Viele Moscheeverbände würden eine Islamlehre vertreten, die nichts mit dem Leben und dem Alltag der Mehrheit der Muslime in den westlichen Ländern zu tun habe, sagt Saïda Keller-Messahli.

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STANDARD: Für Ihr Buch haben Sie "einen Blick hinter die Kulissen der Moscheen" in der Schweiz geworfen. Was haben Sie dort gefunden?

Keller-Messahli: Es ist ein beunruhigender Befund, weil sich allmählich eine Parallelgesellschaft etabliert. Das Leben in den 300 Moscheen der Schweiz ist sehr abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. Niemand weiß, was dort gepredigt wird, was dort überhaupt stattfindet. In einigen Moscheen werden wirklich radikale Prediger aus den Balkanstaaten, der Türkei oder Saudi-Arabien eingeladen, um dort ihre Ideologie zu verbreiten. Sie werden auch an andere Moscheen weitergereicht und wandern oft durch ganz Europa. So wurde die Schweiz zu einer islamistischen Drehscheibe.

STANDARD: In welcher Form wird denn Österreich von dieser schweizerischen Drehscheibe berührt?

Keller-Messahli: Es gibt ganz enge Verbindungen zwischen den Moscheen in Österreich, der Schweiz und Deutschland, nicht nur wegen der Sprache und der geografischen Nähe, sondern weil bestimmte – bosnische, albanische, arabische und türkische – Verbände international denken und handeln. Wir wissen, dass die UETD, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, eine Zentrale in Köln hat, von der aus alle türkischen Moscheen im deutschsprachigen Raum im Blick gehalten werden. In der Schweiz pflegt ein Österreicher, ursprünglich aus Mazedonien, der eine äußerst konservative Lesart des Islam vertritt, die Kontakte zu Österreich. Diese Vernetzung ist in den meisten Moscheen eine Selbstverständlichkeit.

STANDARD: Für eine neue Studie im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds wurden die 16 reichweitenstärksten Moscheen in Wien exemplarisch, also nicht repräsentativ untersucht. Ergebnis: Nur zwei dieser Moscheen unterstützen aktiv die Integration in die österreichische Gesellschaft und fordern diese ein. In mehr als einem Drittel der Moscheen wird hingegen der Integration entgegengewirkt. In einer werde islamische Überlegenheit propagiert, die österreichische Mehrheitsgesellschaft und ihre Werte abgelehnt. Welchen Umgang fordern Sie von der Politik mit Moscheen bzw. Betreibervereinen?

Keller-Messahli: Mich hat diese Studie überhaupt nicht erstaunt. Mein Befund ist noch schlimmer. Ich denke, dass die überwiegende Mehrheit der Moscheen Werte vertritt, die mit einer demokratischen und auch freiheitlichen Gesellschaft nicht übereinstimmen. Wir müssen den Mut aufbringen, zu sagen, wenn eine Moschee gegen die Gesellschaft arbeitet, dann muss sie geschlossen werden. Da stellt sich wirklich die Frage: Was ist deren Ziel? Warum sind sie überhaupt in Europa, wenn sie gegen diese Gesellschaft arbeiten? Ich sehe das oft in den Online-Foren arabischer Zeitungen, dass selbst in muslimischen Ländern viele Menschen nicht verstehen, warum Menschen, die nach Europa gehen und das Privileg haben, dort in Freiheit zu leben, gegen die demokratische Gesellschaft arbeiten, die sie aufgenommen hat.

STANDARD: Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) hat die Studie als "schmutzige Kampagne" gegen Muslime bezeichnet, die nur der "öffentlichen Denunzierung" diene.

Keller-Messahli: Dass sich der organisierte Islam bzw. die Verbände sofort als Anwalt für alle Muslime aufspielen, ist auch bei uns ein bekanntes Phänomen. Dazu muss man sagen, dass der organisierte Islam nur eine ganz kleine Minderheit vertritt. In allen Ländern repräsentieren die Moscheen maximal zwölf bis 15 Prozent der muslimischen Bevölkerung. Die ganz große Mehrheit der Muslime in unseren Ländern sind eigentlich total laizistische Leute, die perfekt integriert sind und die auch wissen, warum sie in Europa leben, weil sie da Freiheit haben, Sicherheit und eben auch die Hochachtung vor den Menschenrechten, die sie auch einfordern können. Deswegen sind sie in Europa und nicht anderswo.

STANDARD: Welche Rolle können die Moscheen dann im Zusammenhang mit Integration spielen?

Keller-Messahli: Keine, so wie sie derzeit verfasst sind. Es braucht einen Neustart in dem Sinne, dass man den Fokus der Integration auf die große Mehrheit der Muslime legt, die perfekt integriert, absolut laizistisch sind, und wenn überhaupt in Glaubensfragen aktiv oder tätig, dann sicher nicht politisch, und die nicht in Moscheeverbänden organisiert sind. Diese liberalen Kräfte sind viel repräsentativer für die muslimische Bevölkerung, sie müssen politisch einbezogen werden, denn die Verbände verfolgen rein politische Ziele. Seit 20 Jahren sagen sie uns, sie würden für die Integration arbeiten, aber größtenteils tun sie das Gegenteil.

STANDARD: Oft heißt es dann, warum meldet sich diese von Ihnen angesprochene laizistische muslimische Mehrheit nicht zu Wort?

