1. Wer die "Wiener Zeitung" übernimmt

Es sah aus wie die schnellste Bewegung der österreichischen Medienpolitik, seit Wolfgang Schüssels Regierung 2000 zuallererst den ORF-Aufsichtsrat von rot-schwarz auf schwarz-blau wendete, ja viel schneller gar: Weder gebildet und noch angelobt, schien eine schwarz/türkis-blaue Regierung schon den Chef der staatlichen "Wiener Zeitung" hinausgeworfen zu haben (Wochenschau-Leserinnen und -Leser waren darauf eingestimmt). Allein: So schnell ist nicht einmal das erwartete Kabinett Kurz.

Chefredakteur Reinhard Göweil wurde aus anderen Gründen am Freitag fristlos entlassen, von einem roten Geschäftsführer mit der Rückendeckung eines jedenfalls alles andere als tiefschwarzen oder grelltürkisen oder dunkelblauen Aufsichtsrat und eines noch unter sozialdemokratischer Verwaltung befindlichen Kanzleramts. Göweil will gegen die Entlassung klagen. Fürs Erste aber ist die Chefredaktion der staatlichen "Wiener Zeitung" jedenfalls frei für eine Neubesetzung unter einer neuen Regierung.

"Bis auf Weiteres übernehmen die stellvertretenden Chefredakteure die Leitung der Redaktion", erklärte Geschäftsführer Wolfgang Riedler am Freitag in seiner dürren OTS über Göweils Abberufung. Das sind einerseits Thomas Seifert, er arbeitete vor der "WZ" für "Falter", "News" und "Die Presse". Und Walter Hämmerle, er war 1998 bis 2000 politischer Referent der ÖVP Wien und 2000/2001 stellvertretender Landesgeschäftsführer der Wiener Volkspartei, zuständig für die tagespolitische Koordination der Abteilungen Politik, Presse und Organisation, 2002 kam er als Redakteur zur "Wiener Zeitung". Also Jahre, bevor unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) Andreas Unterberger dort 2005 Chefredakteur wurde und bevor Göweil unter Kanzler Werner Faymann (SPÖ) Unterberger 2009 ablöste.

Wenn ein Medium von so überschaubarer Reichweite – nicht in der Media-Analyse ausgewiesen, aber wohl unter den letzten rund einprozentigen Werten des "Wirtschaftsblatt" – solche politische Aufmerksamkeit genießt: Wie groß muss die Aufmerksamkeit für Österreichs größtes Medienunternehmen ORF sein, das laut eigenen Studien täglich rund 90 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher mit zumindest einem seiner Angebote erreicht?

2. Bürgerliche ORF-Freunde

Einen Tag nach der Nationalratswahl, am Montag, den 16. Oktober 2017, hatte ein Teil der ÖVP-nahen ORF-Stiftungsräte etwas zu besprechen – oder auch nur zu feiern. Nach geltendem ORF-Gesetz vergrößert der Wahlsieg von Sebastian Kurz diese schon große Fraktion noch ein Stück. Und wenn ÖVP und FPÖ eine Regierung bilden, dann vervielfacht das die bisherige Einmannfraktion der Freiheitlichen.

Thomas Zach, Sprecher der bürgerlichen Stiftungsräte, und ORF-General Alexander Wrabetz im ORF-Stiftungsrat im Dezember 2016.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Beim abendlich-bürgerlichen Kleingruppentreffen gleich nach der Nationalratswahl: Thomas Zach, Sprecher der ÖVP-nahen Stiftungsräte; eine Handvoll Ratskollegen und -kolleginnen; Richard Grasl, 2016 schwarz-blauer Kandidat für den ORF-General und bis Herbst 2016 Finanzdirektor im ORF und nun Medienberater; Robert Ziegler, ehemaliger bürgerlicher Betriebs- und Stiftungsrat und nun Chefredakteur im Landesstudios Niederösterreich. Ziegler habe ich vorige Woche in meiner kleinen Liste von Menschen, die im ORF unter schwarz/türkis-blau eine größere Rolle spielen könnten, glatt übersehen. (Der "Kurier" steuerte diesen Sonntag auch noch Sportchef Hans Peter Trost, ORF-Sport-Plus-Senderchefin Veronika Dragon-Berger und Gremienbüro-Leiter Josef Lusser bei.)

