Ein Blick in die Vergangenheit: Mit dem Gebetsmantel in die Mattersburger Schul.

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Blick in die Gegenwart: Erinnern ans Zerstörte.

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Ausblick: Appell an die Mehrheit, keine schweigende zu sein.

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Mattersburg – Eine der geschäftigsten Straßen im Zentrum von Mattersburg ist die Judengasse. Hier logiert die für ihre pannonische Mehlspeis gerühmte Konditorei Harrer. Hier hat die Commerzialbank ihre Zentrale, die Martin Pucher, der Chef des Fußball-Bundesligisten SVM, aus dem Raiffeisenverband herausgelöst hat. Hier steht eines von drei burgenländischen Hochhäusern.

Auf der Grünfläche davor steht seit kurzem die Erklärung, warum die Judengasse Judengasse heißt: weil sie es über viele Jahrhunderte halt gewesen ist. Drei Stelen aus gerostetem Stahl erinnern an eine der wichtigsten jüdischen Gemeinden des nördlichen, einst Esterházy'schen, Burgenlands.

Bösartigkeitsfurioso

Unter dieser fürstlichen Grundherrschaft entstanden die Sheva Kehillot, die orthodoxen sieben Gemeinden. Unter diesen – Eisenstadt, Kittsee, Frauenkirchen, Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz – war Mattersdorf, wie Mattersburg bis 1924 hieß, das geistliche Zentrum. Geleitet und inspiriert von der bis heute tätigen Rabbinerfamilie Ehrenfeld.

1938, in einem wahren Bösartigkeitsfurioso, wurden die jüdischen Mattersburger beraubt, gefoltert, vertrieben. Im September meldete man die Stadt "judenfrei". Das eigentlich stets konstituierend dazugehörende Schtetl wurde 1940 gesprengt. Auch die alte Schul, die Synagoge, das Rabbinerhaus, die angrenzende, nach ganz Europa ausstrahlende Jeschiwa. Nichts sollte mehr erinnern ans jüdische Mattersburg, selbst der Friedhof wurde devastiert.

Exilgemeinde in den USA und Israel

Die Erinnerung freilich blieb. Viele entkamen ja, brachten sich in den USA in Sicherheit, sammelten sich dort um ihren Rabbiner Samuel Ehrenfeld. Dessen Sohn Akiba führte die Gemeinde nach dem Krieg nach Israel, gründete in Jerusalem das Kirjat Mattersdorf, wo man bis heute nach Mattersburger Weise lebt.

Aber auch in Mattersburg selbst besann man sich der Stadtgeschichte. Rund um die Pädagogin Gertraud Tometich entstand der Verein "Wir erinnern". Tometich verfasste nicht nur ein Buch zur jüdischen Geschichte Mattersburgs, sie rief zu einschlägigen Stadtführungen, lud Zeitzeugen zu Vorträgen, hielt Kontakt nach Mattersdorf. Und drängte darauf, am Platz vorm Hochhaus, dort, wo einst die Synagoge stand, eine Gedenkstätte zu errichten. "Gertraud Tometich", sagt SPÖ-Bürgermeisterin Ingrid Salamon, "verdanken wir diese Initiative. Die Gemeinde hat das aber gerne unterstützt."

Schweigen der Mehrheit

Als Tometich im Vorjahr verstarb, folgte ihr der Wiener Michael Feyer als Obmann des Vereins. Feyer, der vor Jahren eher zufällig auf die Geschichte der Siebengemeinde gestoßen war, hat ein Mahnmal in Deutschkreutz errichtet. Von ihm stammt auch der Entwurf für die Mattersburger Gedenkstätte, die auch einen bangen oder aufmunternden Blick ins Künftige werfen will. "Denn nur wenn die Mehrheit schweigt, kann das Böse triumphieren."

Am Sonntagvormittag wird diese Stätte, wo einst die Schul gestanden ist und somit das Zentrum des jüdischen Mattersburg, von Bundespräsident Alexander Van der Bellen gewissermaßen in Gedenkbetrieb genommen, 79 Jahre nach der Pogromnacht des 9. November 1938. Der Mattersdorfer Oberrabbiner Isaac Ehrenfeld wird da sein; die israelische Botschafterin Talya Lador-Fresher; der Chef der Kultusgemeinde, Oskar Deutsch; der Wiener Oberkantor Shmuel Barazilai; Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl. Und nicht zuletzt auch Gerda Frey, die als Baby hinausgeworfen wurde aus dieser kleinen Stadt. (Wolfgang Weisgram, 2.11.2017)