Leib-Seele-Problem: Die exzellent besetzte Maria Dragus als Maria Theresia Paradis in "Licht".

Christian Schulz

Wien – "Nicht so wackeln!", raunt die Madame Paradis ihrer Tochter Maria Theresia zu, die gerade zu einem weiteren Klavierstück ansetzt. "Resi", wie die junge Virtuosin meist genannt wird, wirft sich beim Spielen ziemlich hin und her, und ihr Gesicht zeigt einen Ausdruck irgendwo zwischen Verzückung und Entsetzen.

Entsprechend der Mode – man schreibt in Wien das Jahr 1777 – trägt Resi eine mächtige Perücke, die einen auch so schon ins Wackeln bringen könnte. Doch vor allem ist es ein Umstand, der Resis Spiel prägt: Sie sieht nichts. Sie verdreht ihre Augen, als könnte sie irgendwo noch einen Rest von Licht erhaschen, aber es hilft alles nichts, sie ist "stockblind", seit sie eines Tages im Alter von drei Jahren ihr Sehvermögen verloren hat. Einen Grund dafür kann niemand benennen, also weiß auch niemand eine Kur.

Bis auf den Doktor Mesmer vielleicht, einen deutschen Medikus, der in Wien reich geheiratet hat und der in seinem weitläufigen Anwesen eine Art Sanatorium mit allerlei Sorgenkindern unterhält. Die Methoden des Franz Anton Mesmer sind nicht im strengen Sinn wissenschaftlich, auch nicht gemessen an den Ansprüchen einer noch jungen Aufklärung. Mesmer arbeitet mit Berührungen, er setzt auf Energien und ein "Fluidum". Auf seine Weise ist er selbst so eine Merkwürdigkeit wie die Resi, und so macht es Sinn, dass die beiden zusammenkommen.

Konkurrenz und Imposanz

In Licht, dem neuen Film von Barbara Albert, wird die Begegnung dieser beiden Welten zu einer Möglichkeit, auf verschiedenen Ebenen von alten und neuen Regimes, von einer verzopften höfischen Gesellschaft und vom Vorschein der Moderne zu erzählen. Resi Paradis (exzellent besetzt mit Maria Dragus) war eine Zeitgenossin von Mozart, aber sie wird nicht so sehr als Wunderkind gesehen, sondern eher als Freak.

Ihre Eltern präsentieren sie auch wie ein Schaustück, denn in einer Gesellschaft, die auf Konkurrenz und Imposanz basiert, ist jede Besonderheit etwas wert, "n’est ce pas?" Die Mode der damaligen Zeit, allenthalben fran zösische Satzteile einzuflechten, verleiht den Figuren zusätzlich eine Affektiertheit, die Barbara Albert allerdings kaum einmal richtig in Satire umschlagen lässt.

Moviepilot Trailer

Das wäre auch zu trivial. Auf Grundlage eines Romans von Alissa Walser (Am Anfang war die Nacht Musik, 2010), aber auch auf Grundlage historischer Tatsachen interessieren sich Albert und die Drehbuchautorin Kathrin Resetarits vor allem für die Unsicherheit, die sich aus dem berühmten Leib-Seele-Problem ergibt: Die zweifellos konkreten, körperlichen Qualen der Resi haben offensichtlich einen tieferen Sinn, und ihre Heilung wird dadurch notwendig zu einem ambivalenten Geschehen, zu einem offenen Prozess, in dem das Subjektive und die schneidende Objektivität einer missgüns tigen "besseren" Gesellschaft nie zur Deckung kommen können.

Mehrfach bezieht Albert bewusst und an einer Stelle ganz zum Schluss dann in einer brillanten, interpretierenden Nebenszene die Dienstboten ein – Resi wird damit zu einer Figur, die zugleich "zu ebener Erd und im ersten Stock" der Kunst daheim ist, also eine große Zerrissene. Dass ihr bei der Ankunft bei Mesmer (gespielt vom deutschen Star Devid Striesow) zuerst einmal ein "Idiot" entgegenkommt, ist ein Zeichen, das den ganzen Film bestimmt.

Das Licht der Aufklärung drang in Räume, die noch ganz andere Lichtverhältnisse gewöhnt waren als die heutigen. Die Kamera von Christine A. Maier weiß ganz offensichtlich viel davon, dass wir diese Welt heute vor allem durch Gemälde kennen, durch Ölbilder und Drucke. Diese ästhetische Qualität kann aber auch distanzierend wirken. Resi Paradis bleibt auch für Licht ein Kuriosum, dessen Fluidum sich entzieht. (Bert Rebhandl, 8.11.2017)