Zukünftig könne medizinisches Cannabis zur Reaktivierung der Gedächtnisleistung eingesetzt werden.

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Die Balance zwischen alterstypischem Abbau und dagegen angehendenden stabilisierenden Prozessen bestimmt den genauen Ablauf der individuellen Alterung. Inzwischen gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass das Endocannabinoidsystem zu dem stabilisierenden Prozess gehört. Dieses System heißt so, weil seine Schalter auch auf klassisch im Cannabis enthaltene Substanzen (THC) reagieren.

Die Systemschalter, die CB-Rezeptoren (kurz für Cannabinoid), werden normalerweise aber mittels körpereigener Substanzen, die dem THC ähneln, den Endocannabinoiden, aktiviert. Diese Aktivierung moduliert die Abläufe, die zur Alterung dazugehören und könnte dabei sozusagen verjüngend auf den Körper einwirken.

Allerdings wird das System inaktiver mit dem Alter, wie Forscher in Versuchen mit Tieren festgestellt haben: die Gehirnzellen bauen seltener neue CB-Rezeptoren, und diese reagieren auch noch zunehmend schwächer auf die Endocannabinoide, die sie aktivieren sollen. Außerdem liegt in älteren Tieren auch weniger der aktivierenden Substanzen vor, die Rezeptorschalter werden also nicht nur seltener und reagieren schlechter, sie werden auch noch seltener genutzt.

Verbesserte Lernleistung

Schon früher wurde gezeigt, dass Mäuse, die einen speziellen CB-Rezeptor, CB1 genannt, nicht herstellen konnten, im Alter stärker unter dem Verlust von Gehirnzellen und früherem Abbau von Lern- und Gedächtnisleistung litten. Wenn eine verringerte Aktivität von CB1 die Alterung beschleunigt, könnte dann nicht ein dauerhaft aktiverer Rezeptor positiv auf das geistige Altern einwirken? Dies könnte beispielsweise durch eine erhöhte Konzentration an aktivierenden Substanzen wie THC erreicht werden. Die Altersforscher um Andras Bilkei-Gorzo vom Universitätsklinikum Bonn untersuchten daher in Kollaboration mit israelischen Kollegen, ob eine regelmäßige Gabe von THC gegen geistige Alterungssymptome wirken kann.

Dazu führten die Forscher Verhaltenstests durch, während und nach einer Behandlung mit THC bei gesunden Mäusen. In den Tests wurden Faktoren wie Interessen an Neuem, Erforschungsverhalten (Neugierde) und die generelle Geschwindigkeit ermittelt. Wo in der früheren Studie die geistige Alterung schneller vonstatten ging, zeigte sich nun sozusagen der gegenteilige Effekt: Die gealterten Mäuse verbesserten ihre Lernleistung wieder durch die Behandlung mit THC. Ihr Denkleistungsabbau wurde zum Teil rückgängig gemacht.

Dieser Verhaltenseffekt war auch im Gehirn von messbaren Veränderungen begleitet. Vor allem im Lernzentrum des Gehirns, dem Hippocampus, zeigten die behandelten Mäuse mehr Aktivität und Wachstum von Nervenzellverknüpfungen. Die Lernzellen verbanden sich also häufiger miteinander, was als Zeichen für einen Lernvorgang und die Gedächtnisbildung verstanden wird. Bei den reifen Mäusen verjüngte sich die Gehirnaktivität zum Teil so sehr, dass sie der Aktivität bei den jungen Mäusen ähnelte.

Gegen geistigen Abbau

Eine Reaktivierung der verlangsamten CB1-Rezeptoren im Gehirn könnte also eine wirksame Behandlung für den geistigen Abbau im Alter sein. Dies erscheint zumindest bei Mäusen mit einer niedrigdosierten Gabe von THC, wie es in Cannabis vorkommt, möglich zu sein. Medizinisches Cannabis könnte also möglicherweise zukünftig nicht mehr nur gegen Schmerzen oder Appetitlosigkeit bei schweren Erkrankungen, sondern zur Unterstützung gesunden geistigen Alterns und Reaktivierung von Lern- und Gedächtnisleistung dienen.

Vor einer experimentellen Selbsttherapie sei aber gewarnt – die Bonner Autoren geben keine Informationen zu der genauen Dosierung beim Menschen, und auch zu den Nebenwirkungen bei den Mäusen sind Fragen offen. (red, 3.11.2017)