Den Wert von Pressefotografie unterstreichen auch Handyfotos wie jenes, das der STANDARD bei der Podiumsdiskussion machte. V.l.n.r.: Heinz Tesarek, Lisi Specht und Jürg Christandl.

Foto: STANDARD/Mark

Wien – Kick it like Kern: Was die sportliche Seite des Bundeskanzlers betonen sollte, sei in Wirklichkeit ein "Propagandabild", das in einer Zeitung nichts verloren habe, findet "Kurier"-Fotograf Jürg Christandl: "Es dient einer Agenda." Medien dürften sich nicht zum "Handlanger" von Politikern und ihrer Imagepolitur machen. "Wir müssen Inszenierungen unterlaufen oder Inszenierungen aufzeigen", sagte Christandl am Montag bei einer Podiumsdiskussion in der Wiener Galerie Westlicht zum Stellenwert von Pressefotografie unter dem Titel: "Leben – Überleben?".

Christian Kern als Fußballer in seinem Büro.
Foto: Bundeskanzleramt

Ob SPÖ-Chef Christian Kern, der sich von seinem hauseigenen Fotografen Andy Wenzel in Szene setzen lässt, oder ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der bei seinem Besuch in New York einen Fotografen des Außenministeriums dabeihatte, Politikern aller Couleur ist gemein, dass sie ohne Filter ins rechte Licht gerückt werden möchten.

Sebastian Kurz während seiner Rede bei der Uno-Generalversammlung in New York.
Foto: APA/AUSSENMINISTERIUM/DRAGAN TATIC

Der Wettlauf um die Kontrolle der Bilder ist nicht neu, nur die Dimension ist es. Sie gipfelte vergangene Woche in den "Annäherungsgesprächen" zwischen Kurz und den Parteichefs, als die Medien nur vor dem Gebäude fotografieren durften. Die Hoheit über die Bilder sicherte sich die ÖVP mit ihrem eigenen Fotografen, argumentierte mit Platznot, sehr zum Ärger der Medien.

Solche Fotos finden Eingang in Presseagenturen wie die APA, wo sie verbreitet werden – versehen zum Beispiel mit dem Credit APA / Neue Volkspartei / Jakob Glaser und dem Hinweis, dass das Foto ausschließlich im Zusammenhang mit dem Treffen verwendet werden darf. Redakteure, die unter Zeitdruck stehen und nicht darauf achten, könnten die Quelle leicht übersehen, warnt STANDARD-Fotograf Matthias Cremer: "So rutschen sie hinein."

Fotos wie dieses mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stellte die ÖVP von den "Annäherungsgesprächen" ihres Parteichefs Sebastian Kurz zur Verfügung.
Foto: APA/NEUE VOLKSPARTEI/JAKOB GLASER

Die freie Fotografin Lisi Specht spricht von einer "Grenzüberschreitung" und meint damit das von der ÖVP an die Medien gespielte Foto mit Kurz und FPÖ-Chef Strache. In der Pflicht sieht sie die Medien selbst: "Da hätte der Aufschrei noch viel lauter sein müssen." Solche PR-Fotos könne man schon verwenden, sagt Fotograf Gerhard Hinterleitner, "aber nur, wenn man darüber berichtet, wie sich Politiker inszenieren".

Hinterleitner hält Österreich für "fotokulturell rückständig": "Das Land ist so klein und hat so wenige Medien." Mittlerweile sei es praktisch nicht mehr möglich, als freier Pressefotograf finanziell zu reüssieren. "Kaum ein Medium veröffentlicht mehr Reportagen." Statt Fotografen für Reportagen zu engagieren, würden nur mehr einzelne Produkte unterschiedlicher Fotografen zusammengestöpselt. Das bestätigt auch der freie Pressefotograf Heinz Tesarek: "Fotojournalismus ist ein sehr dünnes Feld." Bei den Magazinen gebe es nur mehr "News" und "Profil", die sich hin und wieder Fotojournalismus leisten.

Medien und die Flüchtlingskrise

"Jeder kann wählen, ob er kritisch oder schön berichtet", sagt Tesarek und kritisiert Medien für ihren Umgang mit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015. "Es gab Vorgaben, welche Bilder genommen wurden." Andere Blickwinkel seien ignoriert worden. Etwa Fotos, die dokumentierten, dass unter den Flüchtlingen Jihadisten waren: "Eine Diskussion darüber war nicht möglich." Um sich aus der Abhängigkeit von Medien und ihrer Bilderauswahl zu begeben, bereitet Tesarek ein eigenes Projekt vor: Es heißt "Zwischenzeit online" und soll in Kürze starten. Kritischer Journalismus heißt für ihn, "ein möglichst vielschichtiges Bild einer Problemstellung zu zeichnen".

"Kurier"-Fotograf Christandl hält entgegen, dass Fotografen in der Flüchtlingskrise ein umfassendes Bild geliefert hätten: "Gedruckt sind dann aber nur bestimmte Fotos worden." Die positive Stimmung gegenüber Flüchtlingen hätte sich aber in den Bildern widergespiegelt. "Die Auswahl ist nie objektiv." Die Zeiten für Fotografen seien hart: "Es gab noch nie so viele hervorragend gemachte Bilder, nur werden sie nicht mehr bezahlt." Um ihren Wert zu unterstreichen, sollten Pressefotografen mehr Lobbying betreiben. Auch innerhalb der eigenen Redaktion, wo sie etwa den Unterschied zu den Leserreportern vermitteln müssten, denn: "Nicht alles, was vier Ecken hat, ist gleich ein Foto."

Hart verhandeln

Um den Preisverfall für ihre Produkte irgendwie zu kompensieren, müssten sich Fotografen breiter aufstellen. Nicht wenige orientieren sich mit ihrer Profession immer mehr in Richtung Fotografie für PR und Werbung, konzediert Lisi Specht, die für den STANDARD "Wohngespräche" fotografiert. "Mit reiner Pressefotografie könnte ich nicht überleben." Sie appelliert an Kolleginnen und Kollegen, sich gegen das Preisdumping zu stemmen: "Viele machen den Fehler, sich viel zu billig zu verkaufen." Erst kürzlich habe sie einen "All-Inclusive-Auftrag" abgelehnt, für den sie 500 Euro hätte bekommen sollen. Unter Abtretung aller Rechte. "Die Wertschätzung für Fotografen ist leider einfach gesunken." (Oliver Mark, 31.10.2017)