Im weststeirischen Dorf Stiwoll bei Graz sind seit Sonntag Polizeieinheiten und schwerbewaffnte Cobra-Beamte stationiert. Sie bewachen nicht nur den Ort, sondern durchkämmen mehrmals täglich die umliegenden Wälder.

Foto: Plankenauer

Stiwoll – "Auch die Familie will natürlich, dass man ihn endlich findet, den Vater – aber tot", sagt der ältere Stiwoller trocken und ungerührt, als er kurz für ein Gespräch vom Mountainbike steigt. Ringsum stehen schwerbewaffnete Polizeieinheiten und warten auf den Marschbefehl.

Der Dorfpfarrer von Stiwoll dreht inmitten dieser irreal anmutenden Szenerie zwischen lieblicher Landidylle, Polizisten, Panzerfahrzeugen und hochgerüsteten Cobra-Beamten gedankenversunken auf dem kleinen alten Pfarrhof seine Runden – und will dabei nicht gestört werden.

Erst gestern habe er mit der Tochter des mutmaßlichen Doppelmörders gesprochen, sagt der Radfahrer, der wie all die anderen Gesprächspartner im Dorf bittet, nicht namentlich genannt zu werden. "Sie haben alles mitansehen müssen. Auch die kleinen Kinder, das sind doch seine Enkerln ...", blickt der Mann im Radlerdress auf den Boden. Die Schwestern des Friedrich F. hätten sich mit den Nachbarn im Hof getroffen, "und auf einmal hat es gekracht, und die drei Menschen sind am Boden gelegen. Zwei Stunden sind sie dort gelegen ...", habe ihm eine Tochter das Geschehene geschildert. Friedrich F. war im Schuppen auf der Lauer gelegen.

Jagdprüfung abgelegt

Der Radler ist an diesem Freitagvormittag so ziemlich der einzige Dorfbewohner, der sich auf die Straße traut. Der 700-Einwohner-Ort in der Nähe von Graz scheint entvölkert, aus den Fugen geraten. Die Bewohner haben sich seit Sonntag, als eine Frau und ein Mann aus der Gemeinde erschossen und eine weitere Dorfbewohnerin schwer verletzt worden war, in ihre Höfe und Familienhäuser zurückgezogen. "Natürlich merken wir das stark, was da vorgefallen ist", sagt die Wirtin des Dorfwirtshauses. Die Stube ist leer.

"Die finden ihn sicher net so schnell", sagt der Radler, "entweder hat er sich derschossen, oder es hot ihm wer geholfen, und er ist längst weg." Zudem: Friedrich F. habe erst jüngst die Jagdprüfung abgelegt und kenne die bewaldete, stark zerklüftete weststeirische Gegend nur allzu gut.

"Er war schon ein Streithansl auch, hat sich mit jedem angelegt, ein Spinner halt, aber er war sehr intelligent", sagt der Mann mit dem Rad. Einer von Friedrich F.s Bekannten fügt wenig später ein Persönlichkeitsmerkmal des mutmaßlichen Doppelmörders hinzu, das im Ort nicht nur ihn besonders irritiert: "Er war eigentlich sehr nett und zuvorkommend. Er hat uns immer geholfen, wenn wir was gebraucht haben, wie man sich unter Nachbarn halt so hilft", sagt jener Nachbar, der gut mit ihm auskam. Aber es gab eben auch andere, die unter seiner Streitlust litten. Laut aktuellem Ermittlungsstand der Polizei soll Friedrich F., der Imker, Landwirt und Besitzer zahlreicher Immobilien, wegen eines Wegestreites zum Gewehr gegriffen haben.

Aber damit hat keiner von uns gerechnet, sagt ein "Fast-Freund", der gar nichts Böses über ihn zu erzählen weiß. Den Kindern habe er stets Lutscher und Eis gekauft und vor Kindern auch Vorträge über den Wald gehalten.

Kein "richtiger" Nazi

Gut, seltsam sei er schon gewesen, politisch und so, aber darüber habe er nie mit ihm gesprochen. Auch nicht darüber, dass Friedrich F. im Internet mit wilden Pamphleten über die Justiz und Politik herzog und Sympathien für extrem rechte Bewegungen hegte. Und ja, dass er mit Fahrzeugen, auf denen er ein "Heil Hitler"-Plakat montiert hatte, herumfuhr, sei auch seltsam gewesen. "Nein, ein richtiger Nazi, glaube ich, war er aber keiner", sagt der Bekannte.

Aber eben ein Streithansl, wie auch der Radfahrer weiß. 14 Prozesse habe der Altbürgermeister gegen ihn am Laufen gehabt. Also "Feinde" gab's in der Gemeinde etliche, denn, so erinnert sich ein weiterer Nachbar, "anlegen durfte man sich nicht mit ihm, er war sehr nachtragend". Ringsum auf den Hügeln von Stiwoll finden sich zahlreiche alleinstehende Gehöfte und Einfamilienhäuser. Einige werden von Beamten mit schweren Waffen bewacht. Hier dürften jene "Feinde" wohnen.

Plötzlich wird der Ort unruhig, dutzende Beamte laufen zu den Einsatzwagen und kurven mit Blaulicht davon Richtung Thal bei Graz. Auch einer der beiden Hubschrauber setzt sich in Bewegung. "Es gab wieder neue Hinweise", sagt Polizeisprecher Markus Lamb. Wie mehrmals am Tag, "wir müssen jedem kleinen Hinweis nachgehen". Bisher erfolglos. Friedrich F. ist wie vom Erdboden verschluckt, was durchaus wörtlich zu verstehen ist, denn das unwegsame Gelände ist auch von Höhlen und Stollen durchzogen.

Was die Bewohner hier im kleinen Stiwoll aufwühlt und irritiert, ist die Erkenntnis, dass es einer von ihnen war, den sie gekannt haben – wie so viele andere auch. Er war halt ein bissl ein Spinner, wie einige andere hier auch. Wie überall. Und dann erschießt dieser, den alle geglaubt haben zu kennen, zwei Menschen. (Walter Müller, 3.11.2017)