Rücktritt nach 23 Jahren: Ankaras Bürgermeister Gökçek.

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Ankara/Athen – Der Parteifreund hatte eine Erklärung, die nicht wenige in der Türkei recht einleuchtend fanden. "Wenn jemand, der sitzt, Probleme hat aufzustehen, dann hat er mit Sicherheit in die Hose gemacht", twitterte Bülent Arinç und stellte ein Foto des Bürgermeisters von Ankara zu dem türkischen Sprichwort.

Arinç, lange Zeit einer der wichtigsten Politiker der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP, trug 2015 einige Tage lang öffentlich einen Streit mit Melih Gökçek aus, dem sehr umstrittenen Bürgermeister der AKP in Ankara. Heute, Samstag, steht Gökçek tatsächlich von seinem Amtssessel auf. Was den Zustand seiner Hose anbelangt, so wird er wohl nicht lange geheim bleiben. Nach 23 Jahren an der Spitze der türkischen Hauptstadt hat sich Gökçek mit seinem aggressiven Stil viele Feinde gemacht.

Freiwillig tritt der 69-Jährige auch nicht ab. Tayyip Erdogan hat ihn dazu gezwungen. Zwei Wochen lang hat sich Gökçek gegen den Wunsch des Staats- und Parteichefs gewehrt. Wäre er jetzt nicht zurückgetreten, so sagte ein früherer enger Mitarbeiter des Bürgermeisters, hätten sie ihn vor Gericht gestellt. Es gibt offenbar genug, was man Gökçek anhängen könnte.

Klügel mit Gülen

"Stück für Stück" habe der Bürgermeister Ankara an die Gülenisten verkauft, so behauptete Bülent Arinç während der Schlammschlacht vor zwei Jahren. Korruption und die Verquickung mit der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, mittlerweile Staatsfeind Nummer eins der Republik, werden Gökçek vorgeworfen. Aber dann wiederum sind das Anschuldigungen, die generell gegen die seit nun 15 Jahren regierende AKP erhoben werden. Überall im Land rollen deshalb jetzt die Köpfe von Bürgermeistern und hohen Parteifunktionären. Staatschef Erdogan rüstet für die Wahlen.

Der autoritär regierende Präsident hat sich eine Verfassung nach Maß geben lassen. Gewinnen muss er trotzdem. Kommunalwahlen stehen in der Türkei im Frühjahr 2019 an, Präsidenten- und zugleich Parlamentswahlen im November jenes Jahres. Eine Schlappe in den Städten und auf dem Land kann sich Erdogan nicht leisten. Neue Gesichter müssen deshalb her.

In Istanbul folgte Anfang des Monats im Hauruckverfahren Mevlüt Uysal, ein Stadtteilbürgermeister, auf den 13 Jahre lang regierenden Kadir Topbaş. In Bursa, wo Recep Altepe diese Woche abserviert wurde, könnte es der 45-jährige, erst vor kurzem gleich als Vizepremier ins Kabinett berufene Hakan Çavuşoglu sein; in Ankara der auch auf Englisch leidlich konversierende Bürgermeister des Arbeiterstadtteils Altindag, Veysel Tiryaki.

"Gute Partei" tritt an

Doch es ist nicht nur die "Ermüdung des Metalls", wie Erdogan die Verschleißerscheinungen in der AKP nennt, die die politische Zukunft des Staatspräsidenten bedroht. Eine neue rechte Partei ist aufgetaucht. Am Mittwoch gründete die populäre Nationalistin Meral Akşener die Iyi Parti, die "Richtige" oder "Gute Partei". Sie wird von vielen Seiten Stimmen erhalten, so sagen Wahlforscher voraus: von rechten Nationalisten wie von enttäuschten oder nach mehr als einem Jahr Ausnahmezustand verschreckten Erdogan-Wählern, aber auch aus dem Lager der sozialdemokratischen CHP. Akşener gilt deshalb als chancenreiche Herausforderin Erdogans. (Markus Bernath, 27.10.2017)