Einchecken im Hotel Nesterval – Raffael (Thomas Bayer) hilft.

Foto: Alexandra Thompson

Wien – Klassikerbearbeitungen können so oder so aussehen. Im Fall der Wiener Theaterfamilie Nesterval, deren immersive Arbeiten an jeweils spezifischen Schauplätzen auf die Beteiligung des Publikums abzielen, geht Goethes Faust in einem überirdisch gesteuerten Hotelkrimi auf. In den kräftig umdekorierten Räumlichkeiten eines leerstehenden Klosters am Gellertplatz in Favoriten nimmt das ominöse Geschehen seinen Lauf.

Ähnlich den perfekten Spielformaten der Performancegruppe Signa dringt das Publikum, welches hier die Rolle von Hotelgästen einnimmt, Szene für Szene und Zimmer für Zimmer immer tiefer in die Verstrickungen der handelnden Personen vor. Anspannungen zwischen der Hoteltanzlehrerin und deren Tochter oder zwischen dem Hoteldirektor und der mächtigen Frau Karl geben zu denken. Zwei Tote gibt es, und in Rückblicken sollen die Mörder gefunden werden.

Aufgepeppter "Faust"

Und jetzt kommt's: Faust wird mit Dirty Dancing aufgepeppt. Erzählstränge und Musik des 1980er-Jahre-Kultfilms (The Time of My Life) durchdringen die faustische Grundkonstellation des Hotelkosmos: Ein Tanzlehrer begehrt die Tochter einer biederen Gastfamilie. Das geht nicht gut, und auch sämtliche andere zueinander unterhaltenen Beziehungen, die es in dieser Brut-Produktion schnitzeljagdhaft zu hinterfragen gilt, wirken unheimlich.

Neben Tanzstunden und Perückenshows, Croquetspiel und Barbetrieb blitzen oft schlagartig ganze Faustszenen auf. So etwa der Liebestraum Fausts in der Hexenküche, in der am Boden ein Kessel dampfend brodelt und die Ausstattung (Andrea Konrad) mit morbider Pracht ein wirkungsvolles Setting geschaffen hat.

Besondere "Benutzeroberfläche"

Das Besondere solcher, nun schon seit einigen Jahren Furore machender Theaterformate ist deren "Benutzeroberfläche": Als Zuseher taucht man – beauftragt – in die Theaterszenen ein. Sie sind dafür gemacht, von innen besehen und hinterfragt zu werden.

Es sind niet- und nagelfeste Kunsträume, die auch durch ihre Sinnlichkeit von jeweils hier stattgefunden habenden Dingen erzählen. Dirty Faust imaginiert die Geheimnisse hinter den Hotelfluchten sehr schön, caritashafter als die perfekten, mittlerweile in den Antiquitätenhandel aufgestiegenen Signa-Oberflächen. Goethe hätte wohl gestaunt, dass sein Faust weiblich sein kann. Doch hier darf nicht mehr verraten werden. Es lohnt sich, selbst zu forschen. (Margarete Affenzeller, 27.10.2017)