Dirigent Markus Poschner (Jahrgang 1971).

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Wien – Es ist unvermeidlich, aber ein bisschen "absurd für einen Künstler, vermessen zu werden", sagt Markus Poschner. Letztlich geht es bei der Kandidatenwahl für einen Chefposten ja "um die Chemie zwischen Orchester und Dirigent". Und die habe eben gestimmt – zwischen dem Münchner und dem Bruckner-Orchester Linz, das er nun im Sinne der Profilsuche mit Fragen wie "Was sind wir eigentlich?" konfrontiert.

An das Aufzwingen von Konzepten glaubt Poschner, der in Bremen zehn Jahre lang Musikchef war, dabei nicht. "Meine Währung ist das Vertrauen. Ich habe eine Idee, bin aber eine Art Verkäufer, der für Überlegungen wirbt. Man muss vorsichtig sein. Wenn mir nicht wirklich geglaubt wird, geht ja gar nichts." Dass der Namensgeber des Orchesters im Zentrum der Bemühungen zu stehen hat, ist logisch. "Ich will quasi die nächste Stufe zünden, ich habe ein tolles Orchester, dessen Name Vorgaben liefert. Die Frage aber ist: Was holen wir aus Bruckner heraus, wie drücken wir uns aus? Für mich ist wichtig, dass wir vom Gesang herkommen, Bruckner wegbringen vom Donnerblech. In ihm ist ja viel Schubert. Bruckner kommt anders rüber, wenn man etwa lange Töne richtig aufblühen lässt."

Besondere Erkennbarkeit als Folge? Es wäre "das absolute Kompliment, wenn es heißen würde: 'Das sind die Linzer, nicht die Wiener'", so Poschner, der – neben Konzerten – im Linzer Opernhaus zwei Premiere jährlich dirigieren wird. Um das Ziel zu erreichen, brauche es jedoch nicht nur Musikkommunikation. "Ich habe ja motivierte Leute, es ist ein Traum. Was Ideen betrifft, bedarf es aber mehr: Wir müssen uns über unsere Identität unterhalten. Jeder mittelständische Betrieb hat ja bessere Kommunikationsstrukturen als viele Orchester. Da lässt sich einiges verbessern."

Zu Poschners Ideen gehören auch Experimente. Die 8. Symphonie von Bruckner wurde etwa mit einer Jazzband, darunter auch der renommierte Gitarrist Nguyên Lê, verbunden. Sie kommentierte den Symphoniker, wobei die einzelnen Sätze unberührt blieben – von plumpem Crossover hält Poschner nichts. Auch, was Interpretation anbelangt, mahnt er: "Die Noten, die Schriftzeichen, sie sind ernst zu nehmen, obwohl man natürlich auch zwischen den Zeilen lesen muss – wir sind ja keine Roboter! Aber wir haben nichts anderes als die Partituren, sie sind wie heilige Quellen. Versucht man, etwas ganz anders zu machen, ist das okay. Es sollte dann aber auch sehr konsequent passieren."

Zwei Welten der Wahrheit

Dass die eine interpretatorische Wahrheit ohnedies nicht existiert, konnte Poschner bei der Arbeit mit Dirigenten wie Roger Norrington und Colin Davis erfahren. "Norrington war wichtig mit seiner fundierten, wissenschaftlichen Art, mit den Texten umzugehen. Ebenso wesentlich war für mich Colin Davis, der vergleichsweise von einem anderen Planeten kam. Davis war auch sehr kundig, aber eben ganz anders. Er konnte bei Proben zu Mozart die Leute zu Tränen rühren."

Würden Norringtons Interpretationen mit jenen von Davis verglichen, "es wären in jedem Takt Unterschiede festzustellen", so Poschner. Beide aber hätten glaubwürdig ihre Geschichte erzählt. Poschners Schluss daraus: "Wir sind also verdammt dazu, eine Geschichte zu erzählen. Niemand wird uns nach den Parametern fragen, die wir einsetzen." Jeder aber würde spüren, wenn es "ausdrucksstärker und intensiver wird, als erwartet".

Und dies soll das Bruckner-Orchester mit ihm werden. (Ljubiša Tošić, 19.10.2017)