Im Amazonas werden rund 900 Bäume pro Minute gefällt. Auch Brandrodung ist immer noch ein massives Problem.

Als Brasiliens Präsident Michel Temer Ende September vor der UN-Generalversammlung sprach, überraschten seine Worte viele. "Die Abholzung des Amazonas besorgt uns sehr", setzte er an. "Auf dieses Problem haben wir alle Mittel konzentriert." Deshalb könne er eine gute Nachricht verkünden: die Abholzung sei in den vergangenen zwölf Monaten um etwa 20 Prozent zurückgegangen. Die Nachricht wurde international mit Beifall aufgenommen, verblüffte dennoch viele. Denn eigentlich ist Temer nicht für seine Umweltpolitik, sondern vielmehr für Zugeständnisse an die mächtige Agrarlobby bekannt. Nur durch deren Wohlwollen ist er überhaupt noch an der Macht.

Wenig später konkretisierte das Brasilianische Weltraumforschungsinstitut Inpe nach Auswertung von Satellitenbildern die Zahlen und gab einen Rückgang der Vernichtung des Regenwaldes zwischen August 2016 und Juli 2017 um 16 Prozent bekannt. Allerdings wurden immer noch 6.624 Quadratkilometer Waldfläche vernichtet, fast so groß ist das Bundesland Salzburg.

Zwei Drittel zur Viehzucht genutzt

"Der Rückgang hat nichts mit der Politik Temers zu tun, im Gegenteil", sagt Paulo Barreto, Forstexperte vom Umweltinstitut Imazon (Amazon Institute of People and the Environment). "Der Preis für Vieh ist zwischen 2015 und 2017 um 15 Prozent gefallen." Im vergangenen Jahr sei er auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken. Damit seien die Viehzüchter weniger an der Abholzung von großen Regenwaldflächen für die extensive Weidehaltung interessiert.

Rund 65 Prozent der illegal gerodeten Fläche wird zur Viehzucht genutzt. Der direkte Zusammenhang zwischen der Zerstörung des Regenwaldes und dem Marktpreis für Vieh sei durch zahlreiche Untersuchungen belegt, betont Barreto, der zahlreiche wissenschaftliche Studien über den Amazonas veröffentlicht hat. "Es gibt absolut keinen Grund zum Feiern", findet er. Zwar habe Brasilien innerhalb von zehn Jahren die Abholzung um 80 Prozent senken können. Pro Minute werden allerdings immer noch etwa 900 Bäume im Amazonas gerodet.

Auch die Wirtschaftskrise, in der Brasilien seit 2014 feststeckt, und den damit verbundenen Budgetkürzungen bei der Umweltbehörde Ibama, die für die Überwachung und Kontrolle des Amazonas zuständig ist, hat den Raubbau der vergangenen Jahre beschleunigt. Inzwischen stehe vor allem durch Spenden aus Norwegen und Deutschland über den Amazonas Fonds wieder mehr Geld für das Monitoring zur Verfügung, sagt Baretto. Auch dies sei ein Grund für die verringerte illegale Abholzung.

Soja: Fluch für den Amazonas

Der Zyklus für die Regenwald-Vernichtung lautet: Erst kommen die Holzfäller und schlagen die wertvollen Bäume, danach brennen die Viehzüchter das Unterholz ab. Weil Viehzucht weniger profitabel ist, folgt dann der großflächige Sojaanbau. Im vergangenen Jahr fuhren die Landwirte eine Rekordernte ein – Soja wird inzwischen auf einer Fläche fast so groß wie Deutschland angebaut. Die Anbaufläche wuchs nochmals um sieben Prozent, vor allem durch die illegale Ausdehnung in Richtung Regenwald.

Doch die Agrarunternehmer haben wenig zu befürchten. Präsident Temer setzt auf eine exportintensive Landwirtschaft und machte mit Blairo Maggi nicht ohne Grund einen der größten Sojabarone zum Landwirtschaftsminister.

Der von mehreren Korruptionsanklagen bedrohte Temer unterzeichnete zudem kurz vor der Kongressabstimmung über die Aufhebung seiner Immunität mehrere Dekrete über die Aufweichung von Schutzgebieten im Amazonas. Den Naturpark Renca von der Größe Dänemarks wollte er zum Beispiel für den Bergbau freigeben. Nach einer weltweiten Welle der Empörung ruderte Temer jedoch wieder zurück – vorerst. Davor ließ er jedoch den Jamanxim-Nationalpark im Bundesstaat Pará um 350.000 Hektar und damit um 27 Prozent schrumpfen. Temer gewann die Kongressabstimmung mithilfe des Agrarflügels.

Brasilien verfehlt eigene Ziele

2012 erreichte die Abholzung des Amazonas einen historischen Tiefstand, nimmt seitdem aber wieder stetig zu. 2016 wurden rund 8000 Quadratkilometer Regenwald und damit 29 Prozent mehr als im Vorjahr gerodet. "Auch jetzt ist die Rate immer noch viel höher als das von der Regierung selbst gesetzte Ziel", sagt Barreto. Auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen im Jahr 2009 hatte Brasilien zugesagt, bis 2020 die Abholzung auf 3500 Quadratkilometer jährlich zu reduzieren. "Von diesem Ziel ist Brasilien weit entfernt", sagt der Forstexperte. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 6.11.2017)