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Großer Wahlkampfauftritt Ende Oktober 2016 in Johnstown, Pennsylvania. Donald Trump machte große Versprechungen, und seine Wähler glaubten sie ihm damals.

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Jackie Kulback leitet den Verband der Republikaner in Johnstown.


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Die Idylle in Somerset trügt.

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Mike Brendle ist zufrieden mit sich und der Welt. Draußen färbt sich das Laub. Von der Hügelkuppe, auf der seine Blockhütte steht, geht der Blick über die sanften Hänge der Laurel Mountains. Dass ganz in der Nähe ein Kohlebergwerk den Betrieb aufgenommen hat, das erste seit langem, trägt wesentlich zu Brendles guter Laune bei. Es bedeutet, dass es wieder mehr Leute gibt, die es sich leisten können, auf seiner Wiese auf Tontauben zu zielen. Jedenfalls hofft er das, der beleibte Mann, der früher Farmer war und heute Schießplatzbetreiber ist.

Er hofft auf den Aufschwung, und die Zahl der Kunden bei Buffer Creek Sporting Clays am Rande der Kleinstadt Somerset ist sein Barometer. Fast 60 Dollar für zwei Stunden, Munition inbegriffen – die meisten in Somerset müssten sich dreimal überlegen, ob sie so viel Geld für ein Hobby ausgeben wollten, skizziert er die Lage. Wer bei Walmart Regale schlichte oder bei McDonald's Burger brate, bekomme zehn Dollar die Stunde, höchstens. Ein Bergmann dagegen verdiene gut das Dreifache. "Es ist ein Anfang. Ein Symbol der Wende", orakelt Brendle.

150 Leute soll die Grube, hoch über dem Dorf Acosta gelegen, einmal beschäftigen, wenn sie voll ausgelastet ist. Momentan sind es deutlich weniger. "Klar, das ist noch kein Wirtschaftswunder, aber Donald Trump hat die Weichen richtig gestellt", sagt Brendle und malt sich aus, wie das gehen könnte mit dem Wachstumsschub: "Gott hat uns mit so viel Reichtum verwöhnt. Gas, Öl, Holz, wir haben alles in diesem Land. Wir brauchen die Schätze doch nur zu heben!"

"Make America Great Again"

Überall nach Erdöl bohren, auch dort, wo es bisher aus Umweltgründen tabu war; auch die Nationalparks wirtschaftlich erschließen; in Pennsylvania, West Virginia, Ohio wieder in großem Stil Kohle fördern – so versteht der 65-Jährige "Make America Great Again", Trumps Slogan.

An der Wand seiner Hütte hängt ein Bild, das den jungen Mike Brendle neben einem erlegten Bären in Alaska zeigt. Im Herbst vor einem Jahr hat er in der heißen Phase des Wahlkampfs zwei Trump-Poster aufgehängt, "und keiner meiner Kunden hat sich beschwert, kein einziger". Im Landkreis Somerset County stimmten 76 Prozent der Wähler für Trump, es war einer der besten Werte, auf die der Baulöwe in Pennsylvania kam. In jenem Bundesstaat, den er ebenso überraschend gewann wie Michigan und Wisconsin – die beiden anderen, die das Zünglein an der Waage bildeten, als er Hillary Clinton besiegte. Wie Brendle heute über Trump denkt? "Der Mann hatte recht, es ist wirklich ein Sumpf. Jeder in Washington wacht doch nur über sein eigenes kleines Königreich. Ob Demokraten oder Republikaner, es macht keinen Unterschied."

Trumps Regierung hat fast nichts von dem erreicht, was der Milliardär einst versprach. Die Mauer zu Mexiko wird bisher nicht gebaut. Von einem Infrastrukturprogramm ist nichts zu sehen. Obamacare existiert nach wie vor – die Gesundheitsreform Barack Obamas, die dessen Nachfolger im Schnellverfahren abschaffen und durch "großartige" Krankenversicherungen ersetzen wollte. Nur die staatlichen Zuschüsse für Krankenversicherer hat das Weiße Haus gestrichen, das ist das einzig Konkrete. Dadurch verteuern sich vielerorts die Prämien, bisweilen drastisch. Vor allem für Ältere, anders gesagt: für Trumps treueste Anhänger.

Ruppiger Trump

Ein Dilettant im Weißen Haus? Der Präsident, so entgegnet Brendle, hätte viel mehr geschafft, hätte ihm der Kongress nicht andauernd Knüppel zwischen die Beine geworfen. Deshalb sei es vollkommen richtig, dass Trump mit ruppiger Sprache dazwischengehe: "Sollte auch er noch anfangen, politisch korrekt daherzureden, dann wäre ich wirklich beunruhigt." Wenn von Trumps Basis die Rede ist, von den Unbeirrbaren, die ihrem Helden alles durchgehen lassen, dann muss man sich diese Basis vorstellen wie Mike Brendle.

Johnstown sollte man sich als Erstes von oben anschauen, von einem Felsen über dem Conemaugh River. Riesige Fabrikhallen säumen den Fluss. In der Innenstadt künden prächtige Kirchen von vergangener Blüte – zu mächtig, zu zahlreich für einen Ort, in dem vor einem halben Jahrhundert noch 70.000 Menschen lebten, während es heute gerade einmal 18.000 sind. Auch das Rathaus wirkt mindestens eine Nummer zu groß. Was sich geändert hat seit Trumps Wahl? Arch Liston überlegt keine Sekunde, ehe er die Antwort gibt. "Nichts. Absolut nichts." Liston ist City-Manager, der Verwaltungschef, der anstelle des ehrenamtlich tätigen Bürgermeisters die Arbeit erledigt. Es dauert nicht lange, da spricht er von Johnstowns maroder Kanalisation. Sie muss dringend erneuert werden, was rund 110 Millionen Dollar kostet.

