Wien – Man könnte jetzt lang räsonieren, warum Wien eine Stadt ist, in der man am liebsten sterben würde, weil alles hier einem immer so an den und grundsätzlich in den Arsch sowie den Bach hinunter geht. Wien, nur Wien, du kennst mich up, kennst mich down ... Allerdings haben Leute, die sich über die Stadt beschweren, meistens noch nicht in Innsbruck, Salzburg, Linz oder Graz gewohnt. Jetzt nur so als Beispiel.

Vienna Rest in Peace gehen mit ihren Todesschlagern zum Lachen in die Fußgängerunterführung.
Foto: Trauerplatten

In die Reihe des doch relativ umfangreichen und gegen die österreichische Bundeshauptstadt vorrückenden Beschwerdechors aus Bastis, Bumstis und Bauernschädeln hat sich nun auch eine neue Gruppe dazugesellt. Vienna Rest in Peace ist grundsätzlich ein Projektname, der dem verhandelten Thema in keinster Weise gerecht wird. Als lebenserfahrener Mensch etwa, zehn längere bezahlte Krankenstände nach der Matura und kurz vor der Beamtenfrühpension irgendwo an der Eingangstür zur Midlifecrisis in der Lebensmitte, also knapp am Ende, nun ja, lebend, möchte man der Stadt als ihr Bewohner eines wünschen: dass sie lebend kurz Ruhe gibt, bevor man ihr den Frieden im Tod aufzwingt. Behaupten wir einmal keck: Danach kommt nämlich nichts mehr.

Aber mit Musikern wie Sängerin Marilies Jagsch, Gregor Tischberger oder Ralph Wakolbinger, die früher bei einschlägig zwischen Grant, Griesgram und Verdruss agierenden Bands wie Aber das Leben lebt oder Kreisky tätig waren, stirbt die Hoffnung wahrscheinlich zuerst.

"Stimmungsgicht" und "Hoffnungsarthrose" sind in der Geschichte der Musik gegen und trotz Wien auf alle Fälle bisher viel zu wenig beachtete und besungene Krankheiten. Sie sind lyrische Textbausteine eines pünktlich zu Allerseelen erscheinenden gleichnamigen Albums mit Titel Vienna Rest in Peace, das auf dem hauseigenen Label Trauerplatten erscheint und ganz nach gutem alten katholischen Brauch der lebenden Toten gedenkt, die aus dem Fegefeuer namens Wien noch nicht erlöst wurden.

Dazu werden lyrische Mittel aufgebracht, mit denen man je nach Neigung eine Kerze für Georg Trakl entzündet – oder einen Parodieabend zu Ehren von André Heller gestaltet: "Sanftes Liedmatrosenlicht / wärme deine Stimmungsgicht / Hoffnungsarthrose, Pein in Sicht / die Seelenflosse paddelt nicht / Stich Sterne aus dem Teig der Klänge / entbinde den Wunderverband / brich dein Erbrechen ab, zerschlaf die Zwänge / schwemm dich an den nächsten Strand / Beug zu den Knien deine Stirn / verbirg das Pochen in deinem Leib / trink den Kräuterträgheitstee / fühl das Leichtmatrosenleid."

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Musikalisch schleppt man sich sehr gern auch im Duktus zart illuminierter Pompfüneberermärsche durch mollige Bereiche des deutschen Schlagers, etwa im zitierten Leichtmatrosenlied. Auch das etwas zügiger in Angriff genommene und mit eigentlich von der Jazzpolizei verbotenem Kinderchor behübschte Lied Staat der Affen erinnert etwa an das Schaffen des heimischen Kollegen Fuzzman. Es verweist mit konservativer Instrumentenhandhabung auf eine Zeit des deutschsprachigen Pop, in der das Publikum noch mit gut in der behaarten Brust versteckten Goldketterln, Dreiwettertaft und mächtigen Schlaghosen eingekocht wurde. Die hinterfotzige Anbiederung an das bundesdeutsche Gesangsidiom (Morbus Christina Stürmer) gelingt aber auch moderner.

Alles ist vorbei

Alles vorbei etwa, mit den schön gekoppelten Sätzen "Ich freu mich schon fast auf den nächsten Tag", "Ich habe keine Angst" und "Das ist jetzt alles vorbei", könnte verhuschter intoniert auch als eher lebensfreudige statt lebensmüde Ballade von Sven Regener und Element of Crime durchgehen. Nicht nur hier rüttelt der Sänger mit seiner provokanten Aufgesetztheit am Watschenbaum.

Berühr doch bitte meine Atemnot erweitert das Spektrum hin zur wie eine singende Säge aus dem Leitmotiv von Akte X klingenden Wimmerorgel. Dazu gesellen sich ein Rumpelbass und eine "schweizerisch", also zärtlich wie mit chinesischen Essstäbchen geschlagene Snare Drum und eine gewisse Nick-Cave-igkeit im Grundgestus.

Butter Fly

Vienna Rest in Peace. Irgendwann ist dann alles nach Plan untergegangen. Das Riesenrad ist eingestürzt, die Fiaker sind tot – oder wurscht was. Und die Stadt ist – Achtung, wichtige Unterscheidung! – nicht am, sondern im Oasch. Was kann der gelernte Wiener noch sehr gut, außer raunzen, sudern und den Mitmenschen am Oasch gehen? Richtig, die ganz harten Typen bezichtigen sich selbst. In Peter Handke heißt es: "Meine Fehler wären einer Maschine nicht passiert." Und: "Peter Handke lacht und spricht: Ich bin cool – und du nicht." (Christian Schachinger, 24.10.2017)