Österreich, ein paar Tage nach der Wahl. Die Grünen sind draußen, Pilz ist drin, die SPÖ auf dem zweiten Platz. Circa 60 Prozent der Bevölkerung sind anfällig für rechte, sehr rechte und sehr, sehr rechte Rhetorik. An Sagern dieser Couleur mangelte es nicht. Gewählt wurden die Sager trotzdem.

Das Gefährliche, das solche Grenzverschiebung freisetzt, wirkt schon. Schon wurde dem Autor Doron Rabinovici während einer Diskussion auf Twitter vorgeworfen, ein Brunnenvergifter zu sein: ein eindeutiger antisemitischer Code. Die Person, die das verfasste, ist mitnichten FPÖ-Wählerin. Sie ist Politikerin, war ÖVP-Bezirksrätin und hat Sebastian Kurz eifrig im Wahlkampf unterstützt. Auf den Terminus angesprochen, führte sie ihre jüdische Urgroßmutter an. Aber auch eine jüdische Urgroßmutter schützt vor Laster nicht! Auch mit jüdischen Vorfahren kann man prächtig antisemitische Sprüche klopfen, ohne dass sie weniger antisemitischen Gehalt hätten!

Am selben Tag erklärte mir ein Herr, dass Sebastian Kurz allein deswegen kein Antisemit sein könne, weil er ein höflicher Mensch sei. Nachdem ich ihn auf die Existenz von Tätern der NS-Zeit hinwies, die durchaus höflich und gebildet andere Menschen ins Gas schickten, bekam ich an den Kopf geworfen, dass meine Präpotenz bemerkenswert sei. Und manipulativ sei ich obendrein.

Am Tag davor wurde eine Bekannte bei Grün auf dem Zebrastreifen fast angefahren. Das im Auto sitzende Paar schrie aus dem heruntergekurbelten Fenster, Ausländer wie sie (die in Wien Geborene und Aufgewachsene) würden bald alle wegmüssen.

Nur ein paar Tage braucht es offenbar, um auf der glatten Oberfläche des gewohnten Alltags erhebliche Kratzer zu ziehen. Sebastian Kurz ist kein Antisemit. Aber er spielte mit Vorurteilen und Ressentiments, um Stimmen zu fischen. Die FPÖ hat sowieso keine Hemmungen beim Entfesseln der niederen Instinkte.

Die Frage bleibt, ob es faustdicker kommt. Und wie man diesen faustdicken Flaschengeist jemals wieder in seine Flasche bekommt. (Julya Rabinowich, 20.10.2017)