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Warum begreifen intelligente Typen wie Matt Damon und Ben Affleck die Dimension von sexualisierter Gewalt nur deshalb, weil sie Väter von Töchtern sind?

Foto: Chris Pizzello/Invision/AP

Keiner soll sagen, dass er es nicht geahnt oder gewusst hat. Niemand. Nicht die Männer im Umfeld von Harvey Weinstein wie Quentin Tarantino, die jahrzehntelang seine Protektion und sein Vertrauen genossen haben. Und auch wir nicht, die wir immer mal wieder geflissentlich über Belästigungen hinwegsehen, sexistische Bemerkungen abnicken und so tun, als wäre nichts gewesen.

Wir Männer, die wir uns für dufte, anständige Typen halten, weil wir Frauen nicht zu Opfern machen, während wir sie ein ums andere Mal ohne mit der Wimper zu zucken zu Kollateralschäden unserer Feigheit, Selbstgerechtigkeit und Ignoranz degradieren. Und dafür auch noch Dankbarkeit erwarten. Immerhin haben wir begriffen, dass Frauen ja auch Menschen sind, mit denen wir befreundet sein können und die wir nicht gegen ihren Willen anfassen würden. Aber die Taschen, in die wir uns lügen, sind so groß, wie unsere Aufmerksamkeitsspanne bei solchen Debatte kurz ist. Oder wer von uns hat persönliche Konsequenzen aus dem #Aufschrei gezogen und rekapituliert, in welchen Situationen er weggeschaut hat? Wir machen es uns zu einfach. Mit den Männern um Harvey Weinstein und mit uns selbst.

Bei Weinstein handelt es sich um einen Mann, der für seine Übergriffe in seinem Umfeld so notorisch bekannt war, dass die Weinstein Company deshalb spezifische Vertragsklauseln aufsetzen ließ. Klauseln, die besagen, dass Harvey Weinstein seine Firma für jede Klage gegen ihn wegen Fehlverhaltens, sexueller Belästigung oder Missbrauchs zu entschädigen hat. Man ging davon aus, dass es passieren würde – und dass es oft passieren würde. Man stellte klar, dass die entsprechenden Fälle nach erfolgter Strafzahlung nicht mehr thematisiert werden. So lief das. So läuft es jeden Tag. Einige Männer werden zu Tätern, viele machen sich zu Mitwissern, decken sie, halten sie aus, sehen weg. Und selbst wenn Männer bereit sind, ihr Verhalten zu reflektieren und sich unter einem Hashtag wie #HowIWillChange zu versammeln, heißt das noch lange nicht, dass sie verstanden haben.

Wieso sind wir Männer nur so begriffsstutzig? Warum begreifen intelligente Typen wie Matt Damon und Ben Affleck die entsetzliche Dimension von sexualisierter Gewalt nur deshalb, weil sie Väter von Töchtern sind?

Weshalb brauchen wir Denkhilfen wie die des kanadischen Comedians Peter White, der vorgeschlagen hat, dass Männer Frauen nichts sagen sollten, was sie nicht von anderen Männern im Gefängnis hören wollen würden?

Was zur Hölle stimmt nicht mit uns?! Auf diese Frage gibt es drei mögliche Antworten. Und eine ist hässlicher als die andere.

Wir können uns das einfach nicht vorstellen. Der Harvey war doch immer so nett zu uns und hat geholfen, die Karriere in Gang zu bringen. Außerdem weiß man ja, dass erfolgreiche Männer immer Neider haben. Der beste Freund würde sowas nie tun. Den kennen wir seit Kindertagen, außerdem ist der glücklich verheiratet. Und der Papa sowieso nicht. Außerdem überfordert uns die Differenzierung von Sex und sexualisierter Gewalt.

Wir wollen es uns nicht vorstellen. Wir stehen mitten auf einem Schlachtfeld missbrauchter Frauenkörper, von überall her branden laute Stimmen gegen unsere Ohren. Zehntausende Frauen schreien auf, empören sich, fordern, bitten, flehen um die Anerkennung ihres Leids, um Hilfe und Solidarität. Und was tun wir Männer? Wir sorgen uns, weil angeblich neue rote Linien in dem alltäglichen Miteinander von Männern und Frauen gezogen werden. Womöglich darf Mann dann überhaupt nichts mehr sagen – und flirten schon gar nicht. Wo bleibt denn da der Spaß?

Es interessiert uns schlicht und ergreifend nicht. Gibt wichtigere Themen. Ja gut, der Kerl ist vermutlich ein Schwein und hat ein bisschen über die Stränge geschlagen. Ist aber wohl ein Einzelfall. Außerdem kennt man ja Hollywood. Die standen bestimmt alle Schlange vor Weinsteins Besetzungscouch und haben es darum auch ein bisschen verdient.

Die roten Linien waren schon immer da, gut für jedermann sichtbar. Wir haben sie nur bislang mit großer Selbstverständlichkeit überschritten. Oder schweigend mit angesehen, wie sie überschritten werden. Jeder von uns kennt mindestens eine Frau, die Opfer von Belästigung oder Missbrauch geworden ist. Und doch macht dieser Umstand viel zu wenig mit uns. Nein, nicht alle Männer sind Täter. Aber es sind viel zu viele. Und nein, nicht alle Männer sind Mitwisser. Aber doch die meisten. Wir müssen endlich erkennen, dass wir durch unser Nichtstun Missbrauch und Belästigung zu unvermeidlichen Nebenwirkungen des Zusammenlebens von Männern und Frauen erklären. Und dass unser Schweigen den Eindruck erweckt, diese Nebenwirkungen seien nicht einmal unerwünscht.

Wir sind dran! (Nils Pickert, 29.10.2017)