Zwei Regierungsbildungen durch ÖVP und FPÖ im Jahr 2000 und heute, aber was für ein Unterschied in Stimmungslage und öffentlicher Bewertung der Tauglichkeit einer solchen Koalition, auch was ihre Rolle in der Europapolitik betrifft!

Als sich vor 17 Jahren der Pakt zwischen ÖVP-Außenminister Wolfgang Schüssel und FPÖ-Chef Jörg Haider abzeichnete, war in Medien, Öffentlichkeit und Parteien der Teufel los. In Wien gingen Tausende auf die Straße. In Europas Regierungszentralen formierte sich unter der Führung des französischen Staatspräsidenten eine diplomatische Ablehnungsfront.

Jacques Chirac war schärfster Kritiker von Schwarz-Blau, gar nicht so sehr aus Sorge um die Wiener EU-Politik, sondern wegen der Verharmlosungen des Nationalsozialismus durch die Haider-FPÖ. In Frankreich waren damals Jean-Marie Le Pen (Vater von Marine) und sein Front National, den Chirac hart bekämpfte, im Höhenflug. Als Haider Chirac als "Westentaschen-Napoleon" verhöhnte, nahmen die "bilateralen Maßnahmen" der EU-Partnerstaaten ihren Lauf, harmlose Drohungen.

Die EU-Institutionen hielten sich demonstrativ raus. Dennoch war in Österreich die hyperpatriotische Parole von "den EU-Sanktionen" geboren.

Und heute? Da verhandelt ein ÖVP-Hybrid unter Sebastian Kurz mit der FPÖ über eine türkis-blaue Koalition. Gewandelt hat sich nicht nur die Parteifarbe der Volkspartei, sondern praktisch alle Umstände. Frankreichs Präsident schweigt. Es gibt weder Demonstrationen, noch regen sich gegnerische Parteien besonders auf.

Überzeugt und glühend

Die Grünen sind mit dem Rausfallen aus dem Parlament beschäftigt. Die SPÖ kreist um sich selbst. Wäre es ihr wirklich so ernst gewesen mit der Forderung, dass die FPÖ auf keinen Fall in die Regierung darf, hätte Parteichef und Wahlverlierer Christian Kern längst das tun müssen, was seine schwedischen Parteifreunde im Jahr 2010 taten. Der konservative Premier Fredrik Reinfeldt hätte damals eine Mehrheit nur mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten gefunden. Er weigerte sich. Die SP ermöglichte eine Minderheitsregierung Reinfeldt durch Duldung.

Von irgendwelchen Einwänden gegen Türkis-Blau ist zehn Tage nach der Wahl fast nichts mehr zu hören. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erwartet von Kurz eine "proeuropäische Regierung", die dieser versprochen hat. Eine Regierung "mit europäischer Ausrichtung" erwartet Präsident Alexander Van der Bellen.

Rundum nur noch lauter "Proeuropäer"? Sogar FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verstieg sich zur Behauptung, die Freiheitlichen seien "immer überzeugte und glühende Europäer" gewesen – aber kritisch halt. Das ist bewusste Begriffsverwirrung und Vernebelung. Die FPÖ ist eine EU-skeptische Partei wie unter Jörg Haider, der 1994 Njet sagte zur Union mit dem Maastricht-Vertrag, konkret: Euro, offenen Grenzen, gemeinsamem Außenhandel, gemeinsamer Sicherheit etc.

Straches FPÖ ist im EU-Parlament nicht zufällig in der Rechtsfraktion mit Le Pens Front National. Ihr "Europa" hat mit "dieser EU" wenig bis nichts am Hut. Die Nagelprobe für Türkis-Blau wird also erst kommen, sollte die FPÖ Schlüsselministerposten erhalten: Finanz-, Außen-, Innen- und Wirtschaftsminister müssen im wirklichen Leben "proeuropäisch" sein. Sonst gibt's für Österreich Probleme in Brüssel, Paris und Berlin – vom Euro bis hin zu den Sanktionen gegen Russland. (Thomas Mayer, 27.10.2017)