Alexander Ostrowski war sein Leben lang pleite. Wurde das Stück eines russischen Autors an einem einheimischen Theater gespielt, flossen die Tantiemen direkt in die Staatskasse. Theater war in Russland anno 1878 eine brotlose Kunst. Was wir in Schlechte Partie sehen, ist das Aufkommen des Kapitalismus. Irgendwie scheinen die Menschen von vor 140 Jahren komplett vom Kapital durchseucht gewesen zu sein.

STANDARD: Was muss ein Regisseur mitbringen, um grundsätzlich Ihr Interesse zu erregen?

Ofczarek: Prinzipiell? Gut, sprechen wir von einem Ideal. Wichtig ist, dass ein Regisseur mich während der Arbeit an einer Vision teilhaben lässt. Man entwickelt dann seine eigene Vorstellung, und beide Ansichten gelangen miteinander zur Deckung oder auch nicht. Ich arbeite wirklich mit den unterschiedlichsten Regisseuren, und manchmal reicht die bloße Anwesenheit einer Instanz, die da unten sitzt und die Vision mit einem teilt. Da muss man im besten Fall gar nicht so viel reden! Letzten Endes sollte ein Regisseur ein guter Beschreiber dessen sein, was er selbst sieht. Manchmal geht man seiner eigenen Wege, woraus sich wieder Neues entwickelt. Vieles entsteht ja auch im Moment.

STANDARD: Ist der Umgang partnerschaftlicher geworden? Früher haben Spielleiter wie Zadek ihre Schutzbefohlenen gelegentlich auch brüskiert und unterdrückt.

Ofczarek: Mit Zadek durfte ich nie arbeiten. Er soll aber viel dagesessen sein und nur zugesehen haben. Er ließ die Schauspieler in eigener Verantwortung ausprobieren, und das zwingt zu erhöhter Selbstverantwortung für das ganze Projekt. Heute sagt eine Regisseurin ja nicht mehr: "Tritt von links auf und nimm das Glas hier in die Hand!" Was im Übrigen nicht schlecht sein muss.

STANDARD: Heute ist es diskursiver?

Ofczarek: Aber ich will doch gar nicht so viel diskutieren! Am Schluss ist und bleibt der Regisseur der Chef. Ich halte es auch für viel interessanter, jemanden durch mein Spiel zu überzeugen, anstatt anzufangen zu diskutieren. Sagen wir, es ist freier geworden, man trägt mehr Verantwortung auf den Schultern. Letztlich ein sehr feinstofflicher Prozess.

STANDARD: Wie postdramatisch ist das Theater geworden?

Ofczarek: Das performative Theater? Mich persönlich interessiert es nicht so wahnsinnig. Interessant am Theater ist doch nicht, einer bloßen Idee zu folgen und Betrachter zu bleiben, ohne involviert zu sein. Im besten Fall werde ich in den Inhalt hineingezogen, in das Erlebnis der Unmittelbarkeit. Wenn nur die Idee, die Verpackung im Vordergrund stehen, bleibe ich bloß Betrachter von Vorgängen. Ich werde nicht zum Voyeur. Ich halte das für sehr viel leichter und einfacher.

STANDARD: Man stellt die Mittel aus, aber sie gelangen nicht zur Wirkung?

Ofczarek: Ja. Die schwerere Kunstform ist es, in "bar" zu zahlen. Wenn sowohl Schauspieler als auch Publikum auf die Herstellung des Vorgangs vergessen, dann kann in einem ganz analogen Sinn Zauber stattfinden. Es ist doch auch okay, wenn Theater ein "Sprachmuseum" ist. Das macht gar nichts. Das Museale soll es doch geben dürfen.

STANDARD: Was bringt Ihre nähere Burgtheater-Zukunft?

Ofczarek: Ich fühle mich wohl, wenn ich eine Art von innerer Unabhängigkeit verspüre. Als ich in München unter der Regie von Frank Castorf den Kasimir spielte, war ich vorher auch schon eineinhalb Jahrzehnte an der Burg. Ich schaue mir viel an! Martin Kusej kommt in zwei Jahren. Man wird einander dann treffen und sehen, was man voneinander will. (Ronald Pohl, 20.10.2017)