Teilnehmer des kleinen Freundeskreises sprechen von einer "privaten" Zusammenkunft von "Freunden" und wollen sich nicht über Themen des Abends äußern. Andere – auch bürgerliche – Stiftungsräte nahmen die Nachwahl-Zusammenkunft interessiert bis irritiert auf.

3. ORF-Mandate mit Ablaufdatum

Bilden ÖVP und FPÖ die nächste Bundesregierung, schrumpft der sozialdemokratische Freundeskreis im ORF-Stiftungsrat von bisher 13 auf – nach geltendem ORF-Gesetz – voraussichtlich fünf: zwei Betriebsräte, ein Parteimandat (Nationalrat), zwei Ländervertreter (Wien, Burgenland).

Auf Regierungsmandaten sitzen derzeit vier rote Freunde – Andrea Brem, Andrea Schellner, Martina Vitek-Neumayer und, erst seit Frühjahr 2017, Freundeskreissprecher Heinz Lederer. Auch der unabhängige Kirchenmann Franz Küberl hat ein Regierungsmandat im Stiftungsrat, seit mit einer ORF-Novelle 2014 kein Kirchenvertreter aus dem ORF-Publikumsrat mehr einen Fixplatz im Stiftungsrat hat. Bis es wieder so einen Fixplatz gibt, will Küberl dem Vernehmen nach selbst Stiftungsrat bleiben.

Die Grünen scheiden nach dem Nationalrat auch aus dem ORF-Stiftungsrat aus, sobald sich eine neue Regierung angelobt des ORF annimmt – die Grünen vertritt im ORF-Rat seit Frühsommer Marie Ringler. Ein Ablaufdatum im Rat hat auch Günter Leitold als Vertreter des Team Stronach.

Die ÖVP kann (nach bisherigem ORF-Gesetz) zum Beispiel mit zwei statt einem Parteienvertreter rechnen, weil nur noch fünf Fraktionen im Nationalrat sitzen – da bekommt die stärkste ein zweites Parteimandat. Die Zahl der Regierungsräte (insgesamt neun) ist Verhandlungssache mit dem jeweiligen Koalitionspartner. Der Bundeskanzler bestimmt zudem die Mehrheit im Publikumsrat, der wiederum mit Mehrheit sechs Stiftungsräte entsendet. Mehr zur ORF-Arithmetik nach geltendem Gesetz hier.

Parteien und Regierung können bei Neukonstituierung (der Regierung, die entsendet formal diese 15 von 35 Räten) gleich neue ORF-Stiftungsräte bestimmen. Wenn sie es nicht ganz so eilig haben: Die Funktionsperioden von Publikums- und Stiftungsrat enden regulär im April und Mai 2018. Und mit einem neuen ORF-Gesetz, wie es sich vor allem die FPÖ, aber auch ÖVP und SPÖ schon länger vorgenommen haben, dürfte es ohnehin neue Gremien geben mehr hier etwa über blaue und andere Vorstellungen. Eine Neubestellung des ORF-Managements ist dann zu erwarten; einen Vorstand statt des Alleingeschäftsführers wünschen sich Schwarz und Blau schon eine Weile.

4. Privatfernsehkrieger in Pink

A propos neues ORF-Gesetz: Dienstag erklärt ProSiebenSat1Puls4 wieder einmal dem ORF den Krieg. Diesmal nur quotentechnisch: Puls 4 leistet sich (mit einem ungarischen Produktionspartner in Budapest) seine bisher teuerste Produktion – "Ninja Warrior Austria".