Millionenschwere Lasten

Liston hatte fest damit gerechnet, dass der Fiskus in Washington einen Teil der finanziellen Last schultert. Schließlich hatte Trump einen nationalen Kraftakt angekündigt, um Flughäfen und Straßen, Brücken und Breitbandnetze und eben auch Abwasserrohre auf Vordermann zu bringen. Geschehen ist bisher nichts, und wie es aussieht, wird auch so bald nichts geschehen. Johnstown wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als die lokalen Steuern zu erhöhen, um das Millionenprojekt zu finanzieren.

Als Nächstes wird man die Grundsteuer, einen der wichtigsten Einnahmeposten der US-Kommunen, anheben müssen. Liston ahnt schon, dass es Hunderte veranlassen wird wegzuziehen. "Ich weiß, es ist ein Teufelskreis. Aber Herr Trump lässt uns im Stich."

Es lag auch an den Trump'schen Versprechen, dass Liston – ein alter Hase, der sich aufs Sanieren krisengebeutelter Gemeinden versteht – kurz nach dem Präsidentschaftsvotum in Johnstown anfing. Der Mogul sprach von den Vergessenen, derer er sich annehmen werde. Und Johnstown ist das Paradebeispiel einer vergessenen, abgehängten Stadt. Er habe Hoffnung geschöpft, sagt Liston, dann aber habe Trump jegliche Lernkurve vermissen lassen. "Als Quereinsteiger muss er lernen, wie Regierungsarbeit funktioniert, sonst ist die Regierung gelähmt." Er möge sich endlich auf seinen Job konzentrieren, statt schon morgens fernzusehen. Er solle die Kunst des Kompromisses erlernen, statt alles seinem Ego unterzuordnen, fordert der City-Manager.

Nach dem Absturz

Es ist nicht so, dass Johnstown ein einziger Krisenfall wäre. Es gibt durchaus Lichtblicke. Der Dienstleister Convergys hat ein Callcenter eröffnet: 250 Arbeitsplätze. Ein Metallbetrieb bietet 70 zusätzliche Stellen für Schweißer an. Nur reicht es eben, zu einem Termin mit Jackie Kulback zu fahren, um eine Ahnung davon zu bekommen, was für einen Absturz die Stadt hinter sich hat.

Bei Gautier Steel, einer Firma, deren Finanzchefin Kulback ist, geht es in der Abenddämmerung durch eine Geisterstadt. Hunderte Meter lang nichts als leere Hallen, bis endlich Licht in Fenstern zu sehen ist. Kulbacks Bürotrakt wirkt wie eine Insel in einem Meer der Tristesse. Am Conemaugh River hat Bethlehem Steel 1973 noch nahezu 12.000 Arbeiter beschäftigt. 1992 gab der Konzern den Standort Johnstown auf – geblieben sind kleine Nischenanbieter wie Gautier Steel.

Donald Trump, kann man sagen, hat Jackie Kulback ins Rampenlicht katapultiert. Als er eine Wahlkampfrede hielt, durfte sie ihn vorstellen, vor 8000 Zuschauern in einer prall gefüllten Eishockey-Arena. Sie war neu in der Politik, noch immer spricht sie vom Lampenfieber, das ihr fast die Kehle zuschnürte. "Trump elektrisierte die Leute, wie ich es noch nie erlebt hatte", erinnert sie sich. Heute leitet Kulback den Ortsverband der Republikaner und übt milde Kritik an dem Twitter-König im Oval Office: "Mit ein paar Tweets weniger könnte ich leben." Nur ändere das nichts am Wesentlichen, daran, dass der Präsident mit seinem "America First" den richtigen Kurs fahre. "Im Flugzeug sagen sie dir ja auch, du sollst im Notfall erst selber zur Sauerstoffmaske greifen, bevor du dich um andere kümmerst." Genau daran halte sich Trump: Amerika zuerst. "Okay, manchmal kann er tyrannisch sein. Aber er ist unser Tyrann", sagt Jackie Kulback.

Das Büro der United Steelworkers ist leicht zu übersehen. An einem Zehnmetermast am Straßenrand wirbt ein Neonschild für einen Waffenladen namens Tru-Spec, wogegen sich die Filiale 2632 der Stahlarbeitergewerkschaft, gleich daneben, ausgesprochen bescheiden ausnimmt. Das mit dem Waffengeschäft hat Jeff Rininger nie gepasst. Der Besitzer ("keiner von hier"), so erzählt der Chef des Gewerkschaftslokals, habe den Laden erst im Zuge des Trump-Höhenflugs aufgemacht. "Und hoffentlich verschwindet er bald wieder." Hoffentlich, spinnt der baumlange, sehnige Mann den Faden weiter, werde auch der Trump-Spuk bald ein Ende haben.

"Schlimmer als befürchtet"

Das Werk, in dem er malocht, produziert Autobleche. Hätte Obama die Autoindustrie Detroits nicht gerettet, wären dort, in einem Tal südlich von Johnstown, die Lichter ausgegangen, glaubt Rininger. Dann stand Trump zur Wahl, und auch im Lokal Nr. 2632 gab es Leute, die in ihm eine Art Arbeiterführer sahen: steinreich, aber Volkes Stimme. Nun, da sei mancher seiner Kollegen auf einen Scharlatan hereingefallen, schimpft Rininger, schiebt seine weiße Schirmmütze in den Nacken und lehnt sich in seinem Stuhl weit zurück, um ein Fazit zu ziehen: Ein Trump im Weißen Haus, es bedeute totales Chaos. "Es ist noch schlimmer, als ich befürchtet hatte." (Frank Herrmann aus Johnstown, Pennsylvania, 7.11.2017)