Dem Göttervater widerspricht man nicht: Prometheus (Christoph Wieschke) wird zur Strafe ans kaukasische Gebirge gekettet.

Foto: Loeffelberger

Salzburg – Über vierstündige Dionysien, wie sie das Landestheater Salzburg nun auf die Beine gestellt hat, hätten die alten Griechen wohl die Nase gerümpft. Die dem Gott des Rausches gewidmeten antiken Festivitäten waren, soweit man weiß, auf acht Tage anberaumt und gingen mit Prozessionen und aufwendigen Ehrungen einher. Dazu täglich eine Tetralogie, bestehend aus drei Tragödien und einem finalen Satyrspiel.

Diese dem Gemüt verpflichtete Reihung behielt Intendant Carl Philip von Maldeghem in der Felsenreitschule bei, hat aber trotz vergleichsweise mickriger vier Stunden sonst nicht gespart. Am Ende sind es deutlich über einhundert Beteiligte, die sich zum Applaus des Publikums auf der kolossalen Bühne zusammenfinden und den Abend als Mitmachtanzparty ausklingen lassen. Der personifizierte Frieden (Nikola Rudle als Göttin Eirene) singt dann "I will survive".

Kein Verdienstentgangsgeld mehr

Zur attischen Zeit gab es für das Publikum der tagsüber stattfindenden Vorführungen noch staatlich bereitgestelltes Verdienstentgangsgeld. Davon sind wir in neoliberalen Zeiten weit entfernt. Alles kostet. Auch das mit sieben Euro pauschal berappte und gnadenlos umkämpfte griechische Buffet in der Pause.

An die berühmte Naturkulisse der in den Fels gehauenen, mehrstöckigen Arkaden der Felsenreitschule (1412 Plätze) hat Regisseur von Maldeghem eine lange Metallwand gelehnt, das kaukasische Gebirge. An dieses wird Prometheus – mit ihm beginnt der Abend – als Strafe gekettet. Von dort rechtfertigt der Menschenfreund sein frevelhaftes Tun. Hat er sich doch als Lichtbringer der Menschen aufgespielt und so den Allmachtsanspruch des Göttervaters infrage gestellt. Der gekreuzigte Titan (Christoph Wieschke) rasselt mit den Ketten und führt in der Instantfassung von John von Düffel weiter Dispute mit dem besorgten Chor der Okeaniden (Britta Bayer) und der gelsengeplagten Io (Nikola Rudle). Okeanos selbst kommt in der Seifenkiste als Deus ex Machina geflogen (technischer Leiter: Michael Haarer).

Neuer Ballettchef

Das zweite Stück des Abends, Medea – der Fall M., brachte der neue Salzburger Ballettchef Reginaldo Oliveira als Einstandsgeschenk aus Karlsruhe mit, seiner vorigen Wirkungsstätte. Die an den gepflegten Stadttheaterstil des Prometheus angepasste Choreografie erntete Beifallsstürme, die auch der brasilianischen Primaballerina Márcia Jaqueline galten; sie tanzt den Kindsmordfall retrospektiv als Gerichtsszene mit auch schauspielerischer Hingabe.

In mächtiger Besetzung tritt dann – nach der Essenspause – das Mozarteumorchester unter der Leitung von Dennis Russell Davies zum Opernoratorium Oedipus Rex von Igor Strawinsky an. Hier weitet sich die Szenerie auf die Felsarkaden aus. Der 50-Minüter ist auf den Moment der schauderbaren Erkenntnis des Oedipus hin zugespitzt; dieser (Tenor Roman Payer) hatte unwissentlich den Vater gemordet und die Mutter geehelicht. Dem Zweiakter in lateinischer Sprache verhilft Sascha Oskar Weis mit einer jeweils kapitelweise vorgetragenen Synopsis zu noch mehr Verständlichkeit. Das war für manche zu viel der Niederschwelligkeit. Noch "verständlicher" erwies sich dann der komödiantische Abschluss mit einer kühnen Himmelfahrt in Aristophanes' Der Frieden.

Man kann diese Salzburger Dionysien als integrative Veranstaltung loben, die Kabarett- und Ballettfans, Musik- und Theaterpublikum zusammenführt. Dennoch muss man diesem grundsätzlich aufwendigen Unternehmen auch eine Beschaffenheit als Häppchentheater attestieren, das allzu mundgerecht sein will. Deshalb kann es nur an der Oberfläche bleiben, und mit einer Nettospielzeit von etwas mehr als drei Stunden hat es die Bezeichnung Dionysien eher nicht verdient. (Margarete Affenzeller, 27.10.2017)