Einer der "Ninja Warrior" aus Österreich: Yoga-Lehrer Christian Draxl.
Foto: Mathias Kniepeiss/Puls4

Mit der deutschen Version der Actionshow erzielte RTL zwischen August und September auch in Österreich eindrucksvolle Quoten: Über alle Folgen kam RTL in Österreich im Schnitt auf 6,8 Prozent beim Gesamtpublikum, auf 10,7 Prozent in der Werbezielgruppe und ansehnliche 15,4 Prozent beim Publikum unter 30. Die jeweils stärksten Einzelsendungen kamen in diesen Zielgruppen im Schnitt auf neun, 13 und 21 Prozent Marktanteil in Österreich.

Puls 4-Senderschnitt seit Oktober 2017 auf dem künftigen "Warrior"-Sendeplatz am Dienstag um 20.15 Uhr, etwa mit "2 Minuten 2 Millionen" und "Bist du deppert": 5,5 Prozent beim Gesamtpublikum und 7,2 in den jüngeren Zielgruppen. Folgen von "2 Minuten" schafften bis zu 14 Prozent (unter 50-Jährige) und 19 Prozent (unter 30) Sendungsschnitt.

5. Quotenstand: ORF über Vorjahr

Wo wir schon bei den Quoten sind, ein Zwischenstand für Oktober 2017: ORF 1 und ORF 2 liegen im Nationalratswahlmonat bisher gemeinsam beim Gesamtpublikum wieder über der 30-Prozent-Marke, und mit 31,3 Prozent Marktanteil auch über den 30,6 Prozent vom Oktober 2016. ATV und Puls 4 halten bisher bei 3,3 und 3,4 Prozent im Gesamtpublikum (nach 2,6 und 2,9 vor einem Jahr). Servus TV kann seinen bisherigen Spitzenwert von 2,4 Prozent im September im Oktober (jedenfalls vorläufig) halten. Oe24TV kommt auf einen Oktober-Schnitt von 0,2 beim Gesamtpublikum und in der Werbezielgruppe.

In der Werbezielgruppe zwischen zwölf und 49 Jahren kommt ORF 1 im Oktober bisher auf 12,1 Prozent Marktanteil, zusammen mit ORF 2 auf 25,2 Prozent. ATV hält hier bei 4,5 Prozent und Puls 4 bei 4,4 – vor der ersten "Warrior"-Ausgabe. Servus TV schafft 1,9.

6. "Daheim" unter Vorjahr

Lange nichts gehört von "Daheim in Österreich" und seiner Quote, aber ich war ja auch eine Weile (in Österreich) auf Urlaub. Im Oktober 2017 kam das im August neu und nun mobil gestartete Vorabendmagazin des ORF im Schnitt auf 255.000 Zuschauer. Das Vorgängermodell "Heute Österreich" hatte im selben Zeitraum im Schnitt 300.000 Zuschauer. Zugegeben: Das Herbstwetter war bis vorige Woche sehr schön.

7. Eine neue Währung für Vorarlberg

Vorarlberg Online/"Vorarlberger Nachrichten" von Russmedia haben für Ende Oktober eine neue App angekündigt, die auch gleich eine neue Währung für Vorarlberg einführt. Um Userinnenn und Usern den Wert von Inhalten zu verdeutlichen, sollen die App ihnen einen Gegenwert auf einem eigenen virtuellen Konto anzeigen – wenn ich das richtig verstanden habe. Als Vorarlberger Parallelwährung von Russmedia waren unter anderem "Rheintaler" im Gespräch. Die App und ihr Wertesystem wurden von Googles Digital News Initiative gefördert. Wie etwa auch ein Bot, der beim STANDARD helfen soll, besonders fruchtbare Diskussionen und andere bemerkenswerte Entwicklungen in den Foren rasch zu entdecken. (Harald Fidler, 23.10.2017)