Der französische Architekt Jean Nouvel konzipierte den neuen Louvre in Abu Dhabi.

Foto: Louvre Abu Dhabi/Mohamed Somji

Die preisgekrönte Kuppel wurde vom österreichischen Stahlbauunternehmen Waagner-Biro realisiert.

Foto: Louvre Abu Dhabi/Mohamed Somji

Die Scheichs verlangten ein architektonisches Weltwunder – ein Gebäude, das eines Tages so sehr für das neue Abu Dhabi stehen kann wie die Oper von Sydney für Australien, wie das Empire State Building für New York. Und mindestens so wie das Burj al Arab für den ewigen Lokalrivalen Dubai.

Foto: Louvre Abu Dhabi/Mohamed Somji
Foto: Louvre Abu Dhabi/Mohamed Somji

Ein bisschen sieht es aus wie eine Prozession, wenn sie in ihren langen weißen Gewändern ehrfurchtsvoll und mit den Blicken erst zum Boden, dann zur Decke gewandt durch das riesige Gebäude ziehen: über einen Platz im Halbdunkel, der von einer gewaltigen Kuppel überspannt ist, unter der sich quaderförmige schneeweiße Häuser stapeln. Sogar einen Bootsanleger gibt es unter diesem Dach. Draußen flirrt die Hitze, das Thermometer zeigt über 40 Grad. Drinnen tanzen Sonnenstrahlen auf dem Boden, die durch das Dach mit den ornamenthaften Öffnungen dringen und immer neue vergängliche Bilder entwerfen. Viele von den Männern in Weiß und den Frauen in Schwarz zücken ihre Handys und filmen, was sich ihnen da bietet und bis dato nur Bauarbeitern zugänglich war.

Etwa 100 emiratische Würdenträger rund um Abu Dhabis Kronprinzen Mohammed bin Zayed al-Nahyan wurden vor kurzem auf einer exklusiven Preview durch den fast fertigen Louvre von Abu Dhabi geführt. Einer, der mit dabei war und ebenfalls eifrig mit dem Handy gefilmt hat, ist Galerist Khaleed Seddiq Samea. "Zu meinen Lebzeiten werde ich nichts Schöneres zu sehen bekommen", schwärmt er, während sein rechter Zeigefinger zwischen den Fotos der Besichtigung auf seinem Handy hin und her wischt.

Bauen im Sand

Die Eröffnung des neuen Louvre-Ablegers ist nun für den 11. November geplant. Dabei hat es viele bauliche Herausforderungen im Sand von Abu Dhabi gegeben. Am Ende haben die Planer rund um den französischen Architekten Jean Nouvel doch für alles eine Lösung gefunden – wenn auch insgesamt mit mehrjähriger Bauverzögerung. Denn was der Mann aus Paris sich da ausgedacht hat, ist alles andere als simpel. Es bemisst sich an der Aufgabenstellung der Scheichs, die all das bezahlen. Sie verlangten ein architektonisches Weltwunder – ein Gebäude, das eines Tages so sehr für das neue Abu Dhabi stehen kann wie die Oper von Sydney für Australien, wie das Empire State Building für New York. Und mindestens so wie das Burj al Arab für den ewigen Lokalrivalen Dubai.

Das neue Gebäude sollte dabei zweifelsfrei in der Gegenwart verankert sein, ohne in seiner Formensprache schon morgen überholt zu sein. Und es sollte ebenso zweifelsfrei hierhergehören und Anleihen bei der Bautradition der Region nehmen. Deshalb hat sich Nouvel die komplizierte Kuppel mit ihren Öffnungen für Luft und Licht einfallen lassen. Sie soll an die althergebrachten Deckungen der Gassen mit Palmwedeln erinnern und überspannt gleichwohl die Fläche von fünf Fußballfeldern, wird getragen von nur vier Säulen: "Wie früher im Basar, wenn Sonnenstrahlen durch die Abdeckungen aus Strohmatten bis in die Gassen hineinschienen", sagt der Architekt über den Effekt. Realisiert hat die komplizierte Konstruktion das österreichische Stahlbauunternehmen Waagner-Biro, das dafür gerade mit dem Europäischen Stahlpreis ausgezeichnet wurde.