Keller-Messahli: Sie fühlen sich nicht angesprochen durch das, was die Moscheen heute so bieten. Sie haben das Gefühl: "Das geht mich nichts an. Ich bin zwar auch Muslim, aber ich mache das ganz anders." Wir haben solche Menschen in unserem Forum für einen fortschrittlichen Islam in der Schweiz, die beten, die fasten, die Frauen würden nie ein Kopftuch tragen – die identifizieren sich nicht mit dem, was in den Moscheen passiert, mit der Geschlechtersegregation, dem Abschirmen der Frauen, den Fatwa-Räten, den Predigern, die einen Islam aus dem siebten Jahrhundert predigen und sich starkmachen für die freiheitsfeindliche Scharia. Sie können mit all dem nichts anfangen, weil es da keine Brücke gibt zu ihrem Leben hier und jetzt in der Schweiz.

STANDARD: Sie unterstützen nicht nur das Vollverschleierungsverbot, das in Österreich seit dem 1. Oktober gilt, Sie wären überhaupt für ein Kopftuchverbot – warum?

Keller-Messahli: Ja, auf jeden Fall zumindest ein Kopftuchverbot an Schulen. Es ist eben so, dass mit dem Aufkommen des politischen Islam in den letzten Jahren auch das Kopftuch für die Frau im öffentlichen Raum an Gewicht gewonnen hat. Das war lange Zeit nicht so, auch in muslimischen Ländern. Selbst in Afghanistan gingen junge Frauen mit kurzen Röcken zur Uni. Auch in den muslimischen Ländern gab es und gibt es eine Frauenbewegung. Frauen haben sich auch dort sehr viele Rechte, gerade auch den Zugang zum öffentlichen Raum, erkämpft. Der politische Islam will das rückgängig machen, deshalb muss die Frau versteckt werden. Die Verhüllung ist ein Herrschaftsinstrument, das den öffentlichen Raum für die muslimische Frau unzugänglich machen möchte. Es sind Macht- und Kontrollgelüste, die nichts mit dem Koran zu tun haben, weil im Koran kommt das Wort Haar nicht einmal vor. Darum beneiden wir in der Schweiz Österreich, dass sie politisch den Mut haben, Grenzen zu setzen, und sagen, wir dulden so etwas nicht im öffentlichen Raum. Auch dass sie die "Lies!"-Koranverteilaktionen von Salafisten verboten haben.

STANDARD: Was entgegnen Sie, wenn jemand sagt, eine liberale Gesellschaft muss es doch aushalten, wenn eine erwachsene Frau freiwillig ein Kopftuch tragen will?

Keller-Messahli: Dem entgegne ich, dass sich auch ein demokratischer liberaler Staat wehren darf, wenn es darum geht, dass jemand eigentlich die Demokratie abschaffen möchte, denn das Kopftuch ist eine Markierung des Mädchens oder der Frau, die darauf abzielt, die Frau auf ihr Geschlecht zu reduzieren. Weil sie eine Frau ist, hat sie sich zu verbergen. Eigentlich ist es ein Konzept, das nicht nur frauenfeindlich ist, sondern auch männerfeindlich, weil man damit suggeriert, dass die Männer sehr einfach zu verführen sind, keine vernunftbegabten Wesen, sondern nur triebgesteuert sind, und deshalb muss die Frau quasi den Preis dafür zahlen und sich unsichtbar machen.

STANDARD: Sie sagten einmal: "Wir sind auf dem Toleranztrip." Was meinen Sie damit konkret?

Keller-Messahli: Wir hatten in der Schweiz 2016 einen Fall in Therwil bei Basel, wo zwei muslimische Buben eines Tages ihrer Lehrerin nicht mehr die Hand geben wollten, und die Schule hat das akzeptiert. Natürlich sind viele Leute auf die Barrikaden gegangen. Die Schule hat dann eine vorübergehende Kompromisslösung gefunden und alle Schüler generell vom Händeschütteln befreit. Der Vater der Buben war Imam in einer saudischen Moschee, und es war klar, dass er seine Söhne aufgefordert hat, sie dürfen die Lehrerin nicht berühren, weil sie eine Frau ist. Wenn wir solche Sachen akzeptieren, weil wir Ruhe haben oder dem Problem ausweichen wollen, dann schaden wir uns als Gesellschaft selbst.

STANDARD: Wie ging der Fall aus bzw. wie soll man damit umgehen?

Keller-Messahli: Letztlich hat die Bildungsdirektion des Kantons die Pflicht zum Händedruck für zulässig erklärt, auch unter Integrationsgesichtspunkten. Integration bedeutet auch, die Stellung der Frau in der Schweizer Gesellschaft anzuerkennen. Außerdem gibt es ein Bußgeld bis zu 5000 Franken (4300 Euro), wenn jemand die Kinder nicht in den Unterricht – egal, ob Schwimmen, Schulexkursion oder, das kommt auch vor, Biologie – gehen lässt. Es gibt Eltern, die gehen dann bis vor das Bundesgericht und verlieren dort meistens. Da hat sich in der Rechtsprechung etwas geändert, man bekommt nicht mehr automatisch recht im Namen der Religionsfreiheit. Die Politik muss da ganz klare Grenzen setzen. (Lisa Nimmervoll, 24.10.2017)