Bild nicht mehr verfügbar.

Wo Brüste sind, da ist ein Kopf offenbar gar nicht mehr nötig: beliebte alljährliche Fotomotive zum Münchner Oktoberfest.

Foto: Reuters

Seit meinem 13. Lebensjahr habe ich ein Problem. Oder zwei. Oder: "deine zwei herausragendsten Eigenschaften, links und rechts", wie ein Typ einmal zu mir sagte. Ist übrigens noch nicht so lange her, auch wenn der 13. Geburtstag schon lange zurückliegt. Es hat also nicht immer etwas mit Jugend zu tun, wenn eine Frau über die Größe ihrer Brüste definiert wird.

Begonnen hat es freilich in meiner Jugend, genauer in der zweiten Klasse Gymnasium. Damals lernte ich auf die harte Tour, was es bedeutet, wenn der Körper nicht dem üblichen Durchschnitt entspricht. Die mit den damals schon voll entwickelten, großen Brüsten wurden täglich gehänselt, gedemütigt, an- und ausgegriffen. Die mit den Minibrüsten auch. Und einige von denen mit ein bisschen "Holz vor der Hütte", wie es so schön heißt, machten mit, damit nur ja niemand auf die Idee kam, auf sie zu fokussieren. Nicht alle Buben in der Klasse machten mit. Es gab zwei, drei Anführer, ein paar Mitläufer und niemanden, der aktiv Stellung gegen sie bezog.

Selbst schuld

Begriffe wie "Mobbing" oder gar "sexuelle Belästigung" waren weder den Lehrern noch der Schulleitung geläufig, man hielt uns für eine "schlimme Klasse" und verdonnerte uns zu Extraaufgaben, damit wir "braver" wurden. Der Support zu Hause hielt sich in Grenzen: Da müsse ich durch, hieß es, jede Frauengeneration unserer Familie habe ganz Ähnliches erlebt. Und vielleicht wäre ja alles nicht ganz so arg, wenn ich endlich einen BH trüge?!

Ich begriff damals zweierlei. Große Brüste sind ein Makel, man muss sie so gut wie möglich verstecken. Wenn dir das nicht gelingt und du "blöd" angegangen wirst, bist du irgendwie selbst schuld. Wenn man große Brüste hat, muss man sich übrigens bei jedem T-Shirt-Kauf entscheiden. Entweder Schlabberlook und weit – dann sieht man gleich einmal ziemlich rundlich aus. Oder "figurbetont", da wirkt dann gleich jeder stinknormale V-Ausschnitt "offenherzig" und wird gern ungeniert bestarrt. Danach ist einer auch nicht jeden Tag.

Schlagfertig

Glücklicherweise bin ich nicht schüchtern. Ich lernte, mich zu wehren. Verbal, mit vorher sorgfältig einstudierter Schlagfertigkeit – oder mit tatsächlicher. Ich habe als Teenager auch ziemlich oft Ohrfeigen verteilt. Und irgendwann war die Pubertät dann auch vorbei.

Nicht vorbei waren mit meinem Eintritt ins Erwachsenenalter die Bemerkungen über meine Brüste. Vielleicht etwas subtiler als in der Schulzeit, aber oft nicht einmal das. Und oft genug wurden sie erwähnt, wenn einer mit mir "flirten" wollte, manch freundschaftlich-kollegiale Umarmung in angeheitertem Zustand fiel bemerkenswert zielgerichtet auf Brusthöhe aus. Meist nahm ich es sportlich, wandte die eingeübten Abwehrtechniken an, machte mich über betrunkene Anlassigkeiten laut lustig. Meistens gelang es mir, die Verletzung, die Demütigung nicht an mich heranzulassen. Aber nicht immer.

Kein Opfer

Ich sah mich eigentlich nie als Opfer. Ich habe mich nach meiner Façon gewehrt, und ich bin kein Blümchen-rühr-mich-nicht-an, das keinen Spaß versteht. Ich verstehe Spaß, und er darf auch einmal deftig sein.

