Die Tische eng, die Gäste viele, die Stimmung gut: Jamie Oliver zeigt am Stubentor, wie professionelle Gastfreundschaft geht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalbsschnitzel milanese ist eine ziemliche Pletschen von einem Cordon mit Prosciutto und Trüffelkäse, die mit Spiegelei, Parmesan und ein paar Trüffelspänen garniert wird.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Erinnert sich noch wer an "Jamie's Great Italian Escape", die TV-Kochserie von 2005, die auf Deutsch als "Jamie – genial italienisch" lief? Da tschundert der lispelnde Brite in einem VW-Bus stiefelabwärts, hält an jedem besseren Dorfplatz und kocht seine Version der jeweils regionstypischen Küche. Zum Schluss wird alles an die mehr oder weniger entgeisterten Dorfbewohner verfüttert. Die Reaktion der Original-Italiener auf das, was der (mit Ausnahme des Mittelmeerraums) weltweite Superstar des mediterranen Kochens ihnen da als ihr Essen unterschieben will, fällt bestenfalls höflich, manchmal aber regelrecht rabiat aus. Dass Oliver solch wenig schmeichelhaftes, zum Schreien komisches Feedback ungeschminkt einfließen ließ, spricht für seine Tiefenentspanntheit ebenso wie für den unerreicht guten Riecher britischer Fernsehmacher für Quote und Qualität.

Franchisekonzept

Wer bei Jamie's Italian am Stubentor italienische Küche erwartet, liegt dementsprechend daneben. Wer meint, dass die Speisen deshalb nicht schmackhaft wären, aber mindestens ebenso. Im Zweifel ist das, was in 99 Prozent der in Österreich wirtschaftenden "italienischen" Gaststätten serviert wird, um nichts originalgetreuer als die Gerichte auf der Speisekarte von Olivers Wien-Ableger – meist aber weniger aufmerksam zubereitet. Die Küchen Italiens sind regional extrem diversifiziert, ihre Rezepturen massiv von der spezifisch lokalen Qualität der Zutaten und einer borniert anmutenden Traditionsversessenheit ihrer Köche bestimmt. Solche Authentizität lässt sich nur mit enormem Aufwand und zu entsprechend abgehobenen Preisen exportieren. Nicht zufällig hat Oliver, als er noch Koch war, in genau so einem Export-Italiener der obersten Luxus- und Authentizitätskategorie gelernt: dem bis heute herausragenden River Café in Westlondon.

Jamie's Italian mag ein am Reißbrett entworfenes Franchisekonzept sein, das in Manchester ebenso funktioniert wie in São Paulo, Taipei, Dubai oder eben Wien. Das Essen aber hat, trotz absurd umfangreicher Speisekarte, Qualität.

Fantastisch Weltbestes

Gegen den klassischen Jamie-Speak von den "weltbesten Oliven", dem "fantastischen Fisch-Stew" oder dem "supergrünen Veggie-Burger" sollte man freilich nicht allergisch sein. Dann aber kann man mit einer um knapp neun Euro heftig kalkulierten, aber auch ziemlich köstlichen Bruschetta mit Avocado und Krabbenfleisch beginnen, in der Zitronenöl zum Glück nur ganz zart eingesetzt wird. Pizza, knusprig und vergleichsweise trocken, kann man sich hingegen sparen – da haben Wiens Neapolitaner inzwischen viel Besseres zu bieten. Pasta wird dafür seriously al dente gegart, die Spaghetti mit Krabbenfleisch (wo sonst in Österreich?) lassen auch recht angenehmes Fronte-di Mare-Feeling aufkommen – Kapern und Sardellen aber hätten sich bei einem Venezianer wohl kaum unter die Linguine al Granchio schwindeln dürfen.

Kalbsschnitzel milanese ist eine ziemliche Pletschen von einem Cordon mit Prosciutto und Trüffelkäse, die mit Spiegelei, Parmesan und ein paar Trüffelspänen garniert wird – knusprig, saftig, durchaus angetan, den Schnitzelhunger des Austriaken auf ausländische Art zu besänftigen. Besonderes Lob gebührt dem Servicemanagement: Derart aktive, alerte Mitarbeiter, die zu jeder Speise kompetent Auskunft geben können, weil sie sie offensichtlich bereits genießen durften, war man hier bisher eher nicht gewohnt. (Severin Corti, RONDO, 10.11.2017)

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