Wien – Anton S. ist entweder ziemlich skrupellos. Oder ein echter Pechvogel. Staatsanwältin Carmen Kainz hat den 56-Jährigen vor ein Geschworenengericht unter Vorsitz von Andrea Wolfrum gebracht, da sie ihm Mord und 23-fachen Mordversuch vorwirft. Sie ist überzeugt, dass S. im Jänner den Gashahn in seiner Wohnung aufgedreht und die Gas-Luft-Mischung gezündet hat, als gerade der Schlosser an seiner Tür hantierte, um die Delogierung des Angeklagten zu ermöglichen. S. spricht dagegen von einem Unfall.

"Er hat sich, wie so oft, als Opfer gesehen", erklärt Kainz dem Senat. 60.000 Euro Schulden habe der Angeklagte, seit Sommer 2016 seien Strom und Gas abgesperrt gewesen. Von der drohenden Delogierung müsse er gewusst haben, da in seinem Postkasten nur die Schreiben aus der Zeit einige Tage vor der Detonation gefunden wurden.

Ein Toter, sechs Verletzte

Die Schlussfolgerung der Anklägerin: S. habe den Gaszähler abmontiert, das Ventil geöffnet und für die Explosion gesorgt, als er die Geräusche an der Tür hörte. Der davor stehende Hausverwalter wurde getötet, der Schlosser und ein Gerichtsvollzieher schwerst verletzt, auch das Ehepaar in der Nachbarwohnung und ihr 13 Tage altes Baby erlitten Blessuren. Der Angeklagte wurde bei einer zweiten Detonation durch das Fenster in den Hof geschleudert und ebenso verletzt.

Verteidigerin Romana Zeh-Gindl widerspricht mit ihren Eröffnungsworten der Anklage. "Es war eine Verkettung von unglücklichen Umständen. Er hat versucht, den Gaszähler zu reparieren, und wollte niemandem ein Leid antun!" Außerdem sei er bis zum Unglückstag mit Strom und Gas versorgt gewesen – es habe allerdings schon seit zwei Jahren nach faulen Eiern gerochen, Zeh-Gindl vermutet daher, dass schon lange Gas in die Wohnung gesickert sei.

"Ich bekenne mich schuldig, dass ich den Gaszähler abmontiert habe", sagt der Angeklagte. Aber er habe vorher den Haupthahn im Gang abgedreht, beteuert er. "Stimmt es, dass Sie in Ihrer Jugend Ihren Stiefvater einmal krankenhausreif geprügelt haben?", will Vorsitzende Wolfrum von dem Unbescholtenen wissen. "Nein, das war ein Unfall", hört sie als Antwort.

Angeklagter widerspricht Zeugen

Überhaupt seien die Zeugenaussagen falsch, hält S. fest. Er habe keine Streitigkeiten mit den Nachbarn gehabt, habe regulär Strom und Gas bezogen. Von der Delogierung habe er nichts gewusst, er habe seit Sommer 2016 keine Post mehr angesehen.

Die 90 Euro Miete habe er zwar nicht mehr gezahlt, aber: "Ich habe vor 30 Jahren 50.000 Schilling Kaution und Ablöse bezahlt und 10.000 Schilling schwarz, damit ich die Wohnung überhaupt bekomme. Man könnte mich erst hinaushauen, wenn diese Schulden getilgt sind", ist er überzeugt.

Überhaupt, das Geld: Seit zehn bis 15 Jahren sei er arbeitslos, im Vorjahr habe er auch nicht mehr um Sozialhilfe angesucht, da es ihm schlecht gegangen sei. Auch er glaubt an eine schleichende Gasvergiftung. "Ich habe zweimal bei der Firma angerufen, die den Zähler gewechselt hat, es ist aber nie wer vorbeigekommen", behauptet der Angeklagte.

"Ich habe Gas gehasst!"

Und eröffnet: "Ich habe Gas gehasst!" Ein mittlerweile verstorbener Bekannter habe ihm geraten zu überprüfen, ob eine Dichtung am Zähler sei, was nicht der Fall gewesen sein soll. "Am Montag habe ich dann den Haupthahn abgedreht und den Zähler abmontiert." Am Donnerstag kam es zur Explosion.

"Wie ist es zu der gekommen?", will Wolfrum von S. wissen. "Keine Ahnung", lautet die Antwort. Er habe ferngesehen und den Halogenstrahler aufgedreht gehabt. "Ich habe ein komisches Dröhnen gehört, danach weiß ich nichts mehr." – "Finden Sie nicht auch, dass das ein komischer Zufall ist, dass das Gas genau dann explodiert, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht?" Der Angeklagte kann dazu nichts sagen.

Der Nachbar bestätigt als Zeuge, dass S. zumindest am Abend vor der Explosion ferngesehen habe – also Strom gehabt haben muss. Dann erinnert er sich an die Detonation: "Ich bin im Bett gelegen, auf einmal habe ich gespürt, wie alles auf mich heruntergefallen ist."

Mediziner mit schrägem Humor

Seine Schwiegermutter grub ihn aus dem Schutt, dann kümmerte er sich um das Neugeborene: "Die Kleine war unter den Ziegeln, ich habe nur noch die Hand gesehen." Seine Frau habe dem Baby den Staub aus den Lungen gesaugt, dann sei man ins Spital gefahren. "Der Arzt ist mit einem Lächeln herausgekommen und hat gesagt: 'Wir haben ein Problem.' Mir ist durch den Kopf gegangen, dass mein Kind tot ist, dann hat er gesagt: 'Ihr Kind hat Hunger.'"

40.000 Euro habe der Schaden betragen, versichert sei er nicht, daher will er exakt 38.468 Euro als Schadenersatz vom Angeklagten. Die Jungfamilie musste in einer Notunterkunft wohnen und konnte erst im September wieder zurückkehren.

Der Prozess ist auf vier Tage anberaumt, ein Urteil soll im Dezember fallen. (Michael Möseneder, 8.11.2017)