Bild nicht mehr verfügbar.

Festhalten am starren Selbstbild, Humor und Kreativität verkümmern lassen und sich panzerartig abgeschottet schützen? Einübung in ein liebevolles Ja zu sich.

Foto: Getty Images

Michael Lehofers "Mit mir sein".

Braumüller Verlag

Ich war mein größter Feind betitelt Schauspielerin Adele Neuhauser ihre vielgekaufte Autobiografie. Das klingt nicht gerade nach viel Selbstliebe. Aber mit deren enormer Wichtigkeit – immerhin verbringen wir mit keinem anderen Menschen so viel Zeit wie mit uns selbst – beschäftigt sich Michael Lehofer, Psychotherapeut und Primarius an der Landesnervenklinik Sigmund Freud in Graz, in seinem jüngsten Buch, das – erst heuer veröffentlicht – bereits in vierter Auflage erschienen ist.

Ein Freibrief für Egoisten? Keineswegs, denn für Lehofer wachsen gelungene Beziehungen auf dem Humus einer gesunden Selbstliebe – oder sie scheitern, wenn die Selbstliebe fehlt.

Schau immer wieder rein

In drei Abschnitte untergliedert, finden sich in jedem mehrere Kurzkapitel zu spezifischen Aspekten, die dann – gleichsam als Mosaik – das Gesamtbild ergeben. Diese Kurzkapitel eignen sich ideal für ein häppchenweises und gut dosierbares Lesevergnügen. Im ersten Abschnitt erörtert Lehofer, wie Selbstliebe verändert. Anknüpfungspunkte für die und Ermutigungen zur Selbstliebe präsentiert Lehofer dann im zweiten Abschnitt. Im dritten Abschnitt wird der Weg zur Selbstliebe mit seinen wichtigsten Stationen nochmals zusammengefasst.

Die Selbstliebe darf man freilich nicht mit Egoismus oder Narzissmus verwechseln: Denn wer unentwegt nach Bewunderung und Anerkennung heischt, hält von sich selber so wenig, dass er Bestätigung von außen benötigt, sich in Machtkämpfen beweisen muss, in Unfrieden mit anderen und sich selbst lebt. Unruhe und Gehetztheit sind die Folgen.

Zu sehr halten viele von uns an ihrem starren Selbstbild (dem Ego) fest, der auf gewissen Konzepten und Vorstellungen beruhenden Konstruktion von uns selbst. Dabei verkümmern Humor und Kreativität. Verletzungen und Traumata verkrusten zu einem emotionalen Panzer. Verbitterung, die zum Ausgangspunkt vieler psychischer Krankheiten werden kann, ist die Folge. Sich nach Verbundenheit sehnende einsame Individualisten beuten sich oft selbst aus, nicht selten bis zur eigenen Vernichtung. Auch Manager sind gut darin beraten, stets in engem Kontakt mit ihren Mitarbeitern zu sein, denn nur so lassen sich Letztere geeignet führen.

Weiter wachsen

Was kann man all dem entgegensetzen? Vor allen ein Ja zu sich selbst. Idealerweise sollten wir dieses Ja schon sehr früh von unseren (hoffentlich auch sich selbst) liebenden Eltern erhalten. Später geht es darum, Begegnungen zu suchen und sich darin berühren zu lassen. Es gilt, mit Mut eine Brücke über den Schutzwall der Vermeidung zu bauen, den unsere Ängste um unsere Lebendigkeit errichtet haben. Erst wenn wir die Unordnung (oft ein Ausdruck von Ängsten) beseitigt haben und Ordnung in unserem Leben geschaffen haben, können wir zuerst uns selbst und dann anderen begegnen.

Liebe, dieses anarchische Empfinden, ermöglicht uns, zu wachsen und uns ins Eigentliche zu entwickeln (quasi von der Verpackung zum Inhalt), unserem wahren Selbst zu entsprechen. Schönheit, Erotik, Begegnungen mit anderen und Kunst zuzulassen, aufmerksam und neugierig zu sein. Sich durch Verzicht auf das Eigentliche zu konzentrieren und dadurch darin eine größere Intensität zu erleben. Sich selbst gegenüber verlässlich zu werden und vertrauensvoll folgen zu können.

Standortfragen

Das Buch eignet sich durchaus als Anleitung zur Selbstdiagnose, um festzustellen, wie es um die Selbstliebe bestellt ist. Offenbar wird auch die gegenseitige Abhängigkeit, wie wir durch Liebe, die wir von anderen erfahren, in unserer Selbstliebe gestärkt werden, was uns wiederum ermöglicht, anderen Liebe zu schenken. Gesellschaftlich und politisch durchlaufen wir momentan leider die Negativspirale dazu, die in einem autoritär-rechtskonservativen, angsterfüllten und daher misstrauensbasierten Österreich leider dominiert.

Lehofer schreibt sehr offen und flicht auch immer wieder – auch unangenehm erlebtes – Persönliches ein, was dem Buch eine hohe Authentizität verleiht. Bärbel Mohrs Buch zur Selbstliebe mag mehr praktische Übungen enthalten und Eva-Maria und Wolfram Zurhorsts Buchserie Liebe dich selbst und es ist egal ... einen umgangssprachlicheren Stil haben, doch sowohl vom Erkenntniswert als auch der Einfühlsamkeit her (der Autor hat auch bereits zwei Gedichtbände veröffentlicht) ist Lehofers Werk dringend zu empfehlen. Werden wir selbst – neben anderen – die große Liebe unseres Lebens! Denn erst wenn wir uns vor uns selbst zu verneigen vermögen, können wir dies auch gegenüber anderen tun. (Nikolai Haring, 6.11.2017)