Europas Volksparteien könnten die Bürger mit stärksten Waffen für die EU zurückgewinnen: Angela Merkel und Federica Mogherini.

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Die aus Italien stammende EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

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Das gemeinsame Europa steckt in einer tiefen Krise. Den Mitgliedstaaten ist es zwar gelungen, den wirtschaftlichen Stillstand da und dort zu überwinden, den Absturz von Griechenland zu verhindern. Alle verzeichnen Wachstum.

Umso hartnäckiger schwelt die politische Krise, eine Art kollektives Identitätsproblem der Mitgliedstaaten als Union – trotz der Europabegeisterung, die Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron zu wecken sucht. Die lange Erfolgswelle EU-skeptischer Rechtspopulisten ist nicht gestoppt, siehe Österreich, zuletzt Tschechien. Traditionelle Parteien erodieren fast überall, ganz besonders die Sozialdemokraten.

Kein Wunder also, wenn in den Machtzentren und bei den großen Parteifamilien in Europa, die die Union aufgebaut haben, die Angst umgeht. Strategen von Christdemokraten und Sozialdemokraten, deren nationale Parteien sich in EU-Netzwerken als EVP und S&D zusammengeschlossen haben, denken bereits sehr konkret darüber nach, wie man das gemeinsame Europa wiederbeleben könnte. Ähnlich läuft es bei den Liberalen (ALDE) und den Grünen.

Der nächste entscheidende Termin dafür sind die Europawahlen im Mai 2019. Stärkung und Aufbruch Europas müssten "ein Gesicht bekommen", sagt ein EVP-Mann, es brauche einen Quantensprung in Demokratie und Wählerbeteiligung. Fast ein Dutzend Reformpläne liegt auf dem Tisch. Aber Papier interessiere die meisten nicht. Den Wählern müsse ein Paukenschlag in Form der "besten Köpfe" geboten werden.

Mehr Bindung zum Wähler

Dementsprechend spektakulär sind noch sehr informelle Pläne, die aus den Parteizentralen nach außen dringen. "Die Wähler in Europa müssen das Gefühl haben, dass sie ihre Regierungschefs auch auf EU-Ebene wählen können, so wie de facto zu Hause bei den nationalen Wahlen", sagt ein involvierter Abgeordneter.

Für Gianni Pittella, Fraktionschef der S&D im EU-Parlament, ist klar, dass es in seiner Parteifamilie 2019 europaweit Vorwahlen zur Kür des gemeinsamen Spitzenkandidaten geben muss: "Jeder kann sich dafür bewerben."

Bei den letzten Europawahlen im Jahr 2014 sei das Modell "Spitzenkandidat" unter anderem mit Jean-Claude Juncker (EVP) und Martin Schulz (SP) eher improvisiert worden, "ein erster Testlauf" gewesen, heißt es in der EVP.

Zusätzlich angeheizt wurde die Fantasie noch durch Kommissionschef Juncker, der in seiner "Rede zur Lage der Union" im September anregte, sein Amt in Zukunft mit dem des Ständigen Ratspräsidenten (derzeit Donald Tusk) zusammenzulegen und einer Person zu überantworten. Es sei an der Zeit, dass Europa endlich mit einer Stimme in der Welt spreche, auf Augenhöhe mit den politischen Führern in den USA, China oder Russland. Der EU-Vertrag erlaubt eine Zusammenlegung.

EU-weite Spitzenkandidatin

Was würde das also in der Praxis bedeuten, und wer sind die politischen Schwergewichte, die dafür infrage kämen und den Europawahlen neue Bedeutung gäben?

In den Parteifamilien werden die Wunschkandidaten unter Zusicherung der Anonymität offen genannt: Bei den Christdemokraten scheint die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die erste Wahl zu sein. Im Moment klingt das zunächst seltsam. Merkel ist als CDU-Chefin gerade dabei, zu Hause eine komplizierte Drei-Parteien-Koalition zu bilden.

Aber bis 2019 vergeht noch viel Zeit, in Brüssel wurde auch schon registriert, dass Merkel nach zwölf Jahren Kanzlerschaft wohl bald die Übergabe an eine neue Generation von CDU-Politikern anstreben könnte. Präsidentin Europas, eine solche Aufgabe könnte sie kaum ablehnen, glaubt ein Insider.

Wäre Merkel bereit, sich als EU-weite Spitzenkandidatin zur Verfügung zu stellen und für das Amt des nächsten Kommissionspräsidenten zu kandidieren, wäre sie parteifamilienintern kaum zu schlagen. Gute Chancen werden in der EVP derzeit nur Brexit-Verhandler Michel Barnier aus Frankreich zugeschrieben, wenn er Erfolg hat. Der Parteikongress findet in einem Jahr statt.

Hört man sich bei den Sozialdemokraten um, werden ebenfalls zwei Namen als Favoriten genannt: der vielsprachige Niederländer Frans Timmermans, derzeit Vizepräsident bei Juncker und für Grundrechte zuständig; und die aus Italien stammende EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Ihre Amtszeit läuft wie die von Tusk gleich nach den EU-Wahlen aus. Das würde also alles passen. Merkel gegen Mogherini bei den Europawahlen? Zwei Frauen, die um das höchste Präsidentenamt kämpfen? Das wäre an Attraktivität kaum zu toppen, schwärmen EU-Abgeordnete, die man dazu befragt. Es wäre in der Tat eine Premiere. In der Geschichte der Gemeinschaft gab es seit 1958 bisher nur Männer an der Spitze der Brüsseler Kommission.(Thomas Mayer, 28.10.2017)