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Auf dem Radl zum Dorfladen: gesund für Natur und Wadln, im Alltag aber ein seltener Anblick. 73 Prozent der Dorfbewohner in Österreich fahren mit dem Auto zum Nahversorger, erhob ein aktueller Report. 17 Prozent klagen über schwierige Erreichbarkeit.

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Wien – Gut dreimal am Tag gehen Senioren eines kleinen Vorarlberger Orts einkaufen. Nicht weil sie so vergesslich sind, sondern weil der Lebensmittelladen der letzte Treffpunkt der Gemeinde zum Plaudern ist, erzählt Karl-Heinz Marent, der Nahversorger im Ländle regelmäßig einer Bestandsanalyse unterzieht und den Verein für Dörfliche Lebensqualität und Nahversorgung führt.

87 von 96 Vorarlberger Gemeinden wahrten einen Kaufmann in ihren Reihen. Kein anderes Bundesland in Österreich hat eine höhere Dichte an Nahversorgern. Geschuldet sei dies allein jährlichen Förderungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro, betont Marent. Sie fließen Lebensmittelhändlern zu, die in ihrem Dorf die Letzten ihrer Art sind, als Einzelunternehmer keiner Kette angehören und ohne Zuschüsse unwiderruflich in die Verlustzone abrutschen würden.

Viel Arbeit, wenig Lohn

50 Dorfläden sind es, die auf diese Weise dem Greißlersterben entgingen. Der Preis für ihre Betreiber seien 70 Stunden Arbeit die Woche, der Lohn dafür meist nicht mehr als 1700 Euro netto im Monat, rechnet Marent im STANDARD-Gespräch vor. "Es ist ein filigraner Markt." Letztlich fördere man mit öffentlichen Mitteln eine Infrastruktur, die Rewe und Spar zuvor ausdünnten.

Ein neuer Backshop eines Supermarktes an einer Taleinfahrt – und ein kleiner Händler zehn Kilometer hinten im Graben verliere schlagartig ein Drittel des Umsatzes. Ähnliches provozierten Autozubehör- und Baumärkte, die Lebensmittel ins Sortiment holten. "Der eine Bürgermeister freut sich, beim anderen sperrt der Kaufmann zu." In die Bredouille bringe manchen Dorfladen zudem die Expansion von M-Preis, der den Markt mit Dumpingpreisen aufmische.

Bauordnung als Hebel

Marent appelliert an ein Ende des Kirchturmdenkens – und sieht den Hebel bei der Bauordnung, die zu wenig geachtet würde. Nur gerecht wäre seiner Ansicht nach eine Nahversorgerabgabe, die große Ketten an der Peripherie leisten sollten. Aber da traue sich kein Bürgermeister drüber, schließlich wolle man keinen Krieg mit großen Konzernen. Bei Adeg und Spar sieht er im Ländle zwar das Bemühen, selbstständige Händler bei der Modernisierung ihrer Dorfläden zu unterstützen. Für wichtiger hält er es aber, Kleinen bei Konditionen wie der Menge der Bestellung und Lieferfrequenz entgegenzukommen. Auch die Aktionspolitik, die Ketten ihren Abnehmern vorgeben, schmälere die Erträge örtlicher Kaufleute erheblich.

Derer 400 zählt Adeg. Seit acht Jahren gehört die Genossenschaft zu 100 Prozent der Rewe-Gruppe, die bis dahin mit selbstständigen Händlern nichts am Hut hatte. Finanziell gerechnet hat sich das Engagement bisher offenbar noch nicht. Die Adeg Handels AG verbucht nahezu durchgängig Verluste. Zwischen 2010 und 2015 waren es laut Firmenbuch in Summe gut 42 Millionen Euro.

Alexandra Draxler-Zima, Vorstandsvorsitzende der Adeg, spricht von Restrukturierungseffekten. "Operativ ist das Geschäft positiv." Die Adeg-Geschäfte erhielten ein Facelifting, ihre Fläche wuchs teils auf das Ausmaß von Billa-Filialen heran. Zum Vergleich: Nah-&-Frisch-Standorte, die von 500 Kaufleuten quer durch Österreich geführt werden, sind in der Regel halb so groß.

Wichtiger Treffpunkt

Einblicke ins Dorfleben leistete sich Adeg nun mit einer neuen Studie, die der Händler beim Marktforscher Mindtake in Auftrag gab. 1050 Dorfbewohner wurden dafür befragt. 75 Prozent unter ihnen schrieben den Nahversorgern die Rolle eines wichtigen Treffpunkts ihrer Gemeinde zu. 58 Prozent der Befragten kennen sie persönlich. Und 76 Prozent zeigten sich bereit, für regionale Lebensmittel mehr zu bezahlen.

Die Landbevölkerung sterbe nicht aus, werde aber älter, sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier, der für die Präsentation des Reports hinzugezogen wurde. "Ländlicher Raum, der altert und schrumpft, braucht dennoch Basisinfrastruktur." Übernehmen nicht Nahversorger viele Dienstleistungen, müsse dafür letztlich die öffentliche Hand und somit der Steuerzahler aufkommen. (Verena Kainrath, 24.10.2017)