Ich brauchte nur sehr lange, um ein Muster zu erkennen: dass ich nicht die Einzige war, dass es nichts mit mir, mit meinem Verhalten (oder Nichtverhalten) zu tun hatte. Ich dachte lange, "da musst du durch", denn "durchmüssen", "sich durchbeißen", "nicht nachlassen" und "immer dranbleiben", das musste ich sowieso, wollte ich Erfolg haben. So habe ich das gelernt.

Damit umgehen

Dazu gehörte für mich wohl auch, mit dieser "Kleinigkeit" irgendwie umzugehen, anlassige Bemerkungen zu überhören und wegzustecken. Ich schrieb als Journalistin flammende feministische Kommentare, ich sah viele Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten, Diskriminierungen sehr klar – aber dass auch ich selbst irgendwie betroffen war, das sah ich lange nicht.

Freilich: Mir ist nichts "Arges" passiert, ich wurde nie so belästigt, dass es ein Fall für das Strafgesetzbuch oder die Gleichbehandlungsanwaltschaft gewesen wäre. Kein Vorgesetzter fühlte sich ermutigt, Karriere gegen Gefälligkeiten anzubieten. Das war ein großes Glück, dafür gebührt vor allem der STANDARD-Unternehmenskultur ein Kompliment. Es hätte auch anders sein können.

Folgen bis heute

Dennoch: Was ich hier beschreibe, hatte nichts zu tun mit Flirt, mit Komplimenten, mit beziehungstechnischen Anbahnungsversuchen auf Augenhöhe. Es war und ist sexuell konnotierte Belästigung, einfach weil da mein Busen ist. Wahrscheinlich war jenen, die mich belästigt haben, in dem Moment nicht einmal klar, dass sie etwas und was sie hier tun.

Trotzdem bemerke ich Folgen an mir, bis heute. Etwa aufrecht zu gehen, keinen runden Rücken zu machen, um das "da vorne" zu verbergen — das kann ich nicht jeden Tag. Ich kann mich immer noch an alle erinnern, die "blöde Bemerkungen" gemacht haben – auch wenn ich sie gerne vergessen würde.

Vor kurzem fragte die Rondo-Redaktion an, ob ich etwas Heiter-Lockeres zum Thema "Dekolleté zeigen" schreiben könne. Ich konnte nicht. Ich bin diesbezüglich noch immer nicht locker.

Fingerspitzengefühl

Warum also dann dieser persönliche Blogeintrag? Weil es auch darum geht zu verstehen, was das "blöde Anmachen", über das auch manch prominente Frau derzeit gerne lässig hinwegsieht, mit einer Person macht. Weil es darum geht zu begreifen, dass es bei diesem Thema Fingerspitzengefühl braucht, auch journalistisch.

In den heftigen Debatten rund um #MeToo und dessen Auswirkungen wird auch häufig die Frage gestellt, ob es "zulässig" sei, dass Frauen oft erst nach Jahren mit dem Erlebten herausrücken? Ob es bloß verspätete Rache ihrerseits sei, ob gar eine geheime Karrierestrategie dahinterstecke? Man versetze sich einmal kurz in einen Menschen, dem Demütigung, Geringschätzung, Abwertung widerfahren ist, der auch, als er sich besonders schwach fühlte, vergeblich auf Solidarität und Verständnis hoffte. Nicht jede und jeder findet dann noch die Kraft, gleich zum Gegenschlag auszuholen.

Pauschale Unterstellung

Spekuliert wird auch, ob nicht das Ende aller geschlechtlichen Nähe drohe, wenn man "nichts mehr sagen und nicht mehr schauen" dürfe. Besonders Lustige bangen schon, ob ihnen Ungemach drohe, wenn sie beim Bezahlen im Supermarkt die Finger der Kassierin berühren. Als ob "Flirten" darin bestünde, anzüglich über Geschlechtsorgane zu sprechen oder diese gar unaufgefordert anzufassen. Wer Männern pauschal unterstellt, nicht mehr drauf zu haben als das, und glaubt, sie diesbezüglich auch noch "schützen" zu müssen, diskriminiert seinerseits.

Es geht auch anders, ganz anders. Mit Intelligenz und Fingerspitzengefühl und ganz ohne blöde Bemerkungen. (Petra Stuiber, 8.11.2017)