Strengster Schutz

Lokaler Tradition geschuldet sind auch die 55 Quadergebäude unter und neben der Kuppel, die eigentlichen Ausstellungsgebäude. Sie sind angeordnet wie in einer arabischen Medina. Gassen und Gänge führen durch das Labyrinth in Schneeweiß, Treppen hinauf auf die Flachdächer mancher Quader.

Die wahren Ehrengäste werden erst kurz vor der Eröffnung anreisen: Leonardo da Vinci, Piet Mondrian, Henri Matisse und Pablo Picasso – jeweils vertreten durch ihre Werke. Die wertvollen Bilder der Künstler sind fast alle Leihgaben französischer Museen, genießen strengsten Schutz und kommen erst, wenn nichts mehr an eine Baustelle erinnert und alle Alarme scharf geschaltet sind.

Überhaupt hat mit Picasso alles begonnen. Er spielte eine Schlüsselrolle dabei, dieses Museum ebenso wie das in unmittelbarer Nachbarschaft geplante Guggenheim frühzeitig in den Köpfen der Bevölkerung vor Ort zu verankern. Und in deren Herzen. Es galt, Menschen für eine Kunst zu gewinnen, mit der viele von ihnen kaum jemals Berührung hatten und die auf den ersten Blick nichts mit ihren Traditionen zu tun hatte. Zehn Jahre ist es her, dass eine erste große Picasso-Ausstellung im Emirates Palace in Abu Dhabi stattfand und von zahllosen emiratischen Schulklassen besucht wurde. Die Jüngeren führte man spielerisch an seine Kunst her an, die Älteren über den Verstand, und manchen nötigte allein der Marktwert der Werke Respekt ab. Es folgten viele weitere vergleichbare Ausstellungen großer, vor allem europäischer Künstler des 20. Jahrhunderts.

Neugierde auf das Fremde

Heute gibt es etwa ein Dutzend Galerien in Abu Dhabi – wie Khaleed Seddiq Sameas Etihad Modern Art Gallery im Al-Bateen-Viertel, dazu im Hafengebiet nicht weit vom Schlachthof und der Markthalle das Warehouse 421 als ultra modernes Ausstellungszentrum gerade für einheimische Künstler, wo auch Videoinstallationen ihren Platz haben. Die Saat scheint aufgegangen zu sein. Tatsächlich ist es gelungen, eine gewisse Kunstsinnigkeit zu erschaffen, eine Neugierde auf das Fremde. Der Louvre soll bei seiner Eröffnung nichts Fremdes sein, das Abu Dhabi übergestülpt wird: "Er wird hierherpassen, und die Kunstszene wird weiter wachsen", glaubt Seddiq Samea.

Der Ableger in den Emiraten ist als Touristenattraktion und als universelles Museum konzipiert, das Kunst aus aller Welt und vielen Epochen bis zurück zur ägyptischen Pharaonenzeit präsentiert, Ursprünge, Entwicklungen und Schnittmengen aufzeigen soll und mit etwas mehr als 600 Exponaten auf 8.600 Quadratmeter Ausstellungsfläche alles andere als überladen sein wird.

Kunst aus den Emiraten

Und wie geht’s in der Galerie von Khaleed Seddiq Samea weiter? "Mit einer Ausstellung emiratischer Fotokünstler", sagt er. Sie messen sich nicht mit da Vinci und sind mit beiden Beinen in der Gegenwart verwurzelt. Nebenan bemalen ein paar Kinder einzelne Fliesen für die Wand im Vorraum eines Kunstcafés: Ein Drache ist darunter, ein giftgrünes Kamel vor rotem Hintergrund, dazu ein Set aus Fantasiefiguren.

Abu Dhabi hat weiter Großes und Teures vor, was Museen angeht: Sir Norman Foster soll das neue Nationalmuseum, Frank O. Gehry das Guggenheim Abu Dhabi direkt neben dem Louvre bauen. Die Pläne sind alle fertig, die Fundamentierungsarbeiten gelaufen. Nur mit der Bekanntgabe von Eröffnungsterminen ist man vorsichtiger geworden.

Was Abu Dhabis Kronprinz Mohammed bin Zayed unterdessen auf der Preview-Tour durchs Gebäude macht? So wie alle anderen mit dem Handy filmen: die Kuppel, die Sonnenstrahlen, das Muster aus Licht auf dem Fußboden. Den Film, der ihn dabei zeigt, hat längst irgendwer auf Youtube hochgeladen. (Helge Sobik, 3.11.2017)