Peter Pilz

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Lieber Peter, wenige Stunden vor deinem Rücktritt textete mir eine Freundin: "Jetzt ist deine Stimme im Mistkübel." Wir waren uns vor dem 15. Oktober in die Haaren geraten, als ich bekundete, meine wertvolle Stimme deiner schwindligen Liste zu geben. Sie hielt das damals für eine verlorene Stimme.

Nun vorzugsstimmte ich nicht in der Erwartung der moralischen Verbesserung der Menschen oder vergleichbar pompöser Dinge; ich hätte auch keine großen Summen darauf gewettet, dass aus dem heurigen Antritt etwas Dauerhafteres werden kann. Ich wählte einen, der ein bisserl parlamentarischen Sand in das wohlgeölte Getriebe von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache streuen würde.

Wegen der Verletzung von Anstandsregeln, unschicklichem Verhalten und geriatrischen Hormonstörungen soll daraus nun nichts mehr werden? Ganz ehrlich, ein bisserl deppert ist es schon zu glauben, jüngere Frauen mit blöden Sprüchen oder gar handgreiflich für sich einnehmen zu können. Aber das bislang Bekannte rechtfertigt keinen Rücktritt.

Hast du nicht mehr die Eier, Gegenwind auszuhalten und eine unangenehme Situation durchzustehen? Dann hättest du aber besser gleich die Kandidatur bleibenlassen sollen. Warum, zum Teufel, hast du nicht neben Volkswirtschaft auch ein bisserl was anderes studiert? Beispielsweise Mikrosoziologie, Zivilisationstheorie oder Geschlechterforschung? Dann hättest du dich am Samstag hinstellen können und ungefähr Folgendes vom Spickzettel abgelesen:

· Erstens Ich entschuldige mich bei den beiden Frauen, deren Namen ungenannt bleiben, weil sie keine Personen des öffentlichen Lebens sind. Dass ich ihre Würde verletzt habe, dass sie sich herabgesetzt fühlten und ich ihr Selbstwertgefühl untergraben habe, tut mir aufrichtig leid.

Frauen nicht anzweifeln

· Zweitens Auch wenn ich mich nicht mehr in allen Einzelheiten an das erinnern kann, was mir an Fehlverhalten vorgeworfen wird, will ich die Glaubwürdigkeit der beiden Frauen nicht anzweifeln. Die Plausibilität der Vorwürfe mögen jene beurteilen, die mit solchen Tatbeständen professionell zu tun haben. Ein Beschuldigter kann dazu öffentlich nur schweigen.

· Drittens Dennoch: Anzüglichkeiten und andere verbale Entgleisungen sind keine Tatbestände, die durch das Strafgesetzbuch erfasst werden. Was jemand zu einer anderen Person sagt, ist etwas grundsätzlich anderes als Übergriffe auf die Unversehrtheit der Person. Im Strafgesetz werden unangebrachte Handlungen unter Strafe gestellt, und dabei sollte es auch bleiben. Zu Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung sollte der Tatbestand der Verletzungen der Schicklichkeit nicht hinzukommen.

Als Personen schätzen

· Viertens In Büros und an anderen Arbeitsplätzen, an denen eine größere Zahl von Menschen miteinander kooperiert, kommt es in den vielen Stunden, die man dort verbringt, schon einmal vor, dass Sätze gesprochen werden, die mit der Arbeit nichts zu tun haben. Das ist auch gut so, weil ein Team umso produktiver ist, je mehr alle Beteiligten einander als ganze Personen schätzen, was nur möglich ist, wenn sie im Gegenüber mehr als nur die Arbeitskraft sehen. Deswegen beginnt ja auch die überwiegende Mehrheit der kurz- oder längerfristigen Intimbeziehungen am Arbeitsplatz.

Missfallen ausdrücken

· Fünftens In informeller Kommunikation im Büro, bei Veranstaltungen und bei anderen öffentlichen Gelegenheiten können auch Sätze fallen, die von den Angesprochenen als Übergriffe erfahren werden. Das wird sich nicht ganz verhindern lassen, aber es sollte genügen, wenn die Angesprochene oder besser noch danebenstehende Unbeteiligte ihr Missfallen deutlich zum Ausdruck bringen und dabei sicher sein können, mit keinerlei Vergeltungsmaßnahmen rechnen zu müssen.

· Sechstens In all diesen Situationen kommt natürlich den Machtüberlegenen, gleichgültig was die Wurzeln ihrer Macht sind, eine besondere Bedeutung zu. Wer Karriereschritte für sexuelle oder andere Gunstbeweise in Aussicht stellt, hat in einer solchen Position nichts verloren. Bleibt es bei Unschicklichkeit, anzüglichen Bemerkungen oder taktilen Anbahnungsversuchen, mag der Machtobere zwar als sozialer Depp dastehen, weil er nicht kapiert hat, dass sich auch Schicklichkeitsstandards ändern, aber mehr als moralischen Tadel verdient solches Verhalten nicht, auch dann nicht, wenn die Meute anderes heult.

· Siebtens Die Verhaltenssteuerung der Menschen hat sich im Laufe dessen, was Norbert Elias Zivilisationsprozess genannt hat, von äußeren Kontrollen in die Selbstzwangsapparatur, also ins Innere jedes Einzelnen, verlegt. Unter Alkohol oder durch grobe Selbstüberschätzung der eigenen Person kann jemand die Herrschaft über seine eigene Selbstzwangsapparatur verlieren. Dann sind andere, nahe und ferner stehende Bezugspersonen aufgefordert, die Rückkehr zur Fahrtüchtigkeit einzumahnen.

Zuerst denken

Lieber Peter, ungefähr so hättest du argumentieren sollen.

Von allen anderen Facetten dieser Causa einmal abgesehen, wird wieder einmal deutlich, dass "Zuerst nachdenken und dann handeln" für alle Lebenslagen eine Maxime ist, von der man nur wünschen kann, sie möge dereinst ein allgemeines Gesetz werden. (Christian Fleck, 6.11.2017)