Darth Pilz oder Peter Vader? Wie immer, für viele Grüne ist Peter Pilz nach der Wahl endgültig auf die dunkle Seite der Macht gewechselt.

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Als Salzburger des Jahrgangs 1966 bin ich mit den Grünen politisch sozialisiert worden. 1982 schaffte die grüne Bürgerliste in der Landeshauptstadt knapp 18 Prozent und machte Johannes Voggenhuber zum ersten grünen Stadtrat Europas. Wie viele andere bin ich einen Teil des Weges mitgegangen und habe mich auf ihrem Marsch durch die politischen Institutionen wieder von der Partei entfernt. Und wie viele andere habe ich sie bei manchen Wahlen gewählt – allerdings schon lange nicht mehr im Bund.

In den Ländern und Gemeinden haben die Grünen ihre thematische Nähe zu den Gründungsmaterien (Umwelt- und Verkehrspolitik) behalten, die Salzburger Bürgerliste hat hier ihren historischen Anker und stellte drei Jahrzehnte den Planungsstadtrat. Hier fehlt auch die Überabgrenzung von der politischen Konkurrenz – teilweise als erzwungenes Ergebnis von Proporz- bzw. Konzentrationsregierungen -, der Ton ist gemäßigter, auf der grünen Realo-Fundi-Skala schlägt das Pendel stärker auf die Realoseite aus.

Anders die Entwicklung im Bund. 1986 noch eine Umweltpartei, der über den Schub der Hainburg-Bewegung der Sprung ins Parlament geglückt war, entwickelte sich aus den Grünen rasch eine Partei mit umfassender politischer Programmatik und einem immer schärfer konturierten ideologischen Profil, das in mehrere Wahlen gegen den Hauptgegner "Rechts" mündete – ob dieser in einem konservativen, populistischen oder extremen Kleid auftritt, kümmerte schon seit längerem nur mehr peripher. Mit der zunehmenden Entfernung zu den Gründungsmaterien wurde aus den Grünen eine Partei, die immer mehr Inhalte an sich zog, ohne sie aber auf für den Wähler stimmige und nachvollziehbare Weise in eine allgemeinere Programmatik zu integrieren. Von den drängendsten Weltproblemen bis zu den belanglosesten Genderthemen wurde alles irritierend gleichgeordnet und ohne erkennbare Zielehierarchie behandelt.

Glücksfall Van der Bellen

Der grüne Glücksfall Van der Bellen konnte inhaltliche Defizite und Konflikte noch mit ironischer Ambivalenz überspielen. Mit seinem Abgang hätten die Grünen eine tiefgreifende Programmdiskussion starten und die Partei öffnen müssen. Stattdessen kamen die Marketingberater und Coachingexperten, und die stetig wachsende Partei verwandelte sich fast unbemerkt aus einem Zusammenschluss von Querköpfen und Individualisten in eine Funktionärspartei wie alle anderen, mit den damit verbundenen Finanz- und Machtinteressen und einem Politikertypus, den man ebenso von allen anderen kannte: bestens geschult darin, die jeweils akkordierte Sicht der Dinge nach außen zu vertreten, aber ohne Expertise im kritischen Hinterfragen der eigenen Positionen.

Mit der Zeit verschwand schließlich auch die ursprüngliche Lust an einem kritischen Fragen, das sich abseits vorgezeichneter ideologischer Bahnen bewegt. Das grüne Projekt wurde immer mehr zu einer Wagenburg, die keine Querdenker mehr anzog, die Partei immer autoritärer, nach innen wie nach außen. Nur so ist es auch zu erklären, dass die Grünen wesentliche Entwicklungen im Bereich Migration/Asyl entweder verschlafen oder bis heute nicht verstanden haben. Die Stehsätze und die stereotypen Antworten, die grüne Spitzenpolitiker seit zwei Jahren auf die Flüchtlingskrise geben, haben die intellektuelle Öde und Flachheit der Partei schonungslos aufgedeckt. Wenn die Lernkurve des Wählers steiler ist als jene der Funktionäre, gibt es nichts mehr zu gewinnen.

Die Grünen brauchen nun zunächst eine ehrliche und tiefschürfende Aufarbeitung des Debakels, und die ersten Versuche in diese Richtung stimmen bestenfalls vorsichtig optimistisch. Sie haben sich weder überlebt noch sind sie verzichtbar. Die Grünen sind noch immer die Partei mit dem längsten thematischen Atem und die einzige politische Kraft, die systematisch in Generationen denkt und Visionen entwickelt, die über eine Reihe von Wahlperioden hinausreichen. Aber sie haben intellektuell nichts mehr zu bieten, und auch die Aufarbeitung der Niederlage gerät so seicht wie die Kampagne und die Jahre davor. Wie kann es sein, dass man selbst an den politischen Hauptgegner "Rechts" (im grünen Verständnis ÖVP+FPÖ) um 50 Prozent mehr (!) Stimmen verliert als an die Liste Pilz? Wenn eine Partei in alle Richtungen ausrinnt, dann ist das ein untrügliches Indiz dafür, dass das Gesamtprofil nicht stimmt. Wie ist es möglich, dass Pilz-Sympathisanten Strache überzeugender finden als Lunacek (45:30, Puls-4-Konfrontation)? Wollen die Grünen hier Antworten finden, dann stehen ihnen sehr unangenehme Diskussionen ins Haus.

Vieles wird nun von den Entscheidungen der Liste Pilz abhängen. Hält Pilz sich aus den Ländern heraus, dann könnte ein CDU/CSU-Modell die Folge sein, zum Nutzen beider grüner Parteien und mit dem möglichen Ziel einer Wiedervereinigung. Doch dafür müssen sich beide verändern. Die Grünen müssten sich programmatisch neu aufstellen und stärker sachpolitisch orientieren, die Liste Pilz müsste ihr diffuses Profil nachschärfen und sich – horribile dictu! – in eine Partei umwandeln. Derzeit ist sie ein etwas schlitzohriges Vier-Mitglieder-Konstrukt, und auch das nur, weil man an die Parteienförderung wollte. Soll dieses Unternehmen politische Nachhaltigkeit haben, dann muss Pilz einen Programmprozess starten und sich auch für Mitglieder öffnen. Doch das haben seine Wähler und Sympathisanten in der Hand: An ihnen liegt es, die finanziellen Erwägungen geschuldete Satzung mit Leben zu füllen und einen Beitrittsantrag zu stellen. Mal sehen, was geschieht. (Christoph Landerer, 20.10.2017)